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Wie geht es nun in Thüringen weiter?

Erst einen neuen Ministerpräsidenten wählen, dann den Landtag neu wählen. So in etwa stellen sich CDU und SPD im Bund den Plan für Thüringen vor. Doch die Lage in dem Bundesland ist vertrackt.

Thomas Kemmerich
Thomas Kemmerich (FDP), Ministerpräsident von Thüringen, gibt ein Statement in der Saatskanzlei. Foto: Bodo Schackow/dpa-Zentralbild/dpa
Thomas Kemmerich (FDP), Ministerpräsident von Thüringen, gibt ein Statement in der Saatskanzlei. Foto: Bodo Schackow/dpa-Zentralbild/dpa

BERLIN/ERFURT. Nach der gescheiterten Ministerpräsidentenwahl in Thüringen beraten die Parteien am Montag in Berlin und Erfurt das weitere Vorgehen. In den Sitzungen von CDU-Präsidium (9.00 Uhr) und -Vorstand (11.00 Uhr) in der Hauptstadt wird es vor allem um die Frage gehen, wie sich die CDU-Abgeordneten im Thüringer Landtag bei einer möglichen Wahl von Bodo Ramelow (Linke) zum neuen Regierungschef verhalten.

Mit Spannung wird zudem erwartet, wie sich der umstrittene Thüringer CDU-Chef Mike Mohring in den Sitzungen äußert - und ob er weitere Konsequenzen aus den Vorgängen der vergangenen Woche zieht. Mohring ist auch CDU-Präsidiumsmitglied. In Erfurt wollten sich Vertreter von Linken, SPD und Grünen treffen, die eine Minderheitsregierung in Thüringen anstreben.

Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich war vergangenen Mittwoch im Landtag in Erfurt zum Ministerpräsidenten Thüringens gewählt worden - auch von der CDU und der AfD, deren Landtagsfraktion von Partei-Rechtsaußen Björn Höcke geleitet wird. Kemmerich war anschließend massiv kritisiert worden, weil er die Wahl, die er ohne die Stimmen der AfD nicht gewonnen hätte, annahm. Er trat später zurück, ist aber aktuell noch geschäftsführend im Amt.

CDU, CSU und SPD hatten sich am Samstag in einer Sitzung des Koalitionsausschusses in Berlin für eine baldige Neuwahl in Thüringen ausgesprochen. Zuvor soll umgehend ein neuer Ministerpräsident gewählt werden. Dies peilen ebenfalls Linke, SPD, Grüne in Thüringen an. Auch die Landes-CDU sieht keinen Ausweg in einer überstürzten Neuwahl, die AfD erachtet eine Neuwahl als unnötig.

Ramelow ist bereit, erneut zu kandidieren und einer Minderheitsregierung vorzustehen. Allerdings versucht die AfD, Verunsicherung bei dessen möglicher Wahl zu schüren. Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland sagte der dpa: »Die kopflose Reaktion von CDU und FDP bringt mich zu der Empfehlung an die thüringischen Freunde, das nächste Mal Herrn Ramelow zu wählen, um ihn sicher zu verhindern - denn er dürfte das Amt dann auch nicht annehmen.« Der Thüringer AfD-Fraktionsgeschäftsführer Torben Braga rechnet nach eigenen Worten aber nicht mit AfD-Stimmen für Ramelow.

Linke und Grüne in Thüringen drängen aber die CDU, sich bei einer neuen Abstimmung nicht nur zu enthalten, sondern zumindest teilweise für Ramelow zu stimmen, um eine Mehrheit ohne AfD zu sichern. »Wir werden Ramelow nur in die Wahl schicken, wenn wir eine demokratische Mehrheit für ihn haben«, sagte Linken-Landeschefin Susanne Hennig-Wellsow. Thüringens SPD-Vorsitzender Wolfgang Tiefensee rief CDU und FDP dazu auf, sicherzustellen, dass es bereits im ersten Wahlgang eine stabile Mehrheit für Ramelow gebe. Hennig-Wellsow kündigte an, dass ihre Partei in dieser Woche dazu das Gespräch mit CDU und FDP suchen werde.

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak hatte am Sonntagabend in der ZDF-Sendung »Berlin direkt« gesagt: »Es wird keine Stimmen der CDU für Herrn Ramelow oder jemand anderen von den Linken geben, um Ministerpräsident zu werden.« Ein Parteitagsbeschluss verbietet jede koalitionsähnliche Zusammenarbeit mit der AfD wie mit der Linken. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) riet seiner Partei zuletzt, eine Regierung mit Beteiligung der Linkspartei unter Umständen zu tolerieren.

FDP-Chef Christian Lindner sagte in der ARD-Sendung »Bericht aus Berlin«, er könne sich nicht vorstellen, dass Ramelow von den FDP-Kollegen in Thüringen bei einer eventuellen Wahl gewählt werden würde.

Linke, SPD und Grüne verfügen im Landtag nur über 42 der 90 Sitze. Die AfD hat 22 Abgeordnete, die CDU 21 und die FDP 5. Linken-Landesvize Steffen Dittes ging zuletzt davon aus, dass eine Wahl Ramelows zum Ministerpräsidenten noch im Februar im Landtag erfolgen könnte. Nach Ansicht Ramelows könnte es eine Neuwahl des Landtages nach den Sommerferien geben. Zur Auflösung des Landtags ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig.

In der Sitzung der CDU-Gremien dürfte es am Montag auch um die jüngste Kritik an der Führungsstärke von Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer gehen. So hatten der Chef des Unions-Mittelstands, Carsten Linnemann, und der Vorsitzende der Nachwuchsorganisation Junge Union, Tilman Kuban, Kramp-Karrenbauer Ende der Woche in einem »Welt«-Interview Führungsschwäche vorgeworfen. »Statt die Dinge laufen zu lassen, hätte die Parteispitze gut daran getan, Führung zu zeigen«, sagten sie. Der Ruf Kramp-Karrenbauers nach einer Neuwahl in Thüringen sei falsch und werde die politischen Ränder rechts und links stärken.

SPD-Vize Kevin Kühnert rief die CDU im »Tagesspiegel« (Montag) zu einem »Klärungsprozess« über ihr Verhältnis zur AfD auf, gerade in Ostdeutschland. Der Politische Bundesgeschäftsführer der Grünen, Michael Kellner, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Montag), die Zweifel an einer grundlegenden Orientierung von Teilen der Union seien in den letzten Tagen gewachsen. »Die Führung der Union kämpft darum, ihre Partei auf Kurs zu halten.« Deren deutliche Reaktion auf die Wahl Kemmerichs zum Ministerpräsidenten mit Stimmen von Landtagsabgeordneten aus CDU, FDP und AfD sei zwar richtig gewesen. »Doch dass sie darum mit Teilen ihrer Partei kämpfen muss, ist erschreckend.«

FDP-Vertreter sehen sich derweil nach Angaben der Bundespartei zahlreichen Anfeindungen ausgesetzt. »Es hat Vandalismus gegen Einrichtungen, Bedrohungen und Übergriffe im gesamten Bundesgebiet gegeben«, teilte die FDP-Zentrale in Berlin auf Anfrage des »Tagesspiegel« (Montag) mit. »Wir erleben gerade eine absolute Eskalation, so etwas habe ich noch nie erlebt«, sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle der »Welt« (Montag). »Lange war die FDP nicht im Fokus von Linksextremisten. Das hat sich seit Mittwoch geändert.«

In Mecklenburg-Vorpommern ermitteln Polizei und Staatsschutz im Fall einer Feuerwerksattacke auf das Haus einer FDP-Politikerin. Nach ersten Untersuchungen sollen Unbekannte das Wohnhaus der Juristin Karoline Preisler in Barth am Samstag mit Feuerwerkskörpern beschossen haben, wie ein Polizeisprecher in Neubrandenburg sagte. Die Ermittlungen steckten aber noch in den Anfängen. So sei auch unklar, ob der Vorfall mit den Vorgängen um die FDP in Thüringen zu tun haben könnte. Verletzt wurde niemand. (dpa)