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Was Palmer auf die Palme treibt

Boris Palmer (Die Grünen)
Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen), Oberbürgermeister von Tübingen, mit Mundschutz. Foto: Marijan Murat/dpa/Archivbild
Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen), Oberbürgermeister von Tübingen, mit Mundschutz. Foto: Marijan Murat/dpa/Archivbild

Querdenken hat keinen guten Leumund mehr. »Queer«-Denken dagegen schon. In der Universitätsstadt Tübingen wurde jetzt sogar die Stelle eines oder einer oder irgendwas Queer-Beauftragten geschaffen, der oder die oder das sich um alle Belange der damit umfassten Bevölkerungsgruppe kümmern soll. Was zeigt, dass man sich in der Tübinger Stadtverwaltung um Minderheiten kümmert. Und um deren zu beachtende Sensibilitäten.

Womit wir bei einer Person wären, der immer wieder vorgeworfen wird, gerade das manchmal nicht zu tun. Man ahnt es schon, die Rede ist von Oberbürgermeister Boris Palmer. Der hat sich jetzt den Unmut des Integrationsrats der Stadt zugezogen mit einem Satz in seinem Bericht ans Sozialministerium über das Tübinger Modell des Umgangs mit Corona. Palmer hat über den Sonntag, 29. März, geschrieben, dass da viele auswärtige Gäste im Stadtzentrum waren, »darunter viele relativ junge Menschen und Männergruppen mit Migrationshintergrund, die keine Bereitschaft zeigten, die Masken- und Abstandsregeln zu beachten«. Womit er sich nun in die Nesseln gesetzt hat, oder vom Integrationsrat gesetzt wurde.

Der warf ihm vor, damit zu diskriminieren und den Migrationshintergrund in kausalen Zusammenhang mit der Übertretung von Verboten gebracht zu haben. Was vielleicht doch eine gewagte Schlussfolgerung ist. Wobei SPD-Gemeinderätin Gundula Schäfer-Vogel der Diskussion um die Weiterführung des Tübinger Modells zu diesem Thema den interessanten Gedanken einbrachte, dass es bei Diskriminierung nicht um die Absicht dessen geht, der etwas formuliert, sondern um die Wirkung, also um das, wie es beim anderen ankommt.

Was dann nicht nur sprachphilosophische und juristische Probleme aufwirft, sondern solche des generellen Umgangs miteinander. Darf sich jemand beleidigt fühlen, auch wenn eine Beleidigung gar nicht intendiert ist? Darf sich jemand in seiner Ehre verletzt fühlen durch den Lebensstil eines anderen?

Solche Fragen können ganz gefährlich werden. Denn die Einräumung dieses Rechts, die eigene Betroffenheit als alleiniges Kriterium gelten zu lassen, kann mitunter sogar tödliche Konsequenzen wie Ehrenmorde haben. Die eigene Wahrnehmung absolut zu setzen, den anderen als Diffamierer, Rassisten oder anderes abzukanzeln, bringt nicht weiter. Nur das Gefühl der scheinbaren Überlegenheit. Das allerdings in diesem Fall aus dem Versuch resultiert, sich die Wirklichkeit so zurechtzubiegen, wie sie einem gefällt.

Probleme zu lösen, fängt mit der Wahrnehmung des Problems an und endet nicht damit, dass die Benennung des Problems tabuisiert wird. So ist weder »queeren« Menschen, noch Migranten noch irgendwem geholfen. Boris Palmer will sich »um nicht einen Zentimeter« verbiegen lassen. »Da müsst ihr mich erst begraben.«

So weit muss es nicht kommen. Vielleicht stellt ihm der Gemeinderat ja einen Kreuz-und-quer-Beauftragten an die Seite, der ihm hilft.