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Palmer bei Illner: Die Frage ist nicht, ob wir Flüchtlinge aufnehmen, sondern wie

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer macht sich bei einer Talkrunde mit Maybritt Illner für eine Aufnahme von Menschen aus der Ukraine stark, kritisiert aber: »Ich kann nicht verstehen, warum ein ukrainischer Staatsbürger andere Leistungen erhalten muss, als ein syrischer Kriegsflüchtling.«

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer zu Gast bei Maybrit Illner. Screenshot: ZDF
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer zu Gast bei Maybrit Illner. Screenshot: ZDF
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer zu Gast bei Maybrit Illner. Screenshot: ZDF

REUTLINGEN. Russlands Einmarsch in die Ukraine hat nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR zur größten Vertreibung von Personen seit Jahrzehnten geführt. Demnach seien etwa 14 Millionen Menschen seit dem 24. Februar aus ihren Häusern vertrieben worden. Rund eine Million Menschen sind bislang nach Deutschland geflohen. Da gleichzeitig auch die Zahl von Asylbewerbern aus anderen Nationen steigt, geraten Kommenen, darunter auch Reutlingen und Tübingen, an ihre Belastungsgrenzen.

Was man dagegen tun kann und ob Bürgergeld und sowie neue Duldungsregeln zu viele Anreize bieten, nach Deutschland zu kommen, darüber sprach Maybrit Illner am Donnerstagabend in ihrer Sendung im ZDF. Gesprächsteilnehmer war neben Nancy Faeser (SPD), Carsten Linnemann (CDU), Sirkka Jendis (Tafel Deutschland), Gerald Knaus (Migrationsforscher), Ann-Katrin Müller (Spiegel-Redakteurin) auch Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer. Der GEA fasst seine wichtigsten Aussagen zu den einzelnen Themen zusammen.

Unterbringung von Flüchtlingen

Palmer spricht sich klar für eine Unterbringung der Ukraine-Flüchtlinge aus. Er kenne keinen Kollegen, der das anders sehen würde. Allerdings müsse man sich über das »Wie« unterhalten. »Da wir in einer Welt begrenzter Ressourcen leben, entstehen Konkurrenzen zum Beispiel um Wohnraum, um Kitaplätze, um Grundschulplätze.« Man müsse diskutieren, ob es richtig ist, die Menschen so aufzunehmen, als würden wir sie voll integrieren. Ob es richtig sei, im Hinblick auf die Ukraine, die es sich nicht leisten könne, dauerhaft diese Menschen an Westeuropa zu verlieren. Und ob es richtig sei im Hinblick auf die Konkurrenzen, die bei uns entstünden und die Probleme, die man in den Kommunen dann nicht mehr alle auffangen könne.

Ukrainer sind automatisch anerkannte Flüchtlinge

Auch dieses Vorgehen begrüßt der Tübinger OB. Es sei jedoch umstritten, ob Ukrainer deshalb sofort wie Inländer behandelt werden sollten. Baden-württembergischer Städtetag und Landkreistag hielten das für falsch. Sie würden es für richtig halten, Flüchtlinge aus der Ukraine wie Asylbewerber, also mit den niedrigeren Leistungen des Asylbewerbergesetzes zu behandeln. »Es geht aber auch um die Fragen: Welche Art von Unterkunft bieten wir? Ist es der Anspruch, eine Wohnung zu stellen? Oder bieten wir Massenunterkünfte?« Als konkretes Beispiel nennt Palmer, dass die Zahl der fehlenden Kitaplätze in Tübingen mittlerweile so groß ist wie die Zahl der Kinder von Flüchtlingen. »Wir müssen darüber sprechen, ob es nicht vielleicht besser wäre, eine Art Kriegsnothilfe zu leisten, als Integration von Anfag an zu betreiben.«

Sozialtourismus-Aussage von Friedrich Merz

Friedrich Merz (CDU) hat Flüchtlingen aus der Ukraine »Sozialtourismus« nach Deutschland vorgeworfen und damit einen Shitstorm ausgelöst. »Den Begriff Sozialtourismus halte ich für völlig daneben, dafür wird Friedrich Merz zurecht kritisiert«, sagt Palmer und ergänzt: »Wenn man in die Pässe schaut, leider wird das nicht systematisch gemacht, dann sieht man in jüngerer Zeit, dass viele ukrainische Staatsbürger kommen, die vorher Zuflucht in südeuropäischen Ländern gefunden haben.« Eine Rolle spiele dabei das hohe Leistungsniveau in Deutschland. Das werde aus Gesprächen deutlich. Da Kommunen an Kapazitätsgrenzen arbeiten, solle eine Sekundärmigration in Europa nicht befördert werden. Stattdessen solle es bei den früheren Leistungen bleiben. »Ich kann nicht verstehen, warum ein ukrainischer Staatsbürger andere Leistungen erhalten muss, als ein syrischer Kriegsflüchtling. Das sind ja beides Kriegsflüchtlinge.«

Pragmatische Kinderbetreuung

Kinderbetreuung ist ein Thema, das Palmer nach eigenen Angaben stark beschäftigt. »Wir haben da wirklich einen dramatischen Mangel. Wenn Erzieherinnen nicht da sind, dann können unter Umständen die Ärzte nicht arbeiten, weil das Kind nicht versorgt ist.« Die Lösung des OB: Gebäude suchen und Spielgruppen für ukrainische Kinder aufmachen, wo ukrainische Eltern die Betreuung übernehmen. »Das würde entlasten und würde die Konkurrenz um Kitaplätze deutlich entschärfen.« Man solle sich auf reale Lösungen konzentrieren, die Druck aus den überlasteten Systemen rausnehmen.

Wegen Bürgergeld lohnt sich für viele Zuwanderer eine einfache Tätigkeit nicht mehr

Auch diese These stammt von Friedrich Merz. Darauf angesprochen antwortet Palmer: »Ich werde sehr ungern zum Dauerkronzeugen von Friedrich Merz.« Stattdessen liefert er Zahlen aus Tübingen. Dort gebe es derzeit 800 erwerbsfähige Migranten. Von denen seien 400 mehr als sechs Jahre nachdem sie angekommen sind, nicht in Ausbildung, nicht in Arbeit und nicht erwerbstätig. Die andere Hälfte sei wiederum nur zur Hälfte sozialversicherungspflichtig beschäftigt. »Ich finde, diese Ergebnisse können nicht zufriedenstellen«, sagt Palmer.

Denn das bedeute, dass diese Menschen dauerhaft von Transferleistungen leben müssen. Und es bedeute, dass man es nicht schaffe, die unbesetzten Arbeitsplätze durch Migration zu besetzen. »Wir müssen von Geflüchteten mehr verlangen können, ohne dass das einem dann vorgeworfen wird.« Der OB hält es für nötig, die Frage zu stellen, wie man es richtig konstruiert, dass ein Anreiz zur Arbeitsaufnahme besteht. »Das spricht nicht gegen das Bürgergeld, sondern betrifft eher die Frage der Transferentzugsraten und die Frage der Sanktionen.« (GEA)