METZINGEN. Die Corona-Pandemie verzögerte die Recherchen und die Herstellung. In den vergangenen Jahren kamen die »Spuren«, die Zeitschrift des Arbeitskreises Stadtgeschichte Metzingen, immer im Juli heraus. Die diesjährige Ausgabe kann erst jetzt erscheinen, dafür ist sie umfangreicher als die früheren Hefte und greift ein aktuelles Thema auf: Die Redaktion hat den von der Pandemie geprägten Alltag zum Schwerpunktthema gemacht. Regine Lotterer beschreibt kenntnisreich und anschaulich Corona-Monate, die schon Geschichte geworden sind und immer noch unsere Gegenwart bestimmen. Sie geht in ihrem von Thomas Kiehl bebilderten Text den ersten Wochen der Pandemie im Ermstal nach, als sich in den Supermärkten die Regale leerten, Kitas und Schulen schließen mussten, die Kirchen leer blieben, Kurzarbeit und Homeoffice eingeführt wurden und es generell hieß, Abstand zu halten »und auf dem Sofa zu bleiben«. Der Lockdown betraf alle, das öffentliche Leben stand still, das private Leben wurde eingeschränkt.
Mehr zum Kelternverein
Als Oberbürgermeister Dr. Ulrich Fiedler beim Neujahrsempfang im Januar zu den Bürgern sprach, konnte er von dieser Entwicklung noch nichts ahnen. Seine Rede wird in dem Heft dokumentiert. Regine Lotterer befragte ihn im Mai zu den Auswirkungen der Coronakrise in der Sieben-Keltern-Stadt und Realschulrektor Jürgen Grund zu deren einschneidenden Folgen für die Schulen.
Lotterer zeichnet auch die Geschichte der Bürgerinitiative Mittlere Kelter in Neuhausen und des Neuhäuser Kelternvereins nach, der mit seinem ehrenamtlichen Einsatz ein bedeutendes wirtschaftliches Kulturerbe im Ermstal vor dem Abriss gerettet hat und bis heute betreut. Im Gespräch mit Karl Schäfer und Kurt Hau vertieft sie das Thema. Neben der Pandemie und dem immer deutlicher hervortretenden Klimawandel beunruhigt viele Menschen seit Jahrzehnten auch ein anderes Problem: die stetig wachsenden Müllberge. Dr. Christiane Hauber hat intensiv im Stadtarchiv recherchiert und kann so anschaulich beschreiben, wie in Metzingen bis in die 1970er-Jahre mit den wachsenden Müllmengen umgegangen wurde. Alexander Lauer stellt dazu eine Habilitation vor, die sich grundsätzlich mit dem Thema Müll befasst. In einem weiteren Beitrag zeigt Hauber, welche Bedeutung das Mühlwehr an der Erms für die Industrialisierung Metzingens hatte.
Christen am Kriegsende
Der Veranstaltungsring Metzingen wird in diesem Jahr 65 Jahre alt. Die Pandemie hat die geplante Jubiläumsfeier verhindert, Konrad Kramer, der Vorsitzende des VRM schildert in seinem Text mit vielen Abbildungen die Anfänge dieser wichtigen, heute nicht mehr wegzudenkenden großartigen Kultureinrichtung in Metzingen und spannt dabei einen großen Bogen bis zur Gegenwart.
Die »Spuren« schauen 75 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg auch auf dessen Ende zurück. Rudolf Renz dokumentiert, wie noch Ende März 1945 die »Deutschen Christen«, die es auch in Metzingen gab, hier aber eine verschwindende Minderheit waren, den Charakter und die Akteure dieses fürchterlichen Krieges einschätzten, Gott auf ihrer Seite wussten und von ihm noch in letzter Minute den Sieg erhofften.
Claudia Reicherter schaut noch weiter zurück: Sie stellt den »Roten Winkel«, die Kommune am Grünen Weg in Bad Urach vor. Diese wurde von dem Dettinger Karl Raichle in den 1920er-Jahren gegründet. Ihr gehörten später berühmt gewordene Leute wie der Schriftsteller Theodor Plievier, der Dichter Erich Mühsam und der Dichter und erste Kulturminister der DDR Johannes R. Becher an. Ihr besonderes Augenmerk gilt jedoch Gregor Gog, dem »König der Vagabunden«, über den im letzten Jahr eine Graphic Novel erschienen ist.
Ein besonderer Beitrag ist das einfühlsame Porträt, das der bekannte Autor und Kolumnist der Süddeutschen Zeitung, Dr. Heribert Prantl von dem in Metzingen geborenen und im vergangenen Jahr verstorbenen, früheren Außenminister Dr. Klaus Kinkel verfasst hat. Alle Textbeiträge des neuen »Spuren«-Hefts sind reich bebildert. (eb)
WO DAS HEFT ZU HABEN IST
Das »Spuren«-Heft des Arbeitskreis Stadtgeschichte ist In den Buchhandlungen Osiander und Widmann, in der Papeterie Ströbel in der Schönbeinstraße, bei der Tourist-Information auf dem Lindenplatz, in Neuhausen beim Kiosk Lutz und in Bad Urach in der Buchhandlung am Markt erhältlich. Das reich bebilderte Heft hat mit 112 Seiten einen größeren Umfang als seine Vorgänger, kostet aber wie in den vergangenen Jahren 10 Euro. (eb)