WIEN. Im vierten Lockdown wagt Österreich ein Experiment: Die Schulen bleiben offen. Die Regierung hat es den Eltern überlassen, ob sie ihre Sprösslinge in die Schule schicken oder nicht.
Nach ersten Zahlen des Bildungsministeriums saßen am Montag, zum Start des Lockdowns, 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit einer FFP2-Maske im Klassenzimmer. Für Daheimgebliebene ist laut Ministerium kein Online-Unterricht vorgesehen, sondern wöchentlich abzuarbeitende Aufgabenpakete.
Ein Kommunikationsdesaster
»Es handelt sich um ein absolutes Kommunikationsdesaster«, sagte der Lehrer-Gewerkschaftschef Paul Kimberger der Deutschen Presse-Agentur. »Das Hauptproblem ist die Unklarheit«, meinte auch Österreichs Bundesschulsprecherin Susanna Öllinger. In einigen Schulen hätten Direktoren Druck ausgeübt, den Unterricht weiter zu besuchen, berichtete die 18-Jährige.
Schüler besonders stark betroffen
Die Brisanz liegt darin, dass das Coronavirus besonders stark in der Altersgruppe der Schüler grassiert. Die Sieben-Tage-Inzidenz ist mit 2200 doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung. Das Argument des Ministeriums ist, dass die Schüler dreimal in der Woche getestet und so perfekt überwacht würden. Außerdem sagt die Erfahrung, dass Home-Schooling viele Eltern und Kinder überforderte.
Bekannte Regeln
Österreich manövriert ansonsten mit bekannten Regeln - so sind alle Geschäfte jenseits des täglichen Bedarfs geschlossen - und neuen Maßnahmen durch seine massive vierte Corona-Welle. Als Vorreiter in der EU soll die Impfpflicht ab Februar 2022 auf mittlere und lange Sicht einen neuen desaströsen Lockdown verhindern. Zuvor sollen Experten, Sozialpartner und Zivilgesellschaft den Gesetzentwurf begutachten, wie das Gesundheitsministerium betont.
Nach Ansicht von Verfassungsexperten ist das gar nicht nötig. »Das ist ausdiskutiert«, sagte der Jurist Heinz Mayer im ORF auch mit Blick auf die europäische Rechtssprechung. Die Persönlichkeitsrechte hätten in Fällen, in denen es um den notwendigen Schutz der Gemeinschaft gehe, zurückzustehen. Aktuell werden für beharrliche Impfverweigerer in der Öffentlichkeit Strafen von einigen Tausend Euro oder im Extremfall auch ein Führerscheinentzug diskutiert.
Zahlreiche Impf-Anreize
Zur Ankurbelung der Impfquote hat nun auch der öffentlich-rechtliche ORF eine Lotterie organisiert, bei der Geimpfte sogar ein Fertigteil-Haus gewinnen können. Solche Glücksspiel-Anreize für eine Injektion gab und gibt es auch in den Bundesländern Burgenland und Oberösterreich. Inzwischen liegt die Impfquote in Österreich bei 66,1 Prozent.
Ob die jüngste Zahl bei den Corona-Neuinfektionen ein Hoffnungsschimmer oder eine Eintagsfliege ist, wird sich im Lauf der Woche herausstellen. Mit 9513 Fällen wurden in Österreich am Dienstag zum ersten Mal seit zwei Wochen weniger als 10.000 neue Fälle binnen 24 Stunden gezählt. Zuletzt waren bis zu rund 16.000 Neuinfektionen registriert worden. Trotz dieses Rückgangs stieg die Zahl der mit Covid-Patienten belegten Betten in den Kliniken weiter.
Seit Beginn des Monats gelten in Österreich die 3G-Regel am Arbeitsplatz sowie die 2G-Regel, die Ungeimpften unter anderem den Lokalbesuch verbietet. Angesichts der hohen Sieben-Tage-Inzidenz von 1100 pro 100.000 Einwohner trat am Montag ein Lockdown für alle in Kraft. Er soll bis zum 13. Dezember andauern.
Die Wirtschaft beginnt zu leiden
Die Maßnahmen hinterlassen bereits Spuren in der Wirtschaft. Schon die Einschränkungen für die rund zwei Millionen Ungeimpften hätten den vom Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) erhobenen wöchentlichen Indikator sinken lassen, sagte Wifo-Chef Gabriel Felbermayr. Eine Woche Stillstand koste derzeit etwa 800 Millionen Euro. Richtung Weihnachten werde es rund eine Milliarde Euro pro Woche sein.
Arbeitsminister Martin Kocher rechnet mit einer Vervierfachung der Zahl der Kurzarbeiter von aktuell 80.000 auf 300.000 bis 400.000. Vieles hänge nun davon ab, ob zumindest ein Teil des Weihnachtsgeschäfts gerettet werden könne, hieß es.
Einen Hauch von Normalität soll es auf einigen Skipisten geben. Wider Erwarten wurde der Betrieb von Skiliften und Bergbahnen unter Einhaltung der Sicherheitsregeln im Prinzip erlaubt. Das ist eine gute Nachricht für Einheimische, die zur körperlichen Erholung auf den Berg fahren dürfen.
Kein grünes Licht für Touristen
Für weite Anreisen mit Übernachtungen von Touristen gibt es aber im Lockdown kein grünes Licht. Ohnehin sind Lokale und die meisten Hotels geschlossen. Letztere dürfen als Gäste nur Geschäftsreisende oder Menschen beherbergen, die andere zwingende Gründe glaubhaft machen können.
Bei der Diskussion um die Schulen unternahm das Bildungsministerium am Dienstag einen ersten Schritt in Richtung Klarheit: Es gab bekannt, dass künftig alle Klassen ab dem zweiten Infektionsfall für mindestens fünf Tage in den Fernunterricht geschickt werden. (dpa)