MÖSSINGEN. Sie sind die mithin letzten Symbole der »guten, alten Eisenbahnzeit« – die wehmütig verklärten Bahnwärterhäuschen. Bis Ende 1987 Wohnsitze der »Streckenläufer«, die jeweils rund einen Kilometer Bahnlinie zu überwachen und »Bahnfrevel und Sabotage« zu verhindern hatten. Der »Bahnposten Nr. 18«, wie er offiziell hieß, zwischen dem Mössinger Bahnhof und der Haltestelle in Belsen, ist ein Kleinod unter den ursprünglich 23 Wärterhäuschen zwischen Tübingen und Bodelshausen. Sechs davon sind bereits abgebrochen worden.
Der Posten mit 48 Quadratmeter Wohnfläche für eine Wärterfamilie samt Abortgrube, Pumpbrunnen, Kleinviehstall und Gemüsegarten entstand bald nach dem Bau der 1869 fertiggestellten Zollernbahn. Um 1930 erhielt er durch den länglichen Anbau sein heutiges Aussehen, wurde zum Mietshaus für Bahnbedienstete. Im Vorfeld der Privatisierung der Zollernbahn kam das Wärterhaus in den Besitz der Stadt Mössingen. Der Motorsportclubs Steinlach (MSC) hat es vor 35 Jahren von der Verwaltung gepachtet und zum Clubheim umgebaut.
Vereinsheim mit Duschen und Toiletten
»Wir haben das Haus rundum in Eigenleistung saniert«, sagt Vorsitzender Hans-Peter Kuttler. Im Obergeschoss neben den zwei Räumen zwei Toiletten und eine Dusche eingebaut. Im Erdgeschoss ist der Versammlungsraum mit Küche. Das Häuschen war Mittelpunkt des Vereinslebens, Treffpunkt bei Feiern, Ausgangspunkt für Ausflüge. Mit der Corona-Pandemie wurde auch der MSC ausgebremst. Die Nutzung des Clubheims war rückläufig, zumal die meisten Mitglieder die »wilden« Jahre hinter sich haben und fast im Rentenalter sind.
Die Abwesenheit nutzen Heranwachsende, um nächtliche Partys zu feiern – ohne sich um den zurückgelassenen Müll zu kümmern. Zuletzt nahm der Vandalismus zu: verschmierte Hauswände, über die Fläche verstreute Grillutensilien. Selbst von einer Feuerstelle an der Eingangstreppe zu dem Holzhäuschen schreckten die Vandalen nicht zurück.
So fiel der Entschluss nicht schwer, das Heim wieder zu beleben. Kuttler: »Der Vorstand hat angesichts des russischen Angriffskrieges überlegt, wie man helfen kann und entschieden, Füchtlingen eine vorrübergehende Bleibe zu schaffen. Wir weichen solange in die Gaststätten aus.«
»Wir finden es eine tolle Sache vom MSC, dass er sein Heim für die Unterbringung von Ukraine-Flüchtlingen zur Verfügung stellt«, freut sich Pressesprecherin Silke Siller. Zurzeit installieren die Stadtwerke elektrische Geräte, auch Rauchmelder werden montiert. »In etwa zehn Tagen wollen wir fünf bis sechs Flüchtlinge dort unterbringen«, so Siller. Dann dürfte auch das Problem der unerwünschten Partygästen gelöst sein. (mey)