BERLIN. Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus fordert mit Blick auf Geimpfte und Nicht-Geimpfte einen Perspektivwechsel. »Es wird zu viel über den angeblichen indirekten Impfzwang geredet und zu wenig über die Rechte von Geimpften«, sagte Brinkhaus der »Welt am Sonntag«.
»Was ich momentan erlebe, ist, dass die Geimpften sauer sind auf die Nicht-Geimpften. Die Geimpften haben Termine gemacht, sind losgegangen und haben in Kauf genommen, dass es ihnen am Tag nach der Impfung teilweise nicht so gut gegangen ist. Und sie erleben nun, dass sie ihre Freiheiten trotzdem nicht vollständig zurückbekommen.« Deswegen müsse endlich gefragt werden, inwieweit die Nicht-Geimpften das Leben von Geimpften einschränkten.
Brinkhaus geht davon aus, dass Hoteliers, Clubs, Veranstalter künftig nur noch Geimpfte in ihre Häuser lassen. »Ich gehöre zwar zum Team Vorsicht, aber wir können nicht die nächsten 30 Jahre unser Leben Covid unterordnen. Wir müssen zu einer Normalität zurückkehren, und zwar bald und nicht erst in Jahren. Ein Restrisiko wird bleiben, aber damit müssen wir dann umgehen.«
Laschet: 3-G-Regel »sinnvoll, maßvoll und umsetzbar«
Zuletzt hatte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet deutlich gemacht, dass er eine Benachteiligung von Ungeimpften ablehnt, sofern diese einen negativen Corona-Test vorweisen können. »Wer geimpft, genesen oder getestet ist, den darf der Staat nicht von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausnehmen«, sagte der CDU/CSU-Kanzlerkandidat vor den nächsten Beratungen von Bund und Ländern der »Bild am Sonntag«. Die so genannte 3-G-Regel sei »sinnvoll, maßvoll und umsetzbar«.
Am Dienstag wollen die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder mit der Bundesregierung angesichts steigender Coronazahlen über das weitere Vorgehen beraten. Das Bundesgesundheitsministerium hat dazu Vorschläge gemacht. Vor allem mögliche Beschränkungen für Ungeimpfte sorgen für Debatten. Das Ministerium schlägt zudem ein Ende der kostenlosen Schnelltests für Mitte Oktober vor.
Der Städtetag fordert eine Impfstrategie für Herbst und Winter, um für eine vierte Corona-Welle besser gewappnet zu sein. Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy sagte der Deutschen Presse-Agentur: »Wir haben eine ganze Reihe neuer Impfaufgaben vor der Brust: Auffrischungsimpfungen für Ältere und Pflegebedürftige, mehr Impfungen für Kinder ab 12 Jahren und noch viel mehr direkte Impfangebote.« Die Städte bräuchten Klarheit über den September hinaus, wenn die meisten großen Impfzentren schließen.
Lockdown verhindern
Der Städte- und Gemeindebund verlangt von Bund und Ländern ein einheitliches Vorgehen. »Wir dürfen nicht damit beginnen, neue Flickenteppiche zu weben«, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Funke-Mediengruppe. Die bestehenden Regeln zu Abstand, Masken und Hygiene sollten überall weiter gelten - unabhängig von Impfungen. FDP-Fraktionsvize Michael Theurer forderte einen »verbindlichen Plan zur Verhinderung des nächsten Lockdowns«.
Entsprechende Forderungen kommen auch aus der Wirtschaft. »Ein erneuter, für den deutschen Mittelstand katastrophaler Lockdown muss jetzt verbindlich ausgeschlossen werden«, heißt es in einem Brief des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft an Laschet. Das Schreiben liegt der Deutschen Presse-Agentur vor.
Der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger warnte beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): »Ein weiterer Lockdown wäre für viele kleine und mittelständische Unternehmen in der Gastronomie, der Hotellerie oder im Einzelhandel der endgültige Genickbruch.«
Sieben-Tage-Inzidenz nicht als alleiniger Maßstab
Viel Zustimmung gibt es zu Forderungen, die Sieben-Tage-Inzidenz nicht mehr zum alleinigen Maßstab für die Corona-Maßnahmen zu machen. Ausschlaggebend müsse auch die Belegung von Krankenhausbetten und Intensivstationen sein, sagte Laschet. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt befand in der »Bild am Sonntag«: »Die Inzidenz als alleiniges Maß aller Dinge hat ausgedient.« Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) warb für eine »Corona-Ampel«.
Ebenso wie die Zahl der Corona-Neuinfektionen steigt nun auch die Zahl der Patienten in intensivmedizinischer Behandlung. Nach Notfallmedizin (DIVI) von Samstag wurden 417 intensivmedizinisch behandelt. Vor einer Woche waren es noch 359. (dpa)