PFULLINGEN. Nicht im Traum hätten Schülerinnen und Schüler vor dem 17. März daran gedacht, dass Schulen einfach dichtmachen könnten. Die Schulschließung aufgrund der Corona-Pandemie stellte sie daher vor große Herausforderungen. Plötzlich fielen nie hinterfragte Strukturen weg, stattdessen war ein hohes Maß an Eigenverantwortung gefragt: Den Lernstoff auf unterschiedlichen Kanälen besorgen und im Blick behalten, die Lernzeit selbst einteilen, Rückfragen an Lehrer formulieren, erledigte Aufgaben verschicken.
Nick Rempfer, Silas Jirikowski und Jan Hauf sind Schüler des Friedrich-Schiller-Gymnasiums (FSG). Sie besuchen die fünfte beziehungsweise neunte Klasse und sind seit drei Wochen wieder in einem rollierenden Verfahren in den eingeschränkten Schulregelbetrieb eingestiegen. Anna Bieth und Jule Weiblen besuchen die Jahrgangsstufe 1 und werden nächstes Jahr ihr Abi machen. Daher haben sie schon seit Mai wieder Präsenzunterricht, zumindest in den Hauptfächern. Sie alle berichten im Interview über ihre Homeschooling-Erfahrungen. Zwei Gefühle haben alle gemeinsam: Unsicherheit und Leistungsdruck.
Was vermisst du aktuell am meisten an der Schule?
Nick: Mir fehlen am meisten meine Klassenkameraden. Außerdem vermisse ich sehr den direkten Kontakt zu den Lehrerinnen und Lehrern.
Silas: Mir fehlt die Struktur, ein geregelter Schulalltag. Am Anfang hat man versucht, ein System in den Arbeitsalltag zu bringen. Jetzt finden an immer anderen Terminen Videokonferenzen statt. Das bringt einen durcheinander.
»Ich steh um 11 Uhr auf – man muss das jetzt ja irgendwie ausnutzen«
Jan: Ich vermisse das gemeinsame Lernen und praktische Erklärungen oder zum Beispiel die Versuche in Chemie.
Jule: Der Austausch in Gruppen und mit Freunden fehlt mir. Es können zwar in gewissem Rahmen Gruppenarbeiten gemacht werden, aber es ist alles sehr unpersönlich und durch das Sitzen mit Abstand fühlt man sich isoliert. Das Tragen der Maske macht einem auch zu schaffen, wenn man zum Beispiel viele Treppen zu einem Zimmer laufen muss.
Was nervt dich an der jetzigen Lernsituation?
Nick: Es ist manchmal lästig und mühsam, sich den Stoff selbst anhand von Büchern und aus dem Internet zu erarbeiten. Und wenn ich etwas nicht gleich verstehe, muss ich warten, bis es mir meine Mama oder mein Opa erklären können.
Silas: Mich nervt der ständige Druck und, dass man immer denkt, man hätte etwas vergessen oder verpasst.
Jan: Dass man sich zu Hause die ganze Zeit Gedanken über die Schule macht. Mir fällt es schwer, ganz abzuschalten.
Jule: Dass es immer neue Bestimmungen gibt und man nicht weiß, was auf einen zukommt. In der einen Woche heißt es, es werden keine Arbeiten geschrieben, dann doch und jetzt auf einmal Kurztests.
Anna: Zum einen nervt es mich, dass alles so unklar ist. Man weiß nie, wie es weiter geht, ob man wieder alle Fächer hat. Auch im Hinblick auf das Abitur nächstes Jahr sind definitiv zu wenig Informationen vorhanden.
Was waren deine Gedanken, als du erfahren hast, dass die Schule schließt?
Silas: Ich dachte mir einfach, endlich hat der Druck mal ein Ende. Aber so war es ja dann ja gar nicht.
Jan: Zunächst war ich glücklich über längere Osterferien. Allerdings habe ich recht schnell realisiert, dass das Lernen zu Hause doch nicht immer so leicht geht.
Wie ist dir die Umstellung vom Präsenzunterricht auf das digitale Homeschooling gelungen?
Nick: Da ich mit digitalen Medien schon recht gut umgehen kann, war die Umstellung für mich nicht allzu schwer. Anfangs hatte ich etwas Probleme mit der zeitlichen Einteilung der Aufgaben. Die Rückmeldung der erledigten Aufträge an die Schule hätte ich ohne meine Mutter nicht geschafft.
Jule: Die Umstellung hat ganz gut funktioniert. Ich habe mir morgens den Wecker gestellt. Das hat leider nicht immer geklappt. Schwierig fand ich, den Überblick über die Aufgaben und Abgabetermine zu behalten und einzuschätzen, ob das, was ich mache, ausreicht.
Anna: Ich fand die Umstellung von frontal auf digital recht einfach und vor allem fließend. Die Lehrer hatten uns bereits vor der Schulschließung die Arbeitsplattform Moodle erklärt. So konnte man dann schon direkt am Montag starten, fast als ob es ein ganz normaler Schultag wäre.
Wie gut kannst du zu Hause arbeiten?
Jule: Ich habe mit meinem Laptop in meinem Zimmer gearbeitet. Das war kein Problem. Allerdings musste ich einen Teil der Materialien, die wir bekommen haben, bei meinem Vater im Geschäft ausdrucken. Das war etwas umständlich.
Anna: Die einzige Schwierigkeit, die sich mir stellte, war auch das Ausdrucken der ganzen Arbeitsblätter, denn die Druckerpatronen hatten ja dank Corona eine recht lange Lieferzeit.
Hat sich die Lernmotivation im Verlauf der letzten Wochen verändert?
Silas: Am Anfang hatte ich noch eine recht große Lernmotivation, da die auch von den Lehrern und Mitschülern vermittelt wurde. Das ist weniger geworden.
Jan: Am Anfang fiel es mir ziemlich leicht. Doch es wurde immer schwerer. Inzwischen fällt es mir ehrlich gesagt sehr schwer, mich zu motivieren.
Jule: Dadurch, dass ich jeden Tag spätestens um 9 Uhr aufgestanden bin und mir das Ziel gesetzt habe, bis zum Mittagessen meine Aufgaben erledigt zu haben, ging das eigentlich ganz gut.
Anna: Mir fiel es immer relativ leicht, mich zu motivieren, da meine Eltern auch im Homeoffice waren und einen ähnlichen Tagesablauf hatten wie ich. Natürlich gab es Phasen, in denen die Motivation niedriger war, aber so ist es ja auch in der normalen Schule.
Wie sieht dein typischer Tagesablauf zurzeit aus?
Nick: Ich stehe früh auf und beginne direkt nach dem Frühstück mit den Aufgaben. Wenn ich Hilfe brauche, wende ich mich telefonisch oder per WhatsApp an meine Mutter, die ja beim Arbeiten ist, oder an meinen Opa.
Silas: Ich stehe um 11 Uhr auf. Das ist spät, aber man muss das jetzt ja irgendwie auch ausnutzen. Um 12 Uhr beginne ich mit den Arbeitsaufträgen, die meistens zwei Stunden dauern. Danach mache ich Sport. Das ging während der Schulzeit nicht jeden Tag.
Anna: Seitdem ich wieder in die Schule darf, stehe ich morgens eindeutig motivierter auf, um in den Unterricht zu gehen und vor allem, um meine Freunde zu treffen, die ich fast zwei Monate nicht sehen konnte. Nach dem Unterricht erledige ich die Aufgaben, die mir an diesem Tag per E-Mail oder Moodle geschickt wurden. Und natürlich habe ich jetzt auch wieder die normalen Hausaufgaben.
»Einige Lehrer haben auch gefragt, wie man mit der Situation klarkommt«
Wie sieht der Kontakt zu deinen Lehrern aus? Welchen Einfluss hat/hatte dieser auf dich?
Nick: Der Kontakt war per E-Mail oder über Moodle problemlos. Ich habe immer schnelle Antworten auf meine Fragen erhalten. Außerdem bekomme ich auch Feedback zu den erledigten Aufgaben.
Jan: Mit fast allen Lehrern ist der Kontakt sehr gut. Man schreibt E-Mails und telefoniert auch mal. Mit manchen Lehrern hatte ich allerdings gar keinen Kontakt. Das fühlt sich komisch an.
Anna: Einige Lehrer fragten regelmäßig auch nach, wie es einem geht und ob man mit der Situation klarkommt. Dadurch fühlte man sich gut aufgehoben und auch als Mensch bedacht, nicht nur als Schüler.
Was vermisst du nicht an der Schule?
Nick: Den Lärm im Klassenzimmer.
Jan: Das frühe Aufstehen.
Jule: Das Gedränge in den Gängen nach der Pause, wenn alle ins Zimmer laufen.
Wie hoffst du, dass es weitergeht?
Nick: Ich hoffe, dass ich wieder in die Schule darf.
Silas: Ich hoffe auf Veränderung, dass sich die Politik mehr für Interessen und Bedürfnisse der Jugendlichen einsetzt.
Jan: Ich habe keine Lust mehr auf ewiges Alleinlernen. Auch wenn man wieder früh aufstehen, in heißen Klassenzimmern sitzen und auf dreckige Toiletten gehen muss, ist das besser als Homeschooling.
Jule: Ich hoffe nicht, dass wir wieder alle Fächer und unseren normalen Stundenplan haben, da ich es wichtiger finde, in den Hauptfächern den Stoff nachzuholen.
Anna: Ich hoffe, dass wir wieder alle Fächer haben, auch die Nebenfächer, sonst mache ich mir Sorgen um mein Abitur. Der Unterricht in der Schule ist lehrreicher als jedes Homeschooling. (GEA)