TÜBINGEN. Betritt man das Tübinger Seniorenzentrum Karolinenstift, kommt man nicht umhin, Johanna Grieger mit ihrem Rollstuhl zu begegnen. Beide fallen sofort auf. Denn am Rollstuhl der Seniorin hängt eine Anti-Kriegsflagge und auf einem großen Schild steht: »Krieg stoppen! Keine Waffen!«
Sie ist bekennende Pazifistin. Mit einem Schmunzeln verrät sie, dass sie eigentlich eine radikale Pazifistin ist. Aber den Begriff »radikal« kann man in der heutigen Zeit nicht mehr verwenden, weil er im Laufe der Jahre eine andere Bedeutung erhalten hat. Sie versteht darunter, dass sie von den Wurzeln her, den Krieg als Mittel der Auseinandersetzung ablehnt. Diese Werte hat sie von ihrer Mutter vermittelt bekommen und auch ihren Kindern weitergegeben.
Der Krieg hat frühzeitig das Leben von Johanna Grieger geprägt. Die in Berlin gebürtige und in Schlesien aufgewachsene Johanna kam zu Kriegsbeginn des Zweiten Weltkrieges direkt in Kontakt mit dessen Auswirkungen. Die damalige Arbeit im Lazarett beeinflusste ihr weiteres Leben. Nach der Flucht beschloss sie, Ärztin zu werden und Menschen zu helfen. Zeit ihres Lebens engagierte sie sich in verschiedenen Friedensbewegungen und klärt auch heute noch Schulklassen über die Auswirkungen des Krieges auf. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine und im Nahen Osten sind für sie ein Anlass, auch heute weiterhin über die Folgen des Krieges aufzuklären.
Zugegeben, das Sehen und Hören bereitet der Hundertjährigen zunehmend Schwierigkeiten. Aber nichts hält die engagierte Seniorin auf, auch heute noch ihre Meinung und Wertvorstellung zu vertreten. Handschriftlich werden Briefe verfasst und eine Freundin überträgt die Notizen dann in den Computer. Johanna Grieger legt aber großen Wert darauf, dass diese Briefe dann ausgedruckt und per Post verschickt werden. Denn ihrer Meinung nach ist geschriebener Brief langlebiger als eine E-Mail. (eg)