GAMMERTINGEN. »Die haben gar nicht mehr mitbekommen, dass es anfängt zu brennen.« Dieser Satz eines angeblichen Beobachters kursiert nach dem großen Brand auf dem Gelände der Firma Reifen Göggel in allen möglichen Medien. Wer ihn gesagt hat und warum? Das weiß auch Joachim Pfänder nicht. Was er allerdings sicher weiß: »Diese Aussage ärgert mich enorm, weil’s so nicht war. Sie ist Quatsch und ziemlich schade. Die Einsatzkräfte haben alles getan, was in ihrer Macht steht, besser hätte man es nicht machen können.« Pfänder ist Pressesprecher des Kreisfeuerwehrverbands Sigmaringen und hat – wie seine Kollegen auch – abgesehen von unqualifizierten Einzelkommentaren durchweg Lob bekommen und auch an die Kameraden weitergegeben.
»Alle waren froh, dass wir da waren, das haben wir immer wieder auch von den Gästen gehört«, sagt Pfänder. Auf dem Gelände war – wie bei Festen üblich – ein Sicherheitswachdienst, der in der Regel aus einem Fahrzeug und fünf bis neun Mann besteht.
Eine kleine Mannschaft also, die im konkreten Fall schnell und richtig reagiert hat: »Sie haben genau das Richtige getan – nämlich dafür gesorgt, dass schnell Kräfte nachrücken, und parallel mit der Brandbekämpfung begonnen.« Und, auch das ist keine Kleinigkeit: Sie haben es offenbar so getan, dass unter den Hochzeitsgästen trotz der bedrohlichen Situation keine Panik ausgebrochen ist.
»Die Einsatzkräfte haben alles getan. Besser hätte man es nicht machen können«
Rund 380 Einsatzkräfte und 70 Fahrzeuge waren zu Spitzenzeiten am Brandort: Menschen aus vier Landkreisen – Sigmaringen, Reutlingen, Biberach und Zollernalb – haben sich innerhalb kürzester Zeit unter schwierigen Bedingungen zu einem effektiven Team formiert. Umso beachtlicher, wenn man bedenkt: Fast alle machen das ehrenamtlich. In einem Zelt wurde ein Führungs- und Lagezentrum aufgebaut, eingerichtet wie ein hochmoderner mobiler Besprechungsraum: mit Funk und Internet, Lagekarten vom Gelände und einem Monitor, auf den die Bilder der Drohnen-Wärmebildkamera übertragen wurden. »Dort haben sich die Einsatz- und Abschnittsleiter immer wieder getroffen, um abzustimmen, was wo zu tun ist.« Auch der Bürgermeister und Fachleute von der Umweltbehörde seien von Anfang an dabei gewesen, so Pfänder.
Eine wichtige Rolle im Einsatz-Szenario spielte auch ein Sonderfahrzeug des Gefahrgutzugs: Der »Erkunder« war die ganze Nacht über unterwegs, um Schadstoffmessungen zu machen und zu protokollieren. »Wenn Kunststoff verbrennt, gibt’s Ruß – und der ist nicht gesund«, sagt Pfänder. Also wurde ständig kontrolliert, ob Gefahr für die Bevölkerung besteht. Glück im Unglück: »Es war ziemlich windstill, die Rauchsäule ist senkrecht nach oben gegangen und hat sich nicht weiträumig im Wohngebiet verteilt.«
Für die Feuerwehrleute bedeuten Einsätze mit hoher Rauch- und Rußentwicklung, dass die körperliche Belastung extrem ist. In die Nähe des Brandherds durften ausschließlich Atemschutzträger. Für sie sind nicht nur Lehrgänge Voraussetzung, sondern auch körperliche Fitness, die mit Lungenfunktionstest und Belastungs-EKG von einem Arbeitsmediziner regelmäßig gecheckt wird. Und selbst dann: Nach 20 Minuten, sagt Pfänder, muss ein Feuerwehrmann unter Atemschutz an der Brandstelle von einem Kameraden abgelöst werden.
Hinzu kam die extreme Hitze: »Die Strahlungswärme war brachial. Einer der Feuerwehrmänner hat mir berichtet, dass er selbst 50 bis 70 Meter vom Feuer entfernt nur mit Helm und geschlossenem Visier stehen konnte«, erklärt Pfänder. Krass sind auch die Fotos, die er von einem Fahrzeug gemacht hat, das etwa 20 Meter vom Feuer entfernt gestanden hatte. »Der Lack ist beschädigt, Scheiben sind gesprungen, alle Kunststoffbauteile sind geschmolzen – das Blaulicht ist buchstäblich heruntergetropft.« Solche Schäden passieren, obwohl die Fahrzeuge beim Aufbau eines Löschangriffs im sicheren Bereich stehen, immer wieder: »Vor allem dann, wenn sich ein Feuer, so wie in diesem Fall, rasend schnell ausbreitet.« Und einfach wegfahren geht halt nicht, wenn Schläuche und Geräte an das Fahrzeug angeschlossen sind.
Wie heiß es an einem Einsatzort wird, hängt vor allem auch davon ab, was verbrennt. »Reifen brennen besonders intensiv. Die Stahlkarkasse innen drin wird sehr heiß – so heiß, dass sich das Gummi allein durch diese wahnsinnig hohe Energie wieder von selbst entzünden kann.« Deshalb, erklärt der Fachmann, sei in Gammertingen auch besonders viel Löschmittel erforderlich gewesen. Neben Wasser arbeiteten die Einsatzkräfte auch mit Sonderlöschmitteln. »Das sind meist Schaummittel, die – wie der Tropfen Spülmittel im Wasser auch – die Oberflächenspannung aufheben. So fließt das Löschwasser besser in das Brandgut hinein.«
»Alle Kunststoffbauteile sind geschmolzen, das Blaulicht ist buchstäblich heruntergetropft«
Wasser: Davon wurde in der Brandnacht und auch in den folgenden Tagen jede Menge gebraucht. Betriebe wie Göggel, erklärt Pfänder, haben – so will es das Baurecht – Löschteiche und -tanks inklusive Rückhaltebecken und Speicher, in denen das Löschwasser zurückgehalten und später kontrolliert abgepumpt werden kann. Die Maschinisten unter den Feuerwehrleuten haben zusätzlich die Lauchert angezapft: »Vom Fluss zu Göggel wurden zwei Schlauchleitungen aufgebaut, jede von ihnen hat allein sieben Pumpen gebraucht, um das Wasser da hoch zu befördern«, beschreibt Pfänder die Konstruktion.
Eine Verunreinigung von Gewässern, teilte das Landratsamt Sigmaringen mit, könne ausgeschlossen werden. Ob die freigesetzten Rußpartikel eine Gefahr für Umwelt und Menschen sind, ist noch nicht abschließend geklärt. Die Ergebnisse der Untersuchungen, die die Behörde veranlasst hat, stehen noch aus. Auf ihren Schadstoffgehalt hin analysiert werden Rußpartikel, die im Umkreis des Brandes niedergegangen sind, informiert Adrian Schiefer, Leiter des Dezernats Bau und Umwelt, auf GEA-Anfrage. Am Brandort selbst, an mehreren Stellen auf der Gemarkung Gammertingen (vom angrenzenden Wohngebiet bis zu einzelnen Teilorten Gammertingens) sowie in den Nachbarkommunen Neufra und Hettingen wurden Proben entnommen. »In diesen Bereichen zeigten sich die schwarzen Partikel besonders. Durch die gezielte Probenentnahme wird es nach dem Erhalt der Untersuchungsergebnisse auch möglich sein, Rückschlüsse für die Gebiete über den Untersuchungsraum hinaus festzustellen«, teilt Schiefer mit.
Untersucht werde auf besondere Schadstoffe, die sich bei solchen Verbrennungsvorgängen bilden können. Dazu gehören besondere Kohlenwasserstoffverbindungen, Dioxine und Furane sowie Schwermetalle. »Es handelt sich um Maßnahmen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes«, so Schiefer. Solange noch nicht sicher festgestellt sei, dass keine schädlichen Substanzen in den Rußpartikeln enthalten seien, sei Vorsicht geboten. Das gilt nicht nur für den Verzehr von Gemüse aus dem eigenen Garten, von dem abgeraten wird, sondern auch für Spiel- und Sportflächen: Es sei davon auszugehen, dass Gegenstände oder Sand von Kleinkindern auch in den Mund genommen werden.
Immerhin die Ausrüstung der Feuerwehrleute dürfte inzwischen wieder sauber sein: »Wir reinigen alles, Geräte und Kleidung, direkt nach dem Einsatz, um die Verschleppung von möglichen Gefahrstoffen zu verhindern«, sagt Pfänder. »Dekontaminiert« werden die Kleidungsstücke in einer Waschmaschine, die die Kreisfeuerwehr Sigmaringen eigens für die Dienstkleidung der ihr angehörenden Wehren angeschafft hat: »Wenn wir nicht mit Chemikalien in Berührung gekommen sind, reicht meistens eine normale Wäsche – aber eben nicht daheim, wo man anschließend wieder den Schlafanzug der Kinder in die Trommel steckt.«
Wer den Großeinsatz, der nicht ganz billig werden dürfte, am Ende bezahlen wird? »Dafür ist im Brandfall normalerweise die Gebäudeversicherung zuständig«, sagt Pfänder. »Das hängt aber auch davon ab, was bei den Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft herauskommt und ob – je nachdem, wer für den Brand verantwortlich war – Regressansprüche gestellt werden.« (GEA)