REUTLINGEN/BAD URACH. Wiederholungstäter, unbelehrbar. Mit zwei Worten kann man den 33-jährigen Mann aus Bad Urach beschreiben, der in diesem Jahr schon zwei Mal vor dem Reutlinger Amtsgericht stand. Er hat in den letzten Jahren immer und immer wieder junge Mädchen übers Handy angebaggert und sexuelle Bilder und Videos verlangt - und erhalten. Im Januar stand er deshalb zum ersten Mal vor dem Reutlinger Amtsgericht und wurde zu einer Haftstrafe verurteilt. Schon damals war klar, dass er noch mehr auf dem Kerbholz hatte.
Bei der von ihm angestrengten Berufungsverhandlung im Landgericht Tübingen glänzte er mit Abwesenheit. Jetzt stand er erneut wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern ohne Körperkontakt und Besitz von Kinderpornografie vor Richter Eberhard Hausch. Das neue Urteil: drei Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe. Die Geschichte geht weiter - er hat erneut Berufung eingelegt, muss aber jetzt erst mal für zweieinhalb Jahre ins Gefängnis.
Im Gerichtssaal
Richter: Eberhard Hausch. Staatsanwalt: Alexander Bauer. Schöffen: Annette Jung, Stephanie Blickle.
»Zeig mal Bilder von dir.« So beginnt der Chat, mit dem der damals 29-jährige Mann aus Bad Urach im August 2020 um 11.15 Uhr über Whatsapp an ein elfjähriges Mädchen herantrat. Vier Minuten später schickte sie ihm zwei Fotos, auf denen sie gemeinsam mit einem Pferd zu sehen war. Spätestens hier hätte er sehen müssen, dass das Mädchen noch lange nicht das 14. Lebensjahr erreicht hatte. Was ihn ganz offensichtlich nicht interessierte - im Gegenteil: Er forderte das Kind mit eindeutigen Worten auf, mehr zu zeigen - viel mehr. Nicht nur mehr von ihrem Intimbereich, sondern auch Bilder und Videos, die zeigen, wie es sexuelle Handlungen an sich vornimmt. Kurz vor 16 Uhr hatte er, was er wollte.
Der Mann gab sich als 15-Jähriger aus
Das elfjährige Mädchen blieb nicht sein einziges Opfer: Sieben Monate später nahm er Kontakt mit einer Zwölfjährigen auf, die auf Nachfrage nach ihrem Alter angab, sie sei 13. Der Mann gab sich als 15-Jähriger aus und forderte auch sie auf, sexuelle Handlungen an sich vorzunehmen und ihm Fotos und Videos davon zu schicken. Was auch dieses Mädchen tat. Einen Tag später machte er weiter und forderte in noch deutlich drastischeren Worten einschlägige Bilder und Videos. Auch die bekam er und speicherte sie wie die vorangegangenen auf seinem Smartphone ab.
So ging es weiter. Ein paar Tage später schrieb er erneut. Das Mädchen konnte und wollte diese Mal nichts liefern, weil sie mit ihren Eltern im Zug saß. Also legte der Mann am Tag danach nach. Dieses Mal mit etwas mehr Erfolg. Weil das Mädchen nicht mehr zeigen wollte, drängte sie der Mann durch weitere sehr explizite und derbe Text- und Sprachnachrichten. Keine Woche später und in den Tagen danach dasselbe Spiel. Das Mädchen folgte »Daddy«, wie sich der Mann zwischendurch anreden ließ, bereitwillig. Als das Mädchen ein paar Tage später nicht wollte wie er und auch mal »Das ist falsch« schrieb, bezeichnete er sie als »viel zu verklemmt« und bedrängte sie weiter mit heftigen Text- und Sprachnachrichten.
Mitglied in einschlägigen Portalen
Der Mann bedrängte nicht nur die zwei Mädchen aus Schwaben und dem Ostalbkreis, er war auch Mitglied in einschlägigen Portalen, von denen er 59 Bilder und 120 Videos erhielt und auf seinem Handy speicherte, die teils schweren sexuellen Missbrauch von Kleinkindern zeigen. Am 19. Mai 2021 stand die Polizei vor seiner Tür und durchsuchte die Wohnung. Auf die Spur gekommen war sie ihm, weil sie seine Nummern in einschlägigen kriminellen Chatgruppen gefunden hatte.
Im Januar stand der Mann vor dem Reutlinger Schöffengericht. Angeklagt wegen schweren sexuellen Missbrauchs. Auch wenn die Kriminalpolizistin aus dem Ostalbkreis das Mädchen als »frühreif« bezeichnet hatte - sie hatte nicht nur mit dem Mann aus Bad Urach, sondern mit 10 bis 15 anderen Männern sexuelle Chats geführt - und Pflichtverteidigerin Margarete Haimayer ihrem Mandanten ein »extrem kindliches« Gemüt bescheinigt hatte, der sich in der »Sterilität des Netzes« versteckt habe: Staatsanwalt Schumann hatte drei Jahre gefordert. »Ich habe erhebliche Zweifel daran, dass er keine pädophilen Neigungen hat«, lautete seine Begründung.
Richter Eberhard Hausch war dagegen zusammen mit seinen Schöffen Michael Donth und Frank Glaunsinger zu einem Urteil von zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe gekommen. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings schon klar, dass der Mann sich von der Durchsuchung nicht hatte beeindrucken lassen: Die Polizei stand ein zweites Mal vor seiner Tür, weil er einschlägig weitergemacht hatte. »Er hat den Gong erst nach der zweiten Durchsuchung gehört«, so Pflichtverteidigerin Margrete Haimayer. Der Mann selbst hatte damals gesagt: »Die Reue ist da - ganz klar« und in Aussicht gestellt, sich psychologische und psychiatrische Hilfe zu holen.
Richter Eberhard Hausch einigermaßen fassungslos
Jetzt stand er wieder vor dem Reutlinger Amtsgericht. Man darf sich Richter Eberhard Hausch bei dieser Verhandlung einigermaßen fassungslos vorstellen. »Der Mann hat offensichtlich nichts gelernt«, so der Vorsitzende, »rein gar nichts.« Zwischen der ersten und der zweiten Verhandlung sind nämlich ein paar sehr unglaubliche Dinge passiert: Der Mann hatte gegen das Urteil vom Januar Berufung eingelegt. Die wird in der nächsten Instanz, im Landgericht Tübingen, verhandelt. Anfang Oktober war die gesamte Juristerei vor Ort. Mit Abwesenheit glänzte der Mann, der Berufung gegen das Urteil eingelegt hatte.
Weil man in Sorge war, dass sich der verurteilte Straftäter etwas angetan haben könnte, ließ man ihn von der Polizei suchen. Dem Mann ging's bestens, er hatte sich einfach vor der Verhandlung gedrückt. So wie jetzt wieder: Auch vor dem Reutlinger Amtsgericht glänzte er erst mal mit Abwesenheit. Also wieder die Polizei, die ihn bei der Arbeit antraf. Beim zweiten Anlauf im Gerichtssaal gab der Mann zu Protokoll, er sei jetzt bereit für eine Therapie, »um für die Zukunft vorzubauen«. Er habe bereits Kontakt mir der Uniklinik Tübingen aufgenommen. Auch seiner Familie gegenüber habe er sich geoutet, so seine Pflichtverteidigerin Margrete Haimayer, und dort Rückhalt erfahren.
Wie geht man mit einem derart unbelehrbaren Straftäter um? Staatsanwalt Alexander Bauer hält dem 33-Jährigen zugute, dass er die Taten vollumfänglich eingeräumt hat. Und dass der schwere sexuelle Missbrauch nur übers Handy gelaufen ist - also ohne Körperkontakt. Aber: »Er hat sich völlig unbeeindruckt von der Durchsuchung gezeigt und weitergemacht.« Er professionalisierte seine Vorgehensweise sogar noch, indem er die Kommunikation auf die Plattform Snapchat verlagerte, in der sich die Posts nach kurzer Zeit selbst löschen. Das Bekenntnis, die Taten täten ihm leid, ist für den Staatsanwalt nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Konsequent plädierte er für eine Freiheitsstrafe von vier Jahren.
Drei Jahre und neun Monate
Pflichtverteidigerin Margrete Haimayer erklärt sich das Fernbleiben ihres Mandanten von der von ihm selbst angestrengten Berufungsverhandlung damit, dass er ein weiteres Mal den Kopf in den Sand gesteckt habe. »Spät aber nicht zu spät hat er den Kontakt zu einem Therapeuten aufgenommen«, so die Juristin. Und: Der junge Mann, der jetzt definitiv hinter schwedische Gardinen muss, »ist erheblich strafempfindlich - im Gefängnis ist er in der untersten Kette«. Ihr Plädoyer: nicht mehr als drei Jahre und drei Monate. Richter Eberhard Hausch und seine Schöffinnen Annette Jung und Stephanie Blickle war das zu wenig. Drei Jahre und neun Monate lautet ihr Urteil.
Auf GEA-Nachfrage teilte der Richter jetzt mit, dass der 33-Jährige gegen das Urteil schon wieder Berufung eingelegt hat. Was aber jetzt erst mal nichts ändert: »Erst mal muss der Mann die zweieinhalb Jahre vom ersten Urteil absitzen«, so Hausch, »daran ändert die Berufung nichts.« Was danach kommt, ist schon deshalb offen, weil auch die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Berufung eingelegt hat. Den Tübingern sind die drei Jahre und neun Monate für den ganz offensichtlich unbelehrbaren Mann zu wenig.