METZINGEN. Sie nennen es »ein Format«. Und mit diesem multimedialen Event füllten die drei Macher, hinter denen ein riesiges Team und zwei Jahre harte Arbeit stecken, am Sonntagabend die Metzinger Stadthalle. »Noname – Fragmente eines Sommers« war ein Popkonzert mit großem Orchester samt Video und Lesung oder »Literarisches Konzertkino«, schon Neuland also. Und es wurde mit begeistertem Beifall aufgenommen.
Nona, die Hauptfigur von Film und Geschichte, gewissermaßen auch von den Songs und ihren englischen Texten, ist eine junge Frau, die vom Land in die große Stadt aufbricht, in die Big City. Zwischen Frauen-WG, Fitness-Studio, Uni und Clubs sucht sie sich selbst oder das Leben hinter Handy und sozialen Netzwerken, die wichtig und fast allgegenwärtig sind.
Vom literarischen Thema her liegt das als zeitgenössische Variante zwischen großen Vorlagen wie Salingers »Fänger im Roggen« oder »Bonjour Tristesse« von Françoise Sagan. Aber die Vorleserin Leonie Krohmer im stilechten alten Ohrensessel erzählt die Texte der Autorin Edith Spieler als atmosphärisch dichte Kurzgeschichten über Gefühle, weniger über Geschehnisse und äußere Handlung.
Ein cooles Buchstabenspiel
Auf der Leinwand im Hintergrund laufen – gelegentlich schnell geschnittene, animierte oder verfremdete – Szenen von Regisseur und Keyboard-Musiker Michael Korneck, in denen diese Bewusstseinszustände von Nona, dargestellt durch Helen Spieler, die Schwester der Autorin, bildstark illustriert werden. Vor dem sinfonisch groß besetzten Kammerorchester Metzingen unter der Leitung von Oliver Bensch, singt Denis Weitmann die von ihm komponierten und getexteten Songs, manchmal mit E-Gitarre, während der Rest seiner Band im Hintergrund bleibt.
Mit dem Zusatz »Noname« lassen sich Titel oder Hauptfigur als »Namenlos« oder als »Ich, Nona« lesen, ein hübsches, ein cooles Buchstabenspiel, was wohl eine gewisse Allgemeingültigkeit dieser Mädchengestalt unterstreichen soll. Ohne die Vorgeschichte lässt sich das mit hoher Professionalität geglückte Experiment nicht beschreiben und verstehen. Die Idee war in der Band Tonic Tales entstanden, die sich mit ihren kleineren Gigs in der Region nicht ausgelastet sah, zumal Denis Weitmann an der Mannheimer Popakademie studiert und Michael Korneck als Pianist und Dettinger Klavierlehrer mit Stuttgarter Examen seine autodidaktisch angeeigneten Fertigkeiten als Filmer und Videoproduzent einbringen wollte. Die zwei wandten sich an Edith Spieler, die im Metzinger Bonhoeffer-Gymnasium gegangen ist, in Passau Europa, Kunstgeschichte und Französisch studiert und zwei Literaturpreise gewonnen hat.
Neben dem Kammerorchester ließen sich auch die Bläser der Metzinger Stadtkapelle unter der Leitung von Christoph Kolb gewinnen, zahllose Helfer und Statisten fürs Filmteam und die Technik sowie zuletzt großzügige Sponsoren und Unterstützer aus der ganzen Metzinger Stadtkultur. Die sinfonische Musik zu den Songs – überhaupt nicht schlagerhaft, aber auch nicht sperrig, ganz wie die Texte auch – mag noch nicht an Leitbilder wie den Oscarpreisträger Hans Zimmer oder Ennio Morricone heranreichen, doch die Richtung stimmt.
Gefühl wachsender Entfremdung
Vielleicht ist die Sprache dieser Story in ihren Metaphern und Bildern zuweilen etwas klischeehaft. Vielleicht gingen die wundervollen Bilder vom Radeln mit dem holländischen Retro-Bike durch herrliche Herbstlandschaften nicht ganz in eins mit der Sommerzeit der Erzählung und passten auch nicht vollkommen schlüssig zum Gefühl wachsender Entfremdung in Nonas neuer Stadtwelt, die oft so trist und so kalt und so leer ist. Aber das sind nur kleine Einwände gegen ein fast perfekt umgesetztes Konzept, das vom Publikum am Schluss zu Recht gefeiert wurde.
»Und auf einmal ist er da, der Moment, auf den du schon so lange gewartet hast«, wo Nona also aus ländlicher Enge in die große Stadt aufbricht. Nach all dem Leerlauf, all der wachsenden Leere und Sinnlosigkeit dort scheint Nona am Ende doch so etwas wie eine neue Liebe zu finden, nicht als »Boy-meets-girl« wie einst, sondern in der Variante unter Frauen, nur sehr sacht angedeutet. Und nach all diesen gruseligen Nachtwegen durch abgefuckte Unterführungen und vermüllt düstere Straßen kann sie schließlich sagen: »Zum ersten Mal habe ich heute keine Angst mich zu verlaufen.« (GEA)