TÜBINGEN. Sie beide erforschen das Gehirn, unterrichten als Professoren an der Uni und bekommen vom Europäischen Forschungsrat jeweils knapp zwei Millionen Euro: Tobias Kaufmann von der Tübinger Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und Jakob Macke, der am Tübinger AI-Center an künstlicher Intelligenz forscht.
Verlust besser verstehen
»Schwangerschaftsverlust ist ein neurowissenschaftlich wenig beforschtes Thema«, erläutert Tobias Kaufmann. Dabei enden in Deutschland ungefähr 15 Prozent aller erkannten Schwangerschaften in einem frühen Schwangerschaftsverlust und ungefähr vier von 1 000 Schwangerschaften in einer Totgeburt.
Der frühe Verlust des Kindes ist oft ein traumatisches Ereignis für die werdenden Eltern, dessen Tragweite für die betroffenen Mütter häufig unterschätzt wird. So ist deren Risiko für psychische Erkrankungen nach einem Schwangerschaftsverlust deutlich erhöht – nicht nur unmittelbar, sondern auch bei späteren Schwangerschaften.
»Es ist bekannt, dass das weibliche Gehirn im Zuge einer Schwangerschaft umstrukturiert wird, allerdings wissen wir nicht, welchen Dynamiken diese Prozesse bei Verlust der Schwangerschaft unterliegen«, sagt Kaufmann. Ziel sei ein besseres Verständnis vom Entstehungsprozess psychischer Erkrankungen.
Diese haben nicht den einen Auslöser, sondern meistens liegen mehrere Ursachen zugrunde – wie beispielsweise Genetik, Hormone und soziostrukturelle Einflüsse. Im Zusammenspiel dieser Faktoren werden die Auswirkungen auf das Gehirn untersucht.
Maßarbeit am Fliegenhirn
Jakob Macke arbeitet dagegen mit einem sehr viel kleineren Gehirn: dem der Fruchtfliege Drosophila melanogaster. Dieses verfügt über gut 100 000 Nervenzellen mit mehreren Millionen Verknüpfungen und ist daher in der Biologie eines der bekanntesten Modellorganismen.
»Fruchtfliegen haben im Vergleich zu Säugetieren nur winzige Gehirne«, erklärt Macke. »Dennoch verfügen diese Tiere über erstaunliche Fähigkeiten, wie eine hochpräzise Kontrolle ihres Fluges und reagieren blitzschnell.«
Trotz großer Leistungsfähigkeit verbraucht das Gehirn der Drosophila lediglich Energie im Nanowattbereich. Damit ist es deutlich energieeffizienter als jeder Computer und gut erforscht. Bislang sei es aber noch nicht gelungen, Modelle zu bauen, die ähnliche Aufgaben wie echte Drosophila-Gehirne übernehmen können. Auf der künstlichen Ebene ist das anders: Hier wurden künstliche neuronale Netze geschaffen, die sehr komplizierte Berechnungen durchführen können.
Allerdings sind die Unterschiede zwischen Gehirn und künstlicher Intelligenz gewaltig. »Diese beiden Welten wollen wir zusammenbringen«, erklärt der KI-Forscher. »Unser Ziel ist es nun, künstliche neuronale Netze zu schaffen, die in Aufbau und Struktur dem Gehirn der Fruchtfliege möglichst nahekommen, zugleich aber ähnliche Leistungen vollbringen können.« (pm)