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Studie: »Tübinger Modell« als Vorbild bei künftigen Pandemien

Sollte es erneut zu einer weltweiten Pandemie kommen, könnte das »Tübinger Modell - Öffnen mit Sicherheit« als Modell für Teststrategien dienen. Das steht jetzt im Wissenschaftsmagazin Frontiers in Public Health.

Mikroskopische Aufnahme
Partikel des Coronavirus SARS-CoV-2 wurden für eine elektronenmikroskopische Aufnahme am »National Institute of Allergy and Infectious Diseases Integrated Research Facility« farblich bearbeitet. Foto: Uncredited
Partikel des Coronavirus SARS-CoV-2 wurden für eine elektronenmikroskopische Aufnahme am »National Institute of Allergy and Infectious Diseases Integrated Research Facility« farblich bearbeitet.
Foto: Uncredited

TÜBINGEN. Während der COVID-19 Pandemie wurden eine Reihe von einschneidenden Maßnahmen ergriffen, um das Infektionsgeschehen auszubremsen. Die gravierendsten unter ihnen waren Lockdowns, die das gesellschaftliche Leben auf ein Minimum reduzierten, um damit die Verbreitung des Virus zu verlangsamen. Nicht ohne Nebenwirkungen. Die Schließungen von Geschäften sowie Kontaktverbote führten zu hohen ökonomischen und sozialen Kosten. Im Frühjahr 2021 begann deshalb ein deutschlandweit einmaliges Modellprojekt »Öffnen mit Sicherheit« in Tübingen. Begleitet von engmaschigen Antigen-Schnelltests öffneten Restaurants und der Einzelhandel. Das Projekt wurde federführend vom Institut für Tropenmedizin des Universitätsklinikums Tübingen unter Beteiligung des Instituts für Klinische Epidemiologie und angewandte Biometrie wissenschaftlich begleitet und analysiert. Die Ergebnisse der Studie wurden jetzt im Journal Frontiers in Public Health veröffentlicht. 

Modellstadt Tübingen: Der vielbeachtete Versuch wird mit einigen Änderungen vorerst fortgesetzt.  FOTO: MEYER
Modellstadt Tübingen. Foto: Jürgen Meyer
Modellstadt Tübingen.
Foto: Jürgen Meyer

Tübingen als bundesweites Pilotprojekt

Das Pilotprojekt startete am 16. März 2021 und lief bis zur Einstellung durch Inkrafttreten der »Bundes-Notbremse« am 24. April 2021. Initiiert wurde es durch Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer und die Tübinger Pandemie-Beauftragte Dr. Lisa Federle, die die Ideengeberin war, in Abstimmung mit dem Land Baden-Württemberg. Besucherinnen und Besucher konnten nach vorherigem negativem Antigen-Schnelltest einen Tagespass erhalten, der es ihnen ermöglichte, Restaurants, Cafés und Geschäfte zu besuchen. Die wissenschaftliche Studie wurde durch die Tropenmedizin in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Roten Kreuz Tübingen, dem Institut für Klinische Epidemiologie und angewandte Biometrie, dem Deutschen Institut für Ärztliche Mission und der CeGaT GmbH durchgeführt. 

Mehr als 165.000 Schnelltests in Tübingen

Das primäre Ziel der Studie war es zu bewerten, wie verpflichtende Antigen-Schnelltests die Wiedereröffnung öffentlicher Einrichtungen ermöglichen könnten, ohne einen Anstieg der Infektionen zu riskieren. Mehr als 165.000 Schnelltests wurden während des Modellprojektes durchgeführt. In die Studie flossen die Tests von 4.118 Menschen ein. 116 der Studienteilnehmenden waren mittels Schnelltest positiv getestet. Ein anschließender PCR Test ergab jedoch, dass 55 (47 Prozent) von ihnen fälschlicherweise als positiv bezeichnet wurden. Dies könnte an fehlerhafter Testdurchführung, Kreuzkontamination oder mit anderen Faktoren zusammenhängen.

Die Überprüfung von 2.282 negativ getesteten Personen durch PCR ergab hingegen keinen einzigen falsch negativen Fall. »Wir verbuchen es als Erfolg, dass durch das engmaschige Testen keine infizierten Personen Zugang zum Modellprojekt erhalten haben. Die hohe Anzahl falsch positiver Fälle deutet jedoch darauf hin, dass bei zukünftigen Antigen-Schnelltests Verbesserungspotenzial besteht«, fasst Dr. Dr. Carsten Köhler, Direktor des Kompetenzzentrums Tropenmedizin Baden-Württemberg, zusammen. 

Modellprojekt mit Zukunft?

 »Das engmaschige Testen kann in Teilen zu einer höheren Rate entdeckter Fälle und schlussendlich zu einer höher beobachteten Inzidenz geführt haben«, erklärt Prof. Dr. Velavan, Letztautor der Studie. »Darüber hinaus muss die Inzidenz in der Stadt und im Landkreis zum Zeitpunkt des Projektes aber mit Vorsicht betrachtet werden, da auch sie Besucherinnen und Besucher von außerhalb miteinschließt, sobald diese positiv innerhalb der Grenzen des Landkreises getestet wurden«, führt Prof. Velavan weiter aus. So lag die 7-Tage Inzidenz bei Beginn bei unter 50 Fällen pro 100.000 Einwohner im Landkreis, im Stadtgebiet sogar darunter. Zum Ende des Projektes am 24. April lag die Inzidenz im Landkreis jedoch bei knapp über 200 Fällen pro 100.000 Einwohner. In der Stadt hingegen bei knapp unter 100, wobei für die Maßnahmen die Entwicklungen in den Landkreisen entscheidend war.

 Neue Virusvarianten berücksichtigen

Des Weiteren müssen für zukünftige Teststrategien auch neue Virusvarianten miteinbezogen werden, da diese einen erheblichen Einfluss auf die Schnelltests haben. Eine pauschale Aussage darüber zu treffen, wie sehr das Modellprojekt Einfluss auf die steigende Inzidenz hatte, ist aufgrund der Vielzahl von Einflussfaktoren kaum möglich. »Mit einer höheren Anzahl von Schnelltests ist das Modellprojekt durchaus interessant für künftige Pandemien. Entscheidend bleiben aber Faktoren wie Infektiosität des Virus, die Verfügbarkeit und Leistungsfähigkeit der Schnelltests sowie deren Empfindlichkeit«, resümiert Professor Kremsner, Institutsdirektor der Tropenmedizin. (eb/GEA)