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Demo zu 90 Jahren Generalstreik in Mössingen

Rund 500 Teilnehmer kamen zur Demonstration am Samstag. FOTO: RAB
Rund 500 Teilnehmer kamen zur Demonstration am Samstag. FOTO: RAB
Rund 500 Teilnehmer kamen zur Demonstration am Samstag. FOTO: RAB

MÖSSINGEN. Am Ende lagen die Schätzungen von Veranstalter und Polizei zu den Teilnehmerzahlen zwischen 400 und 500. Immerhin so viele Menschen hatten sich am Samstag am Rathausplatz versammelt, um an den einzigen Generalstreik gegen Hitlers Machtübernahme vor 90 Jahren zu erinnern. Vor zehn Jahren waren es noch 1.200 Personen gewesen, 1983 sogar 15.000.

Ein Unterschied zu 1933: Damals hatten (nicht nur) Mössinger Arbeiter die Gefahr eines Krieges durch die faschistische Diktatur kommen sehen. Heute, so war an vielen Stellen zu hören, haben wir wirklich Krieg in Europa. Unterstützt auch mit deutschen Waffen, wie vielfach kritisiert wurde. »Deutsche Waffen, deutsches Geld, morden mit in aller Welt« wurde skandiert. Claudia Jochen, Stadträtin der »Linken im Steinlachtal (LiST)« und wies auf einen weiteren Unterschied hin. Diesmal, so Jochen, fahre die Polizei dem Zug voraus, und stelle sich nicht entgegen. Heike Hänsel, die frühere Bundestagsabgeordnete der Linken, wurde mit Applaus begrüßt, ebenso wie Ilse Kestin vom VVN-BdA, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregiemes und Bund der Antifaschisten. Sie erinnerte an die proletarische Herkunft der Streikanführer und hob den besonderen, den pragmatischen »Mössinger Marxismus« hervor. So hatten die Streikenden nicht etwa die Konfrontation mit der Reutlinger Bereitschaftspolizei gesucht, sondern hatten sich zerstreut. 

Die Breite Straße hinauf zog der Marsch zunächst bis zum Jakob-Stotz-Platz, wo der Nehrener Journalist Jürgen Jonas einige der damaligen Anführer porträtierte, auch jenen Glasermeister Jakob Stotz. Er war vor 1933 und nach dem Krieg Gemeinderat in Mössingen gewesen. An seine Rolle beim Generalstreik erinnert erst nach langen Protesten eine Metalltafel. Einige Jugendliche aus Tübingen trugen ein Transparent. »Stoppt den Krieg« war da zu lesen, wobei sie keinen konkreten meinten. »Mehr so allgemein« sei die Aussage zu verstehen, erläuterte einer. 

Bei der Pausa angelangt, wo 1933 die Fabrikbesitzer nach kurzer Diskussion mit den Streikenden ihrer Belegschaft freigegeben hatten, stellten Schauspieler des Melchinger Theaters Lindenhof szenisch die Zerrissenheit in der Bevölkerung dar. »Warum soll ausgerechnet ich mich gegen die Nazis wenden? Sollen wir den Hitler nicht erstmal machen lassen?« Als hätte es den Auftritt der Schauspieler gebraucht, um die Teilnehmer stimmlich zu synchronisieren, schallte lautstark die »Internationale« über den frostigen Löwenstein-Platz. »Völker, hört die Signale!« Welf Schröter trat in seiner Rede der Auffassung entgegen, in Mössingen habe es keine antisemitischen Verbrechen gegeben. Die Enteignung der jüdischen Familie Löwenstein, Besitzer der Pausa-Fabrik, war sehr wohl ein solches Verbrechen gewesen. 

Weiter ging der Zug in Richtung Langgass-Turnhalle, 1925 von kommunistischen Arbeitern erbaut und 1933 Sammelpunkt der Streikenden. Die Schalmeienkapelle aus Schwäbisch Hall spielte dazu, Lieder der Arbeiterbewegung waren zu hören, und immer wieder Sprechchöre wie »Hinter dem Faschismus steht das Kapital«. 

Gerade hatte Claudia Jochen den jungen Leuten unter den Teilnehmern für ihren Einsatz gedankt, da verließen viele von ihnen den Platz vor der Turnhalle. Kai Burmeister, der DGB-Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, hob den heutigen Kampf der Gewerkschaften gegen den alltäglichen Faschismus hervor. Wegen ihm waren die jungen Aktivistinnen und Aktivisten offenbar nicht gekommen. Sie verpassten aber auch die Rede von Dr. Wolfgang Däubler. Er kritisierte mit deutlichen Worten die Haltung der Bundesregierung im Ukrainekrieg. Ob man sich denn Sanktionen gegen die USA »wegen ihres Angriffskrieges gegen Afghanistan« hätte vorstellen können fragte er provokant. »Heute liefert Deutschland Leopard-Kampfpanzer, aber Selenskyj will mehr: Kampfjets und Raketen«, rief er den verbliebenen Teilnehmern zu. »Und die Grünen?« fragte er. Aus der früheren Friedenspartei sei eine geworden, an der die Rüstungsindustrie ihre helle Freude hat, spottete Däubler. »Allen voran der Friedenskämpfer Anton Hofreiter!« Sein Ausruf wurde mit vielstimmigen Pfui- und Buhrufen aufgenommen. 

Claudia Jochen lud zum Ende der Veranstaltung alle ein, mit dem Ernst-Bloch-Chor gemeinsam zu singen und sich bei heißem Punsch aufzuwärmen. (rab)