TÜBINGEN. Nachdem der Tübinger Gemeinderat die Kürzung der Kita-Öffnungszeiten beschlossen hat (der GEA berichtete), wendet sich Oberbürgermeister Boris Palmer jetzt in einem Brief an die baden-württembergische Kultusministerin Theresa Schopper. Er kritisiert die Regelung, Zusatzkräfte in der Kinderbetreuung seit Herbst nur noch im Doppelpack einzusetzen. Das sei nicht tragfähig.
»Konnten wir in der Pandemie die zweite Fachkraft 1:1 durch eine Zusatzkraft ersetzen, so müssen jetzt zwei Zusatzkräfte gleichzeitig anwesend sein, um den Betrieb einer Kita-Gruppe weiterführen zu dürfen, wenn nur noch eine Fachkraft verfügbar ist«, schreibt Palmer.
Zusatzkräfte seien nie Vollzeitkräfte. »Sie decken Randzeiten ab und arbeiten meist in kleinen Deputaten, oft nur an bestimmen Tagen. Es ist nahezu unmöglich, diese Kräfte zu einem Doppel zusammenzuspannen, das den Kitabetrieb weiterführen darf. Im Ergebnis haben wir von über 50 Zusatzkräften vor einem Jahr gerade noch drei einsetzbare Tandems retten können. «
Die Reglementierung der Zusatzkräfte habe die Kitas »in Chaos gestürzt«. Der ohnehin gravierende Personalmangel sei von einem Tag auf den anderen drastisch verschärft worden. Gruppenschließungen und kurzfristige Verkürzungen der Öffnungszeiten waren in diesem Kitajahr in den meisten Städten im Land an der Tagesordnung. So auch in Tübingen. »Befürchtet wird ein erzwungener Rückfall in althergebrachte Rollenmodelle und eine Einschränkung der Berufstätigkeit von Eltern.«
In der Tat könne es volkswirtschaftlich betrachtet in Zeiten des allgemeinen Fachkräftemangels »keinen größeren Unsinn geben, als Eltern zur Einschränkung ihrer Berufstätigkeit zu zwingen«, so der OB weiter. »Wir erleben in Tübingen leider schon jetzt in Kitas mit besonderem Personalmangel, dass hoch qualifizierte Beschäftigte, zum Beispiel Wissenschaftlerfamilien bei Max Planck, kurz davor stehen, der Stadt und dem Land den Rücken zu kehren, weil Familie und Beruf nicht mehr vereinbar sind.«
Volkswirtschaftlich und familienpolitisch seien die Einschnitte in die Kinderbetreuung »viel schädlicher als der Einsatz von Zusatzkräften in den Kitas, wie er in der Pandemie praktiziert wurde und erlaubt war«. Das Land müsse den Kommunen auch deshalb mehr Freiheiten zur Lösung ihrer Probleme geben, weil die Vorverlegung des Stichtags für die Einschulung vom 30. September auf den 30. Juni die Zahl der Kinder in den Kitas um drei Geburtsmonate vergrößert habe.
Ein Verzicht auf diese Verschiebung der Personalprobleme aus den Grundschulen in die Kitas hätte uns in Tübingen vor den aktuellen Problemen komplett verschont, denn uns fehlen etwa acht Prozent der Fachkräfte zur Vollbesetzung. (pm)