MÖSSINGEN. »Wir sind vogelgrippefrei, und das bereits seit Wochen«, freut sich Daniel Schmidt-Rothmund. Nach dem Ende der Karenzzeit durfte der Ornithologe und Leiter des Nabu-Vogelschutzzentrums in Mössingen die ersten genesenen Pfleglinge wieder in die Freiheit entlassen. »Wir sind froh, dass die in vielen Teilen Deutschlands aufgetretene Pandemie im Landkreis Tübingen wieder abgeebbt ist und wir öffnen dürfen«. Dazu gehöre, dass verletzte und pflegebedürftige Vögel wieder regulär aufgenommen werden können, so Schmidt-Rothmund.
In den Volieren des Nabu-Vogelschutzzentrums warteten drei genesene Vögel auf ihre Freilassung. Ein Mäusebussard hatte nach einem Autounfall seine leichte Gehirnerschütterung zum Glück schnell überstanden. Eine Türkentaube kam ohne Schwanzfedern ins Zentrum, inzwischen sind alle Federn neu nachgewachsen. Und eine Elster war reglos auf einer Wiese gefunden worden, erholte sich aber ebenfalls sehr schnell.
Vom Weißstorch eingeschleppt
Das Nabu-Vogelschutzzentrum beherbergt zurzeit nur sieben Pfleglinge sowie zwei gefiederte Dauergäste, die nicht allein in Freiheit überleben können. Das Vogelgrippevirus war über einen aufgenommenen Weißstorch ins Vogelschutzzentrum eingeschleppt worden. Nach der amtlichen Bestätigung der Erkrankung musste das Zentrum Mitte Januar seine Pforten für die Öffentlichkeit schließen. Weder konnten neue Patienten – mit wenigen Ausnahmen – aufgenommen noch genesene entlassen werden. Eine Vielzahl vorgeschriebener Biosicherheitsmaßnahmen wurde umgesetzt.
"Wöchentlich mussten wir alle Vögel auf Vogelgrippe testen. Die Volieren mit Patienten wurden abgedeckt und die Vögel einzeln gehalten, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. Die Freiflugvoliere blieb geschlossen.
In Natur häufig betroffen
Für die Arbeit des Teams galten die gesamte Zeit strenge Hygieneauflagen", beschreibt der Leiter. Der Weißstorch blieb der Einzige mit positivem Befund. Er war, vermutlich nach der Kollision mit einer Scheibe und neurologisch auffällig, in Mössingen behandelt worden, musste aber wegen des positiven Virusbefunds vom Tierarzt eingeschläfert werden.
Im Frühjahr geht die klassische Fütterungszeit zu Ende. Wer trotzdem noch gefiederte Gäste am Futterhaus mit Sonnenblumenkernen oder Samenmischungen begrüßen möchte, braucht sich nicht vor der Vogelgrippe zu sorgen. Singvögel erkranken in der Regel nicht.
Trotzdem gilt: »Hygiene am Futterplatz und an der Wasserstelle ist ganzjährig wichtig, damit sich die Vögel nicht untereinander mit Krankheiten anstecken«. Hygienischer als ein Futterhaus sei ein Silofutterspender. »Damit sich unter dem Spender kein Futter und Kot sammeln, wechselt man besser ab und zu den Standort«, rät Ornithologe Schmidt-Rothmund. In naturnahen Gärten finden Vögel auch im Winter genügend Futter, wie Samen und Beeren, Fallobst sowie Hagebutten von Wildrosen. In der Natur sind Wasservögel besonders häufig betroffen. Der Nabu rät daher davon ab, Wasservögel wie Enten und Schwäne zu füttern, damit sich nicht noch mehr Tiere auf engem Raum treffen.
Offenbar hat der Vogelgrippe-Erreger eine gewisse Präferenz für Stockenten, die selbst nach einer Ansteckung nur selten sterben, aber das Virus unter Wasservögeln weiterverbreiten. Auch aasfressende Greifvögel, Krähen und Möwen sind betroffen. Hinzu kommt: »Wasservögel sind oft sehr gesellig, bei der Futtersuche, bei der Übernachtung, beim Brutgeschäft und auch während des Vogelzugs. Dabei nehmen infizierte Vögel das Virus über weite Strecken mit. Weil die Tiere oft eng zusammen sind, springt das Virus besonders leicht von Vogel zu Vogel über.«
Die Vogelgrippe, die eigentlich Geflügelpest heißt, ist eine hochansteckende Erkrankung durch Influenza-A-Viren bei Vögeln, aktuell des Typs H5N1. Neben Geflügel in gewerblicher und häuslicher Haltung können sich auch wild lebende Enten, Gänse, Schwäne und andere Vögel anstecken. In Betrieben mit Geflügelhaltung ist die Krankheit gefürchtet, weil sie dort nach Einschleppung für alle Tiere meist tödlich endet. Einträge kommen durch Kontakt mit Wildvögeln vor, aber auch durch Futter, Einstreu, Geräte oder Personal.
Im Vogelzug mitgereist
Vergangenes Jahr war das bislang heftigste Vogelgrippejahr in Europa. Zuvor war das Virus meist im Vogelzug mitgereist und in den Sommermonaten abgeflaut. In den Herbst- und Wintermonaten konnte es sich entlang der Zugrouten aber ausbreiten. Seit 2020 fest: H5N1 kann ganzjährig in Europa überdauern und hat seit Herbst 2021 kontinuierlich zu Infektionsfällen bei Wildvögeln und Ausbrüchen bei Geflügel geführt. Seit Frühjahr 2022 hat es besonders stark in Brutkolonien von Küstenvögeln gewütet. (eg)
MENSCHEN STECKEN SICH NUR SEHR SELTEN MIT VOGELGRIPPE AN
Robert Koch Institut gibt Auskunft
Die meisten der an aviärer Influenza erkrankten Personen hatten im Vorfeld engen Kontakt zu erkranktem oder verendetem Geflügel. Vermutlich müssen Menschen sehr große Virusmengen aufnehmen, um sich zu infizieren, heißt es auf der Seite des RKI. Selbst bei einer Erkrankung wurden Vogelinfluenzaviren bislang aber fast nie beziehungsweise bei A(H7N9) in Einzelfällen auf andere Menschen übertragen, so dass es bisher noch nicht zu einer fortgesetzten Mensch-zu-Mensch-Übertragung gekommen ist. Insgesamt besteht für die Übertragung von aviärer Influenza sowohl von Vögeln auf Menschen als auch von Mensch zu Mensch eine erhebliche Barriere. (GEA)