FRANKFURT/TÜBINGEN. Der Senat der Leibniz-Gemeinschaft hat sich in seiner Sitzung für die Einrichtung eines neuen Wissenschafts-Campus in Tübingen ausgesprochen. Dadurch entsteht ein Forschungsnetzwerk zwischen dem Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment, der Universität Tübingen und dem Max-Planck-Institut für Biologie sowie weiteren nationalen und internationalen Institutionen. Unter dem Titel »GeoGenomic Archaeology Campus Tübingen« werden am neuen Campus Forschende verschiedener naturwissenschaftlicher Disziplinen innovativ und integrativ zusammenarbeiten. Gemeinsames Ziel ist es, alte DNA aus Höhlensedimenten zu nutzen, um die Interaktion des damaligen Menschen mit vergangenen Ökosystemen und die Auswirkungen auf diese im Laufe der Zeit zu untersuchen.
Rund zwei Millionen Jahre alt sind die bislang ältesten Besiedlungsspuren einer Höhle, die Menschen in Afrika hinterlassen haben. »Frühmenschen lebten in Höhlen, weil diese ihnen einen leicht zugänglichen Unterschlupf sowie Schutz vor Regen, Wind und Kälte boten«, erläutert der Sprecher des neuen Wissenschafts-Campus Juniorprofessor Cosimo Posth vom Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment an der Universität Tübingen, der den Antrag gemeinsam mit Dr. Susan Mentzer, Professor Christopher Miller und Professor Nicholas Conard stellte. Mentzer ergänzt: »Doch nicht nur Menschen nutzten den natürlichen ›Wohnraum‹: Höhlen boten schon immer Unterschlupf für zahlreiche Arten – von der Mikrobe bis zum großen Säugetier«.
Erste Ökosysteme
»Obwohl in Höhlen nur ein kleiner Teil der globalen biologischen Vielfalt zu finden ist, beherbergen sie dennoch einzigartige und eigenständige Ökosysteme. Diese können durch äußere Einflüsse beeinträchtigt werden und sind – weil sie empfindlich auf Veränderungen reagieren – wahrscheinlich die ersten Ökosysteme, die durch menschliche Aktivitäten verändert wurden«, erklärt Miller.
Der neue, vom Senat der Leibniz-Gemeinschaft bewilligte Wissenschafts-Campus soll daher zukünftig Höhlen und deren Sedimente genauer unter die Lupe nehmen, um langfristige demografische Veränderungen und Beziehungen zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen sowohl innerhalb als auch außerhalb der unmittelbaren Höhlenumgebung zu untersuchen. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen auf dem Wissenschafts-Campus auch neue molekulare, computergestützte, geochemische und geoarchäologische Methoden zur Analyse von Sedimentsequenzen aus Höhlen entwickelt werden.
Eine der untersuchten Höhlen ist die Unesco-Stätte »Hohle Fels« auf der Schwäbischen Alb, in welcher derzeit Ausgrabungen unter der Leitung von Professor Conard stattfinden. Diese Höhle bietet eine ideale Plattform, um die Interaktion zwischen Menschen und anderen Organismen von der letzten Eiszeit bis zur heutigen Nutzung durch den »Höhlentourismus« zu untersuchen. Die Leibniz-Wissenschafts-Campi bieten Leibniz-Einrichtungen und Hochschulen die Möglichkeit einer thematisch fokussierten Zusammenarbeit im Sinne einer regionalen Partnerschaft.
Ziel ist es, Netzwerke zu schaffen, um den jeweiligen Forschungsbereich weiterzuentwickeln und das wissenschaftliche Umfeld zu stärken.
Licht in das Dunkle bringen
Leibniz-Wissenschafts-Campi betreiben strategische Forschung, befördern Interdisziplinarität in Themen, Projekten und Methoden, machen den jeweiligen Standort global sichtbar und stärken sein Forschungsprofil. Den Forschenden des neuen Wissenschafts-Campus in Tübingen wird jährlich eine Summe von einer Million Euro über einen Zeitraum von vier Jahren zur Verfügung stehen.
»Unser neuer Leibniz-WissenschaftsCampus in Tübingen bringt Licht in das Dunkel von Höhlen. Wir freuen uns außerordentlich auf die multidisziplinäre Zusammenarbeit in diesem einzigartigen und innovativen Forschungsgebiet«, so Professor Klement Tockner, Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, und weiter: »In Tübingen werden Archäologen, Genetiker, Bioinformatiker, Mikrobiologen, Geochemiker, Geoökologen, Paläontologen und Paläoklimatologen zusammenarbeiten, um anhand von DNA-Analysen die Interaktion des Menschen mit Ökosystemen in der Vergangenheit und die Auswirkungen auf diese im Laufe der Zeit zu verstehen. Wir durchbrechen die disziplinären und institutionellen Grenzen und schaffen somit ein kreatives wissenschaftliches Umfeld, das neue und sicherlich überraschende Einblicke in die Menschheitsgeschichte ermöglicht.« (pm)