TÜBINGEN. Nach der Aufhebung der Ausgangssperre in fast allen Landkreisen Baden-Württembergs ist es in vielen Städten am ersten warmen Wochenende nachts zu zahlreichen Verstößen gegen die Corona-Regeln, Ansammlungen von Hunderten von Menschen und Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen, so auch in Stuttgart, Schwäbisch Gmünd und Tübingen.
In Tübingen trafen sich in den Nächten von Freitag auf Samstag und von Samstag auf Sonntag hunderte Menschen in der Innenstadt. »Das war ein einziger, riesiger, kollektiver Corona-Verstoß«, so Polizeisprecherin Andrea Kopp. Von Freitag auf Samstag hätten die Streifenbeamten rund 500 Menschen im Bereich des Holzmarktes festgestellt. »Die Stimmung war erst okay, dann ist sie mit fortschreitender Zeit umgeschlagen. Es wurde immer aggressiver«, so Kopp. Es habe zwar keine Angriffe auf Beamte gegeben wie in Stuttgart, die Polizisten seien aber »teilweise mit Sprechchören« beleidigt worden. Irgendwann hätten sich die Beamten dazu entschlossen, den Holzmarkt zu räumen. Mit Lautsprecherdurchsagen wurden die Leute aufgefordert, zu gehen. Auch von Samstag auf Sonntag sei so viel los gewesen, dass die Brennpunkte irgendwann geräumt wurden, so Kopp.
In Sozialen Netzwerken war auf Bildern eindrücklich zu sehen, wie viel nachts in der Innenstadt los war. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer postete am Sonntag dann Bilder von den Hinterlassenschaften der Partynächte auf Facebook: Die Stiftskirchen-Treppe und der Holzmarkt waren von Plastikmüll und Glasflaschen übersät.
Tübingen bereitet nun eine entsprechende Allgemeinverfügung vor, mit der der Konsum von Alkohol auf öffentlichen Plätzen untersagt werden soll. Das teilt die Stadt per Pressemitteilung mit. Dazu suche man nun die Abstimmung mit dem Landkreis Tübingen. Polizeisprecherin Kopp sagt, dass eine solche Verfügung »ein eindeutigerer Tatbestand« für die Polizisten wäre. Es wäre dann leichter durchzugreifen, als wenn man sich nur auf den Verstoß gegen Kontaktbeschränkungen beziehen muss.
OB Palmer und die Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU, Stuttgart), Richard Arnold (CDU, Schwäbisch Gmünd) und Matthias Klopfer (SPD, Schorndorf) haben für die Corona-Outdoor-Partys kein Verständnis: »Wir alle haben den Freiheitsentzug des letzten Jahres gespürt, aber Freiheit heißt auch Verantwortung. Jetzt so die Sau auf Kosten anderer raus zu lassen, das geht einfach nicht.« Das teilen sie in einer gemeinsamen Pressemitteilung mit.
An die Landesregierung appellieren die Oberbürgermeister, bis zum kommenden langen Wochenende Vorkehrungen gegen eine Wiederholung des Nachtstresses für die Bewohner und Hauseigentümer der Innenstädte zu treffen: »Die Polizei muss in den Städten bei Nacht Präsenz zeigen, und die Corona-Sperrstunde für die Gastronomie sollte in einem ersten Schritt auf 23 Uhr verschoben werden. Wo es notwendig ist, können lokale Alkoholkonsumverbote hinzukommen, dann bekommen wir die Lage wieder unter Kontrolle.«
Die Regelung, wonach die Gastronomie um 21 Uhr, in wenigen Kreisen um 22 Uhr schließen muss, ist nach Auffassung der Oberbürgermeister kontraproduktiv: »Die Schließung der Gastronomie reduziert die soziale Kontrolle und fördert aggressive Zusammenballungen. Der Wirt erhebt Daten und kontrolliert den Ausschank. Ruhigeres Publikum verlässt wegen der Schließzeit die Stadt schon um neun. Wer bleibt, bringt den Alkohol selbst mit, und dabei verlieren offenbar allzu viele die Kontrolle. Daher sollten die frühabendliche Corona-Sperrstunde des Landes bald entfallen und die Schließzeiten der Gastronomie wieder in die Hoheit der Kommunen gestellt werden.«
Nach dpa-Informationen vom Montagnachmittag gibt es in der Regierung bereits Überlegungen, die derzeit geltende Sperrstunde »der Lebensrealität« anzupassen. Mit der anstehenden nächsten Änderung der Corona-Verordnung könnte sie demnach auf 24 Uhr verlängert werden. (GEA/pm/dpa)