BERLIN. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil setzt auf die Umsetzung der neuen Homeoffice-Verordnung durch die Betriebe. »Mir geht es jetzt nicht darum, Unternehmen zu quälen oder ständig zu kontrollieren«, sagte der SPD-Politiker in Berlin. Jeder müsse sich in diesem Land an Recht und Gesetz halten und viele Unternehmen zeigten, was möglich sei. »Jetzt müssen es alle.«
Heil hatte zuvor dem Bundeskabinett eine Verordnung vorgelegt, mit der die von Bund und Ländern besprochenen Homeoffice-Vorgaben für Unternehmen umgesetzt werden sollen. Demnach sollen Arbeitgeber Beschäftigten im Falle von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten anbieten, auch zu Hause arbeiten zu können, wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe dagegensprechen. Das Ministerium spricht in den Erläuterungen zu der Verordnung von einer »Pflicht«, Homeoffice anzubieten, »soweit dies nach den betrieblichen Gegebenheiten möglich ist«.
Arbeitgeber seien rechtlich verbindlich gehalten zu schauen, wo Homeoffice möglich sei und müssten ihren Beschäftigten dies dann anbieten, sagte Heil. Auf die Frage, wie das kontrolliert werden solle, riet er dazu, dass Arbeitnehmer zunächst mit ihrem Arbeitgeber sprechen sollten oder sich im Zweifelsfall an den Betriebsrat und im »äußeren Konfliktfall« an die Arbeitsschutzbehörden der Länder wenden sollten. Nur im Zweifelsfall würden die Behörden kontrollieren und im »allergrößten Notfall« seien auch Bußgelder möglich. Das stehe aber nicht im Vordergrund, sagte der Minister. Er sprach von tiefen Eingriffen in das wirtschaftliche Leben des Landes. »Diese Maßnahmen sind aber notwendig und deutlich weniger restriktiv als in anderen Bereichen der Gesellschaft.«
Die Homeoffice-Verordnung, mit der auch Schutzvorgaben am Arbeitsplatz im Betrieb verschärft werden, wird nur einige Wochen in Kraft sein. Heil rechnet nach der Unterzeichnung damit, dass sie Mitte der kommenden Woche wirksam wird. Sie ist befristet bis zum 15. März.
Nach Meinung von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) werden Kontrollen oder Sanktionen bei der Einhaltung der Homeoffice-Regelungen »nur ganz selten« gebraucht werden. »Wir wollen kein bürokratisches Gebilde, sondern wir wollen erreichen, dass es flexibel im Interesse der Betriebe und Arbeitnehmer funktioniert«, sagt er im ARD-»Morgenmagazin« am Mittwoch. Es müssten so wenig Menschen wie möglich im öffentlichen Nahverkehr oder auf den Straßen sein. »Wir müssen soziale Kontakte reduzieren«, so Altmaier. »Wir wollen so wenig staatliche Regulierungen wie möglich.«
Ein Zwang zum Arbeiten in den eigenen vier Wänden ist allerdings umstritten. Nordrhein-Westfalens Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) sagte im Radiosender WDR 5, das Ziel, den Homeoffice-Anteil an der Belegschaft zu erhöhen, sei zwar richtig, der Weg über eine Verordnung sei aber falsch. Die von Heil vorgelegte Regelung sei ein »Bürokratiemonster«. Pinkwart wies darauf hin, dass Unternehmen seit dem Ausbruch der Pandemie mit Hygienekonzepten und mit geteilten Teams, die wechselnd zu Hause und im Unternehmen im Einsatz waren, »hervorragend gearbeitet« hätten. Ähnlich hatten Unternehmerverbände in der seit Wochen laufenden Homeoffice-Debatte argumentiert - und sich stets gegen eine Pflicht zur Arbeit zu Hause gesperrt.
Für Ärztefunktionär Frank Ulrich Montgomery ist eine solche Pflicht aber nun dringend geboten. »Es ist gut, dass die Arbeitgeber jetzt per Verordnung zu mehr Homeoffice-Angeboten gebracht werden sollen«, sagte der Vorsitzende des Weltärztebundes der »Rheinischen Post« (Mittwoch). »In dieser zweiten Welle wurden noch viel zu viele Büros offengelassen. Es gab sogar Unabkömmlichkeitserklärungen, die an Arbeitnehmer verschickt wurden, obwohl dies nicht unbedingt nötig gewesen wäre.« Aus seiner Sicht haben Arbeitgeber »einen Anteil daran, dass die Infektionszahlen noch einmal so stark steigen konnten«.
Der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Oliver Zander, bezeichnete die beschlossenen Vorgaben für mehr Homeoffice als »inakzeptabel«. Noch im November habe Heil verkündet, von diesem Vorhaben abzusehen. »Dieses nun unter dem Etikett der Pandemiebekämpfung einzubringen, erweckt den Eindruck, als nutze der Minister die Pandemie für parteipolitische Zwecke«, teilte Zander mit.
In der Kritik steht die Politik weiter wegen einer aus Sicht vieler Firmen schleppenden Zahlung von finanziellen Hilfen. Vor allem der Handelsverband Deutschland kritisiert immer wieder, dass versprochene Hilfen bislang nicht geflossen seien. Die Modeindustrie schlug erneut Alarm. Nach Umsatzeinbußen von bis zu 45 Prozent treffe der seit November immer weiter verschärfte Lockdown die mittelständischen Bekleidungshersteller hart, sagte die Präsidentin des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie, Ingeborg Neumann, der »Neuen Osnabrücker Zeitung«.
Auch der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW), Gabriel Felbermayr, warnte angesichts der erneut verlängerten Schließungen vor einer Insolvenzwelle. »Je länger der Shutdown dauert, umso stärker leiden die Unternehmen, umso mehr werden ihre Reserven angeknabbert, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir nach dem Ende der Krise eine große Insolvenzwelle sehen«, sagte er bei »Bild live«. »Das Mindeste, was jetzt passieren muss, dass man mit großzügigen Abschlagszahlungen versucht, die Unternehmen, die unschuldig betroffen sind, über Wasser zu halten.«
Nach schwerer Kritik versprach die Bundesregierung am Dienstag, schnell nachzubessern. »Die Hilfen werden einfacher, umfangreicher und zielgenauer«, sagte Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Scholz erzielte eine Einigung mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Altmaier erklärte: »Wir werden die Überbrückungshilfe III drastisch vereinfachen und auch bei der Höhe noch eine Schippe drauflegen.« (dpa)