BERLIN. Die Altenpflegerinnen und -pfleger in Deutschland können auf bundesweit einheitliche und in vielen Fällen höhere Bezahlung hoffen. Im neuen Jahr schlage die »Stunde der Wahrheit«, sagte der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Frank Werneke, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Dann würden die Voraussetzungen geschaffen, dass ein bereits ausgehandelter Tarifvertrag für die Altenpflege von der Bundesregierung wie angekündigt allgemeinverbindlich erklärt werde. Der Vertrag sehe »deutliche Steigerungen für die Einkommen von Pflegekräften« vor.
In drei Schritten sollen laut dem Tarifvertrag die Mindestentgelte angehoben werden. Examinierte Altenpflegekräfte würden ab Januar 2023 mindestens 18,50 Euro pro Stunde erhalten. Pflegehilfskräfte mit ein- bis zweijähriger Ausbildung kämen auf wenigstens 15 Euro. Verdi hatte den Abschluss im September mit der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche geschlossen, in der Anbieter der freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossen sind. Bisher bestehen in Ost- und Westdeutschland unterschiedliche Mindestlöhne für Pflegehilfskräfte, die bis September auf einheitlich 12,55 Euro pro Stunde steigen sollen. Zum 1. Juli 2021 soll für Pflegefachkräfte zudem ein einheitlicher Mindestlohn von 15 Euro eingeführt werden.
»Der Tarifvertrag ist derzeit in der Konsultation mit den Kirchen, die im Bereich der Pflege eine entscheidende Rolle spielen«, teilte Werneke mit. Tatsächlich befassen sich derzeit die Arbeitsrechtlichen Kommissionen von Diakonie und des Caritasverbandes damit. In ihnen sind jeweils Dienstgeber und Dienstnehmer vertreten, was Arbeitgebern und -nehmern entspricht. Bei der Diakonie wollte man sich auf Anfrage wegen des laufenden Verfahren nicht äußern.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte zuletzt im November bekräftigt, einen Tarifvertrag Pflege auf ganz Deutschland erstrecken zu wollen, wenn ein Antrag vorgelegt werde und Voraussetzungen erfüllt seien. Heil: »Eine Einigung ist in Reichweite.« Die privaten Pflegeheimträger und Betreiber von Pflegediensten wehren sich vehement gegen einen solchen Tarifvertrag. Sie sprechen es dem relativ kleinen Verband, mit dem Verdi verhandelt hatte, ab, für die Branche sprechen zu können.
Werneke sagte, die private Pflegelobby laufe Sturm gegen eine Erklärung der Allgemeinverbindlichkeit. »Die Regierung muss also Farbe bekennen«, sagte er. Das gelte auch für Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). »Und sie muss handeln.«
Die Situation vieler Beschäftigten in der Altenpflege ist seit Jahren wegen Überlastung, Personalmangels, steigender Ansprüche und fehlender Wertschätzung angespannt. Spahn hatte bereits im vergangenen Jahr eingeräumt, dass die Lage unzureichend sei - und durch die Corona-Pandemie weiter verschärft werde.
Seit 2019 stehen zwar zusätzliche Mittel der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung für 13.000 neue Stellen für medizinische Behandlungspflege in Altenheimen bereit. Pflegeverbände hatten das angesichts einer viel größeren Zahl an fehlenden Pflegekräften aber als viel zu wenig kritisiert. Doch nur ein Bruchteil der finanzierten Stellen konnte bisher besetzt werden.
Bei der Finanzierung der Pflege droht unterdessen ein neues Milliardenloch. So steht die Pflegeversicherung in diesem Jahr vor einem Defizit von 2,5 Milliarden Euro. Der GKV-Spitzenverband prognostiziert Einnahmen von 50,3 Milliarden und Ausgaben von 52,8 Milliarden Euro für dieses Jahr, wie der Verband der dpa mitteilte. Das »Handelsblatt« hatte zuerst darüber berichtet.
Einer neuerlichen Beitragserhöhung entgehen die Arbeitnehmer nach einer Anhebung des Pflegebeitrags vor zwei Jahren somit wohl nur knapp. Der stellvertretende Vorsitzende des Kassenverbands, Gernot Kiefer, sagte der dpa: »Sofern sich die Konjunktur bis zur Jahresmitte erholt, bin ich optimistisch, dass wir in diesem Jahr knapp an einer Beitragserhöhung vorbeikommen.«
Kiefer forderte den Bund auf, Steuergeld in die Pflegekassen zu pumpen. Er sagte, wenn die Sozialabgaben wie angekündigt die 40-Prozent-Grenze nicht überschreiten sollen, müsse im kommenden Jahr ein nennenswerter und dauerhafter Steuerzuschuss für die Pflegeversicherung fließen. (dpa)