TÜBINGEN. Entstanden ist die Verbindung aus dem Wunsch nach Verständigung und Versöhnung: 1989 besiegelte Tübingen unter dem damaligen Oberbürgermeister Eugen Schmid eine Partnerschaft mit dem russischen Petrosawodsk, einer Stadt mit rund 260 000 Einwohnern etwa 400 Kilometer nördlich von St. Petersburg. Es gab viele Kontakte und Verbindungen, Hilfstransporte, gemeinsame kulturelle Aktionen und Besuche. Vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine droht nun aber das Band zwischen den beiden Städten zu reißen.
»Manche hier in Tübingen fragen, ob unsere Städtepartnerschaft weiter bestehen kann, wenn russische Truppen in der Ukraine Krieg führen«, schrieb Boris Palmer jetzt an seinen Kollegen Vladimir Lyubarsky in Petrosawodsk. Noch will der Tübinger OB aber »diesem Impuls derzeit nicht folgen«, möchte den Dialog auf kommunalpolitischer und zivilgesellschaftlicher Ebene aufrechterhalten. Allerdings bittet Palmer den russischen Kollegen, »das in Ihrer Position Mögliche zu tun, um zu einer Beruhigung der Lage beizutragen, größeres Blutvergießen zu verhindern und unsere positiven Erfahrungen auf kommunaler Ebene in die Entscheidungsprozesse einzubringen«.
Friedensarbeit zunichte gemacht
Palmer erinnert an den Ursprung der Verbindung: »Die Partnerschaft zwischen Petrosawodsk und Tübingen entstand vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs.« Die Städte wollten dem Kampf der Systeme eine zivilgesellschaftliche Freundschaft entgegensetzen. »Nach meinem Eindruck«, schreibt er weiter, »können wir mit Stolz sagen, dass wir dies geschafft haben.« Viele Tausend Menschen hätten in den vergangenen drei Jahrzehnten an Begegnungen teilgenommen.
Mit umso größerer Sorge blickten er und viele Menschen in Tübingen daher in die Ukraine, »wo ein Krieg begonnen wurde, der nicht nur für die Menschen dort eine Katastrophe ist, sondern die Völkerverständigung und die Friedensarbeit in den letzten Jahrzehnten zunichte zu machen droht«. Man habe versucht, die Standpunkte auf beiden Seiten zu verstehen und die Motive nachzuvollziehen, »die für die Haltung und das Vorgehen Russlands sprechen könnten«, habe auf die Diplomatie gesetzt – vergeblich. Die Friedensordnung sei infrage gestellt. (pp)