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Feuerwehrmann kritisiert Arbeitsbedingungen bei Göggel-Großbrand

Im Juli 2022 kommt es in Gammertingen zu einem Brand. Dort seien die Einsatzkräfte einem erheblichen Gesundheitsrisiko ausgesetzt gewesen, findet Feuerwehrmann Hans-Peter Rullmann. Unter anderem habe es zu wenig Atemschutzmasken gegeben. Die Kritik geht noch weiter.

Einsatzkräfte der Feuerwehr löschen während eines Großbrandes auf dem Gelände eines Reifengroßhändlers brennende Reifen.
Einsatzkräfte der Feuerwehr löschen während eines Großbrandes auf dem Gelände eines Reifengroßhändlers brennende Reifen. Foto: Thomas Warnack/dpa
Einsatzkräfte der Feuerwehr löschen während eines Großbrandes auf dem Gelände eines Reifengroßhändlers brennende Reifen.
Foto: Thomas Warnack/dpa

GAMMERTINGEN. Mehr als ein halbes Jahr ist seit dem Flammeninferno beim Gammertinger Reifen–Großhändler Göggel vergangen. Der Feuerwehrmann Hans-Peter Rullmann war selbst fünf Tage lang im Einsatz, im Schlauchtrupp kümmerte er sich um die Wasserversorgung. »Während des Einsatzes funktionierst du nur, da machst du dir um die Gefahren keine Gedanken«, sagt das Mitglied der Feuerwehr des Ortsteils Bronnen und blättert in seinem vor ihm liegenden Ordner, in dem er die Mails, die Gesprächsnotizen, all den Schriftverkehr abgeheftet hat. Sein Kamerad Joachim Voigtmann aus der Altersabteilung unterstützt ihn.

Verbesserung für künftige Einsätze gefordert

Die Feuerwehrmänner haben sich zum Ziel gesetzt, den Gesundheitsschutz für die Gammertinger Feuerwehr dauerhaft zu verbessern. Aus Sicht der Feuerwehr sei während des Einsatzes vieles richtig gemacht worden, »weshalb der Einsatz glorifiziert dargestellt wurde«.

Doch in mehrerlei Hinsicht müsse es für künftige Einsätze Verbesserungen geben, so Rullmanns Forderung: Die Kameraden müssten die Möglichkeit bekommen, ihre verrußte, kontaminierte Kleidung zu wechseln, die nachgelagerten Trupps müssten ebenfalls mit Schutzmasken ausgestattet werden.

Schließlich fordert der Feuerwehrmann eine standardisierte Nachsorgeuntersuchung für die an einem derartigen Großeinsatz beteiligten Einsatzkräfte, da sie laut einschlägiger Literatur einem erheblichen Krebsrisiko ausgesetzt seien.

Fünf Tage in Einsatzkleidung

Fünf Tage trug Kamerad Rullmann seine Einsatzkleidung, sie wurde zwischendurch weder gewaschen noch ausgetauscht. Zwar war ein Hygienefahrzeug der Feuerwehr Bad Waldsee eingesetzt, doch dieses Fahrzeug sei nach Angaben von Feuerwehrmann Rullmann bereits am zweiten Brandtag wieder abgezogen worden.

Neben der Hygieneeinheit, in der sich die Einsatzkräfte duschen und waschen konnten, habe es einen Pool mit ausreichend Wechselkleidung gegeben. »Weshalb Herr Rullmann an allen Einsatztagen diese Möglichkeiten nicht genutzt hat, ist für alle Beteiligten bis heute nicht nachvollziehbar und konnte auch nicht in den zahlreichen Gesprächen der Feuerwehrführung mit ihm nicht geklärt werden«, schreiben Gammertingens Bürgermeister Holger Jerg und der Kommandant Daniel Zeiler auf Anfrage.

»Das Angebot, die Hygieneeinheit aus Bad Waldsee zu nutzen, wurde mir nicht gemacht. Ebenso wenig wurde mir ein Angebot gemacht, die Kleidung täglich zu wechseln«, entgegnet Rullmann auf die Ausführungen.

Weiterer Kritikpunkt

Sein zweiter Kritikpunkt: Für die als Schlauch– und Wassertrupp eingesetzten Kräfte habe es zu wenig Atemschutzmasken gegeben. Ein Vorwurf, den sowohl Gammertingens Bürgermeister Holger Jerg als auch der Umweltdezernent des Landkreises zurückweisen: »Erkenntnisse zu mangelhafter Ausstattung liegen aus der Nachbesprechung mit den Kommandanten und Abschnittsleitern nicht vor«, teilt Adrian Schiefer mit.

Neben dem Atemschutz für Kräfte an vorderen Stellungen seien genügend FFP2–Masken für den Nachschub zur Verfügung gestanden, ergänzt Bürgermeister Jerg. Erst auf Nachfrage habe er von einem DRK–Mitarbeiter eine FFP2–Maske ausgehändigt bekommen, sein Vorschlag, ABC–Schutzmasken mit Aufschraubfiltern zu verwenden, sei verworfen worden.

Rathaus beschafft Masken für künftige Einsätze

Für künftige Einsätze seien FFP2–Schutzmasken mit spezieller Atemöffnung sowie weitere Filtermasken beschafft worden, um den Einsatzkräften, die nicht in der »vordersten Linie« mit Atemschutz im Einsatz sind, eine Möglichkeit des weiteren Eigenschutzes an die Hand zu geben, so die Stadt Gammertingen weiter.

Der neue Kreisbrandmeister, Michael Reitter, der seit Februar im Amt ist, will sich auf Nachfrage nicht zum Göggel–Inferno äußern, weil es sich auf die Zeit vor seiner Amtsantritt bezieht.

Nacharbeit noch nicht abgeschlossen

Anruf bei Friedrich Sauter, dem Vorsitzenden des Kreisfeuerwehrverbandes: Die Nacharbeitung des Göggel–Einsatzes sei aus Sicht der Feuerwehr noch nicht abgeschlossen, so der ehrenamtliche Verbandsvorsitzende aus Leibertingen.

Zusammen mit dem stellvertretenden Kreisbrandmeister Marcus Siber arbeite der Gammertinger Kommandant Daniel Zeiler einen Vortrag aus, der die gemachten Erfahrungen an andere Wehren weitertragen soll. Informationen über konkrete Versäumnisse lägen ihm keine vor: »Wir brauchen handfeste Informationen, aber die gibt es bislang nicht«, sagt Funktionär Sauter.

Zum Kritikpunkt fehlenden Wechselkleidung sagt Verbandsvorsitzender Sauter: Aus Kostengründen sei keine Wechselkleidung für einzelne Kräfte vorgesehen, weil eine Jacke zwischen 400 und 600 Euro koste. Der Gammertinger Bürgermeister ergänzt, dass in Folge der anstehenden Neubeschaffung von Einsatzbekleidung für die rund 140 aktiven Feuerwehrangehörigen in den Jahren 2023 bis 2025 aus dem Altbestand ein »Gammertinger Ersatzbekleidungslager« für Tauschkleidung aufgebaut und vorgehalten werden soll.

Zur Aussprache beim Bürgermeister

Zusammen mit seinem Kameraden Joachim Voigtmann führte Hans–Peter Rullmann mit Bürgermeister Holger Jerg im Oktober vergangenen Jahres ein längeres Gespräch über das Thema Gesundheitsschutz.

Hans–Peter Rullmann kämpft wie Don Quijote gegen Windmühlen, er hat den Eindruck, dass ihn die Funktionsträger im Gammertinger Rathaus und im Sigmaringer Landratsamt abblitzen lassen. Doch aus Sicht der beiden Behörden sind die von Rullmann gestellten Fragen hinreichend beantwortet.

Allen am Einsatz beteiligten Kräften der Gammertinger Feuerwehr sei eine Nachuntersuchung angeboten worden. 50 Feuerwehrangehörige hätten von diesem Angebot Gebrauch gemacht. Weitere rund 30 Einsatzkräfte seien in örtlichen Facharztpraxen untersucht worden, da bei ihnen turnusmäßige Untersuchungen angestanden seien. Während oder unmittelbar nach dem Einsatz hätte die Untersuchung erfolgen müssen, kritisiert Feuerwehrmann Rullmann. »Urlaubsbedingt konnten die medizinischen Teams die Untersuchungen erst Mitte August umsetzen«, entgegnet Jerg.

Keine individuellen Untersuchungsergebnisse bekannt

Aufgrund der ärztlichen Schweigepflicht und des Datenschutzes seien der Stadt und der Feuerwehrführung aus diesen Untersuchungsangeboten keine individuellen Ergebnisse bekannt. »Uns wurde mitgeteilt, dass keine Anhaltspunkte für medizinisch notwendige Folgeuntersuchungen vorgelegen haben, die auf den Brandeinsatz zurückzuführen wären«, schreiben Bürgermeister Jerg und Kommandant Zeiler.

Die Kameraden Rullmann und Voigtmann überzeugen die Antworten der Behörden nur bedingt. »Wir lassen uns nicht einlullen — wie Herr Jerg mit den Ehrenamtlichen umgeht, macht uns wütend.« Der Kampf gegen Windmühlen geht weiter. Die beiden Feuerwehrmänner positionieren sich im aktuell laufenden Bürgermeister–Wahlkampf für den Herausforderer Andreas Schmidt und beabsichtigen, den Petitionsausschuss des Landtags anzurufen. (ZAK)