WUHAN. Mehr als ein Jahr nach dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie wollen internationale Experten vor Ort in China herausfinden, wo der gefährliche Erreger ursprünglich hergekommen ist.
Im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) beginnt am Freitag ein Team von Fachleuten seine konkreten Ermittlungen in der zentralchinesischen Metropole Wuhan, wo im Dezember 2019 die ersten Ansteckungen entdeckt worden waren. Nach dem Ende ihrer 14-tägigen Quarantäne in einem Hotel zogen die 14 Experten am Donnerstag in eine andere Unterkunft.
»Wir sind immer noch in der Phase, wo wir allen Spuren folgen müssen«, sagte der deutsche Epidemiologe Fabian Leendertz vom Robert Koch-Institut (RKI), der von Deutschland aus über Videokonferenzen in die Ermittlungen eingebunden ist. »Es gibt jetzt irgendwie nicht eine heiße Spur, wo wir sagen können, dass wir uns darauf fokussieren können«, sagte Leendertz der Deutschen Presse-Agentur. »Wir müssen da immer noch mit einem offenen Blick rangehen.«
In den nächsten zwei Wochen planen die Experten Besuche auf Wuhans Huanan-Markt, wo erste Infektionen entdeckt worden waren, aber auch in dessen Umgebung sowie in örtlichen Instituten. Wegen genetischer Ähnlichkeiten wird vermutet, dass das Virus ursprünglich von Fledermäusen aus Südchina stammt und möglicherweise von einem anderen Tier als Zwischenwirt auf den Menschen übertragen worden ist.
Ob das Virus auf dem Markt vom Tier auf den Menschen übergesprungen ist oder der Mensch das Virus zum Markt gebracht hat, ist aber unklar. Zwar wurden bei Wildtierständen besonders viele Virusspuren gefunden, doch konnten nicht alle der ersten Infektionen in Wuhan auf den Markt zurückverfolgt werden. Die Experten gehen auch massenhaft Überwachungsdaten nach, um sich in der Zeit zurückzuarbeiten. »Es ist die Suche nach der Nadel im Heuhaufen«, sagte Leendertz. »Patient Null zu finden, ist bei so einem Virus nicht leicht.«
Die Suche nach der Herkunft des Erregers gilt als politisch heikel. China fürchtet, als Schuldiger für die Pandemie angeprangert zu werden. Nach offiziellen Statistiken haben sich weltweit mehr als 100 Millionen Menschen infiziert. Mehr als zwei Millionen sind demnach an den Folgen der Atemwegserkrankung Covid-19 gestorben.
WHO-Untersuchung in Kooperation mit China
Seit Monaten streut die chinesische Propaganda auch schon Zweifel, ob das Virus überhaupt aus China stammt. Es wird auf unbestätigte Berichte verwiesen, dass es Infektionen schon vorher in anderen Ländern gegeben haben könnte, wo die WHO auch ermitteln solle.
Chinas Behörden und Staatsmedien verbreiten auch zunehmend die These, dass das Virus über gefrorene Lebensmittel nach China eingeschleppt worden sein könnte. Es wird immer wieder auf festgestellte Viruspuren auf importierten Tiefkühlwaren verwiesen und daraus gefolgert, dass der Erreger auch damals schon auf diesem Wege aus dem Ausland gekommen sein könnte. Doch ist unter Wissenschaftlern strittig, ob diese Spuren für eine Infektion ausreichen.
Die erst nach einem langen Tauziehen ermöglichte WHO-Untersuchung wird gemeinsam mit der chinesische Seite vorgenommen. Wie auch in den Monaten zuvor haben die 13 Experten in den zwei Wochen Quarantäne intensive Videokonferenzen mit ihren chinesischen Amtskollegen abgehalten. Es seien volle Tage gewesen, die genutzt worden seien, um Fakten und Daten zu sichten, berichtete Leendertz.
Auch die als »Batwoman« bekannte chinesische Fledermausforscherin Shi Zhengli hat einen Vortrag gehalten. Die renommierte Virologin leitet das Zentrum für neu auftretende Infektionskrankheiten am Wuhan Institut für Virologie, das Chinas Akademie der Wissenschaften untersteht. Spekulationen aus den USA, wonach das Virus aus einem Labor entwichen sein könnte, hat China aber immer zurückgewiesen.
Auch gab es unbewiesene Verdächtigungen, dass der Ursprung der Pandemie vielleicht ein Laborunfall mit einem künstlich manipulierten Virus gewesen sein könnte. Das sei ein »sensibles Thema«, schilderte Leendertz. »Wir gehen mit dem offenen Blick daran und schließen im Augenblick keine der möglichen Szenarien aus«, sagte Leendertz, hielt es aber für sehr unwahrscheinlich. »In der Mehrheit sind sich die Topexperten, die sich die genetische Information angeschaut haben, einig, dass es sich um ein natürliches Virus handelt.«
Er spielte auch allzu hohe Erwartungen an die WHO-Mission herunter. Es gehe vor allem darum, in einer ersten Phase zu schauen, welche Spuren noch verfolgt werden könnten. Dann soll ein Plan für die zweite Phase gemacht werden. »Es ist ein Riesenpuzzle, das wir vor uns haben, und wir haben gerade ein Viertel der Puzzleteile«, sagte Leendertz. »Das wird auch noch dauern.« (dpa)