BAD URACH. Er ging als Angestellter einem Beruf nach und verhielt sich nach außen hin völlig unauffällig. Trotzdem wurde der 59 Jahre alte Italiener in Bad Urach Mittwochnacht um vier Uhr von Beamten des Spezialeinsatzkommandos (SEK) aus dem Schlaf gerissen und festgenommen. Der Grund: Der Mann soll Mitglied der Ndrangheta - der kalabresischen Mafia - sein und im Verdacht stehen, einen Mord in seinem Heimatland begangen zu haben beziehungsweise daran beteiligt gewesen zu sein. Das bestätigt ein Sprecher des Landeskriminalamts (LKA) auf GEA-Nachfrage.
Im Jahr 2000 soll der Mann gemeinsam mit anderen Mafiosi einen Angehörigen eines rivalisierenden Ndrangheta-Clans in einer Kleinstadt in Kalabrien in einen Hinterhalt gelockt haben. Das Opfer wurde durch einen Kopfschuss getötet. Hintergrund dieser Tat soll den Ermittlungen zufolge eine Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Ndrangheta-Gruppierungen gewesen sein. Bei diesem Mord soll es sich um eine Racheaktion für ein anderes Tötungsdelikt gehandelt haben.
Akribische verdeckte Ermittlungen
»Das Gericht in Catanzaro hatte am 22. August einen europäischen Haftbefehl ausgestellt«, heißt es seitens des LKAs. Zusätzlich habe es Hinweise aus den USA gegeben, die den Mann mit Kinderpornografie in Verbindung bringen. Wie man ihm letztendlich genau auf die Schliche kam, könne aus ermittlungstaktischen Gründen nicht verraten werden. Nur so viel: »Vorausgegangen waren umfassende Abstimmungen mit den italienischen Behörden, ebenso wie akribische verdeckte Ermittlungen der Spezialistinnen und Spezialisten des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg, um den Aufenthalt des Gesuchten zu verifizieren.«
Hintergrund
Knapp ein Viertel der Angehörigen der italienischen Organisierten Kriminalität in Deutschland lebt in Baden-Württemberg. Rund 170 Personen zählte das Innenministerium Anfang Juli. Der verhältnismäßig hohe Anteil im Land ergebe sich zum einen aus der Nähe zu Italien. Zum anderen seien jedoch auch die Wirtschaftskraft des Südwestens und der große Bevölkerungsanteil mit italienischen Wurzeln die Gründe. Das Spektrum der Straftaten geht laut Ministerium vom betrügerischen Handeln mit Lebensmitteln über den illegalen Rauschgifthandel, Waffendelikte und Geldwäsche bis hin zum Steuerbetrug. (dpa)Nach LKA-Angaben hat der 59-Jährige bereits seit rund vier Jahren mit seiner Familie in Bad Urach gewohnt. Bei seiner Festnahme habe der Mann keinen Widerstand geleistet. Ob bei ihm kinderpornografische Bilder oder Videos, Waffen oder anderes für die Justiz relevantes Material gefunden wurde, sei noch nicht bekannt. »Das wird derzeit noch ausgewertet.« Fest stehe auch noch nicht, ob der Festgenommene der einzige in Deutschland lebende Verdächtige im Zusammenhang mit dem Mordfall von 2000 ist. »Da fehlen uns noch Informationen aus Italien.«
Erst U-Haft, dann Auslieferung?
Der Beschuldigte aus Bad Urach wurde im Laufe des Mittwochvormittags dem Ermittlungsrichter vorgeführt und kam anschließend in Untersuchungshaft. »Später wird höchstwahrscheinlich ein Auslieferungsverfahren angestoßen werden«, so der LKA-Sprecher. Die deutsche Justiz entscheide dann, ob der Mann ausgeliefert wird. Beim Landeskriminalamt geht man davon aus, dass das auch passiert. In Italien erwartet den 59-Jährigen ein Prozess wegen vorsätzlicher Tötung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach Art der Mafia.
Andreas Stenger, Präsident des LKA, äußerte sich in einer Pressemeldung wie folgt zu dem Fall: »Es ist kein Geheimnis, dass in Baden-Württemberg Personen leben, die Bezüge zur Mafia haben oder ihr gar angehören. Für diese Kriminellen sind wir aber weder ein Aktionsraum, noch können sie sich nach Straftaten bei uns zurückziehen und ein scheinbar bürgerliches Leben führen.« Die Festnahme unterstreiche, dass seine Behörde die Aktivitäten der italienischen organisierten Kriminalität permanent im Fokus habe und ihre Machenschaften mit hohem Nachdruck verfolge. (GEA/pm)