TÜBINGEN. Nur wenige Studienanfänger schreiben sich jedes Jahr in Ägyptologie ein. Im Durchschnitt ist es weniger als ein Studienfänger pro Jahr. Dennoch wird das Fach in Baden-Württemberg an den Universitäten Tübingen und Heidelberg angeboten. Der Landesrechnungshof kritisierte in seiner jüngsten Denkschrift Masterstudiengänge an den Universitäten Tübingen, Heidelberg und Freiburg, in denen es jedes Jahr nur wenige Studierende gibt. Beanstandet wurden Orchideenfächer wie Archäologie, Ägyptologie und Judaistik, aber auch Romanistik, Slawistik, Japanologie, Sinologie und Islamische Wissenschaften. Dabei beanstandete der Rechnungshof besonders Doppelstrukturen, also, dass diese Fächer gleich an mehreren Standorten angeboten werden. Er empfahl, Ressourcen an einem Standort zu bündeln, statt die ohnehin wenigen Studienanfänger auf mehrere Universitäten zu verteilen.
»Kleine Fächer sind nicht zwingend unwirtschaftlich«
Als Ursache für die Doppelstrukturen sieht der Rechnungshof, dass die Studiengänge eher dem Profil einzelner Professoren, als dem Bedarf der Studierenden entsprechen. Den Universitäten sei die fehlende Nachfrage seit Jahren bekannt, ohne dass Konsequenzen gezogen würden. Der Wissenschaftsrat empfehle folgende Untergrenze: »Können 3 Jahre in Folge weniger als 10 Studierende für das erste Fachsemester eines Masterstudiengangs gewonnen werden, sollte die Aufhebung des Studiengangs geprüft werden«, so der Rechnungshof. wenn man diese Untergrenze anwende, müssten 114 Masterstudiengänge in Baden-Württemberg für eine Aufhebung geprüft werden, so der Rechnungshof. Diese seien 17 Prozent der Studiengänge der Stichprobe.
Das Fazit des Rechnungshofs ist eindeutig: »Der Rechnungshof hält es für wirtschaftlich nicht vertretbar, dass baden-württembergische Hochschulen dauerhaft Masterstudiengänge anbieten, die auf keine oder fast keine Nachfrage stoßen. Die dafür vorgehaltenen Ressourcen erzeugen nur wenig Nutzen und fehlen an anderer Stelle, vor allem in den dauerhaft überausgelasteten Bereichen.«
Dem Wissenschaftsministerium empfiehlt der Rechnungshof "bei der Neukonzeption der Hochschulfinanzierung einen Abreizmechanismus für die Ausweisung von Studiengängen ohne nennenswerte Nachfrage zu entwickeln. Das Ministerium bemerkte dazu, dass es zweckdienlich sei, die Entscheidungen über Studiengänge den Universitäten vor Ort zu überlassen und sich als Ministerium auf die Rahmensteuerung zu konzentrieren.
Auf Anfrage des GEA bezogen die Universitäten Tübingen und Freiburg nun Stellung zu der Denkschrift. »Die Universität Freiburg wird sich intensiv mit den Ergebnissen der Prüfung des Rechnungshofs befassen«, schreibt Sprecherin Rimma Gerenstein. »Im Sinne einer strategischen Weiterentwicklung erkennen wir Handlungsbedarfe, die wir in den kommenden Monaten weiter prüfen und ausarbeiten werden.«
Allerdings erachten die Universitäten »die Betrachtung von Zahlen der Bewerbungen und Studienanfängern als alleinigen Maßstab für die Attraktivität eines Studiengangs nicht als aussagekräftig.« Ähnlich sieht das auch Tilam Wörtz, Pressesprecher der Uni Tübingen: »Die Universität Tübingen verweist auf die Stellungnahme der Landesrektorate-Konferenz zur ´Prüfmitteilung Masterstudiengänge´ des Rechnungshofs. Zur Bewertung eines Studienfachs ist es nicht ausreichend, die eingeschriebenen Studierenden zu zählen. Lehrveranstaltungen eines Studienfaches wie der Ägyptologie werden nicht nur von Studierenden dieses Fachs besucht und die Studierenden nehmen regelmäßig an Lehrveranstaltungen anderer Fächer teil. Das Studium an der Universität ist heute so angelegt, dass Studienfächer miteinander verknüpft sind. Die Aufgabe der Professorinnen und Professoren besteht außerdem neben der Lehre wesentlich auch in der Forschung und ihrem Beitrag zur Wissenschaft.« Eine Lanze bricht er für die Ägyptologie an der Universität Tübingen: Gerade so ein Fach sei in Fachkreisen weltweit anerkannt und teile neue Erkenntnisse auch einer breiten Öffentlichkeit über Pressemeldungen mit, die in Deutschland und international außerordentlich viel Resonanz finden.
Die Nachfrage von Studieninteressierten sie von demografischen Schwankungen und gesellschaftlichen Entwicklungen beeinflusst nicht durchweg einen Indikator für einen längerfristigen Bedarf. »Der Rechnungshof geht von der Annahme aus, dass Personal und Lehrveranstaltungen speziell für nur einen Studiengang vorgehalten und die Veranstaltungen lediglich von den eingeschriebenen Studierenden in diesem Fach besucht würden«, schreibt Gerenstein. Das sei jedoch nicht richtig. »Aufgrund hoher Synergien zwischen den Studiengängen sind konkrete Lehrveranstaltungen nachweislich meist besser nachgefragt, als sie heruntergebrochen auf den einzelnen Studiengang erscheinen.« Auch seien die vielen Lehramtsstudenten, die Veranstaltung etwa im vom Rechnungshof beanstandeten Studiengang Linguistik säßen, in der Aufstellung des Rechnungshofs nicht berücksichtigt. Viele »Kleine Fächer« nutzten die auf Baden-Württemberg verteilte »Bandbreite der unterschiedlichen Standorte« um ihren Studenten »eine innerfachliche Profilierung« zu ermöglichen.
»Kleine Fächer sind nicht zwingend unwirtschaftlich«, schreibt Gerenstein. »Wenn sie institutionell sinnvoll eingebunden sind und in der Lehre Möglichkeiten der Vernetzung und des Lehrexports nutzen, kommen ihre geringen Ressourcen im Gegenteil meist ausgesprochen effizient zum Einsatz«, so die Sprecherin. Außerdem sie zu berücksichtigen, dass manche Studiengänge gezielt auf eine kleine Studierendenzahl ausgelegt sind und die Deputate der Lehreinheiten entsprechend der Planungen aufgeteilt werden.
»Es ist nicht vertretbar, Fächer anzubieten, für die es wenig Nachfrage gibt«
Die Landesrektorenkonferenz verweist darauf, dass die baden-württembergischen Universitäten im Bundesländervergleich in der Exzellenzstrategie am besten abschneiden. »Sie werben mit 1,473 Milliarden Euro an Drittmitteln auch pro eingesetztem Euro Grundfinanzierung die meisten Drittmittel ein, die der Wirtschaft des Landes zugutekommen«, so die Mitteilung. »Insgesamt bewirken die Universitäten für Baden-Württemberg eine Wertschöpfung von 7,667 Milliarden Euro, was je Euro Landeszuschuss eine Wertschöpfungswirkung von 4,98 Euro bedeutet«, rechnen die Rektoren vor. Absolventen erzielten mit ihren Qualifikationen, die sie an den
Landesuniversitäten erworben haben, ein im Vergleich mit nichtuniversitär ausgebildeten Personen um 3,447 Milliarden Euro höheres Einkommen, was die Bruttowertschöpfung im Land um 1,835 Milliarden Euro und dessen Steuereinnahmen um 541 Mio. Euro erhöht. »Die Attraktivität der Universitäten wird auch dadurch anschaulich belegt, dass sie mit 46 Prozent fast die Hälfte ihrer Studierenden außerhalb des Bundeslandes für ein Studium in Baden-Württemberg gewinnen«, argumentieren die Rektoren. (GEA)