PFULLINGEN. »Gebt uns das Geld, wir würden es als Kommunen schon sinnvoll ausgeben.« Dieser Satz von Pfullingens Bürgermeister Stefan Wörner stand am Donnerstagabend in der Stadtbücherei zwar nicht unbedingt im Zentrum der Diskussion über das Verhältnis zwischen der EU und den Kommunen. Aber: Die Kritik an der Europäischen Union wurde dadurch doch sehr deutlich. »Die Antragstellung für Fördermittel aus dem Topf der EU ist zu komplex, zu misstrauisch und bedeutet für uns unglaublich viel Arbeit«, so der Rathauschef in der Diskussion, zu der die VHS Pfullingen geladen hatte.
Allerdings äußerte Wörner auch viel Verständnis: »Es gibt ja schon in Pfullingen ganz unterschiedliche Interessen, auf EU-Ebene sind es mit 27 Ländern dementsprechend noch viel mehr.« Die Demokratie, die hinter diesem Prinzip stehe, sei jedoch immer noch die beste aller Regierungsformen. Und genau dort geht ja bekanntlich »alle Staatsgewalt vom Volke aus«, wie Annegret Eppler als Podiumsteilnehmerin betonte. »Die Kommunen sind der Dreh- und Angelpunkt von allem«, sagte die Professorin an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl. »Manche Prozesse in Brüssel sind komplex und langwierig, aber die Legitimation muss von unten, vom Wahlvolk kommen.«
Dass die Kommunen mit den Richtlinien der EU nicht gegängelt werden, sondern dass aus Brüssel auch viel Geld kommt, betonte Wörner. »Unsere Klosterkirche wurde mit Fördermitteln der EU saniert.« Doch es geht in der EU nach den Worten von Renke Deckarm auch um die großen Probleme wie Klimawandel, gemeinsame Sicherheitspolitik, Lärm-, Luft- und Grundwasserschutz: Eine Menge Themen würden in Brüssel verhandelt. Und dementsprechend auch Gesetze oder Richtlinien erlassen.
»Die Umsetzung dieser Richtlinien ist dann allerdings den Kommunen vor Ort überlassen«, so Deckarm, der als Leiter der EU-Regionalvertretung für Süddeutschland in München sitzt. Eine Einbahnstraße sei das aber nicht. »Es gibt bayerische und baden-württembergische Vertreter in Brüssel, die auch gehört werden«, so Deckarm. »Das System ist tatsächlich sehr komplex, es ist ja gewollt, dass alle beteiligt sind und alle mitbestimmen«, betonte Eppler. Dabei werde »bewusst nicht von oben nach unten regiert, im Moment ist das die beste Lösung, die wir haben«, so die Professorin.
Renke Deckarm verwies auf einen anderen Punkt: »Das Gegenteil von Bürokratie ist Chaos – wir können nun mal nicht in jedem Ort Gespräche mit allen Bürgermeistern führen und uns davon überzeugen, dass sie die Fördermittel auch sinnvoll ausgeben.« Aber: Bevor Richtlinien ins Parlament eingebracht werden, würden Kommunen sehr wohl konsultiert. Das Modell sei offensichtlich erfolgreich, denn: Nicht umsonst würden viele weitere Staaten ebenfalls gern Mitglied in der EU werden, »weil wir so erfolgreich sind«.
Natürlich gebe es Lobbyismus in Brüssel – und zwar noch mehr als in Berlin. Alle seien dort: von den Autofirmen über die evangelische Kirche, Sozialverbände, Landwirtschaft, Greenpeace und ganz viele mehr. »Ein Kritikpunkt könnte schon sein, wer wie viel Geld in den Lobbyismus in Brüssel steckt«, sagte Renke Deckarm. Nachdem GEA-Redakteurin Berya Yildiz Inci als souveräne Moderatorin ihre Fragen beendet hatte, durfte das Publikum ran: »Wenn wir in Pfullingen den Lärmaktionsplan der EU umsetzen, passiert das dann in Sizilien genauso?« Das wollte ein Zuhörer wissen.
»Gerade beim Lärmaktionsplan hinkt Deutschland hinterher – und das passiert auch in anderen Bereichen«, sagte der Insider Deckarm. Ob aber die Datenschutzgrundverordnung in Österreich vielleicht nicht ganz so streng angewendet werde wie in Deutschland, das sei eine andere Sache. Aber: Es gebe ja das Mittel der Vertragsverletzungsklage vor dem Europäischen Gerichtshof. Wenn sich nach einem Urteil immer noch nichts ändere, dann werde es für die verletzenden Staaten richtig teuer.
Stefan Wörners Ausspruch »Wir alle sind Europa« griff eine Zuhörerin auf. »Die Zahl der EU-Skeptiker und Gegner nimmt doch zu, was können wir tun?«, fragte sie. Ganz so schlimm sei es doch nicht, entgegnete Renke Deckarm. »Wir sind da zu pessimistisch.« Nach dem Brexit sei die Zustimmung in allen anderen Ländern der EU gestiegen. Und eine Umfrage habe gezeigt, dass bei der Wahl am 9. Juni zehn Prozent mehr der potenziellen Wählerinnen und Wähler ihre Stimme abgeben wollen, als das bei der vergangenen Europawahl der Fall war. »Das ist doch eine gute Nachricht«, so Renke Deckarm. (GEA)