Logo
Aktuell Netzwerk

Kwick macht dicht: Ein Reutlinger Student hat's erfunden

Das soziale Netzwerk Kwick schließt Ende August. Damit geht ein Stück Internetgeschichte zu Ende. In einem Reutlinger Studentenwohnheim hat alles angefangen.

Der Gründer von »Kwick.de«, Jens Kammerer, 2007 in den Geschäftsräumen seiner Firma in Weinstadt. Foto: dpa
Der Gründer von »Kwick.de«, Jens Kammerer, 2007 in den Geschäftsräumen seiner Firma in Weinstadt.
Foto: dpa

REUTLINGEN. Im Internet verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer: Das Soziale Netzwerk Kwick wird bald Geschichte sein. Bis zum 31. August haben die Mitglieder noch Zeit ihre Daten zu sichern, danach ist Schluss. »Die Einnahmen decken seit Jahren die Ausgaben nicht mehr und daher konnten die nötigen Investitionen für Plattform nicht getätigt werden«, schreibt das Unternehmen in einem Facebook-Posting. In den 8.000 Kommentaren darunter zeigen sich die User enttäuscht. Für die meisten sind mit Kwick viele Erinnerungen ihrer Jugendzeit verbunden. Unsinnige Spitznamen wie »Bruce Twarce« oder »xxx_tobi87_xxx«. Blinkende Glitzer-Bildchen, die ersten Chats, die ersten Flirts. Nicht wenige Pärchen haben sich über das Portal kennengelernt und sind noch heute zusammen. 

Auch Jens Kammerer hat seine große Liebe bei Kwick gefunden. Der 42-Jährige hat es 1999 gegründet, kurz nachdem er sein Wirtschaftsinformatik-Studium an der Hochschule Reutlingen begonnen hatte. Auf Wikipedia steht zwar, Kammerer hätte die Plattform innerhalb eines Studienprojekts entwickelt, doch das sei falsch. »Die Idee kam mir in meiner Freizeit«, sagt der gebürtige Schorndorfer dem GEA. Und doch hatte die Universität einen gewissen Anteil am Erfolg der Website. »Die Uni hat mich voll unterstützt. Zum Beispiel durfte ich das Contentmanagementsystem, das ich während meiner Diplomarbeit geschrieben habe, auch für Kwick verwenden«, sagt der 42-Jährige.

Von 1999 bis 2004 hat Kammerer in Reutlingen gelebt. Es war eine Zeit in der viele mit eigenen Websites experimentiert haben. »Leider wusste ich nicht, was ich da drauf stellen sollte«, sagt Kammerer. Deshalb habe er angefangen Veranstaltungstipps für den Großraum Stuttgart zu veröffentlichen. Kwick war geboren. Der Name ist tatsächlich vom »Kwik E-Markt« aus der Zeichentrickserie »Die Simpsons« abgeleitet. »Ich hatte mir gerade eine Folge angeschaut und der Name gefiel mir sofort, nur die Schreibweise nicht«, erinnert sich Kammerer.

Wenig später stieg WG-Kumpel Benjamin Roth in das Projekt ein. Fünf Jahre lang haben sie zusammen im Studentenwohnheim in Reutlingen gewohnt und dort die Plattform nach Unischluss betrieben und weiterentwickelt. »Wir haben schnell gemerkt, dass das mit den Veranstaltungstipps zu aufwendig ist, weil wir alles selber eingeben mussten«, sagt Kammerer. Schließlich entstand die Idee, eine Community zu gründen, in der sich die User selbst anmelden und vernetzen konnten.» Im Januar 2001 wurde Kwick als echtes Soziales Netzwerk relaunched. Mit Erfolg, die Nutzerzahlen stiegen. Weil es damals keine Alternative gab - Myspace«, Study VZ und Facebook kamen viel später - und dank eines cleveren Zusammenspiels zwischen online und offline.

Statt nur auf eine Vernetzung im Internet zu setzen, haben es die beiden Studenten geschafft, dass sich die Menschen auch im richtigen Leben kennenlernen konnten. Dafür brachten sie zahlreiche Veranstaltungen in Baden-Württemberg an den Start. Darunter einmal im Monat eine Party im »MPark« in Reutlingen oder das damals größte Hobbyfußballturnier Deutschlands in Rübgarten. Die Events wurden zum Selbstläufer. »Die Mitglieder gingen zu den Veranstaltungen, weil sie wissen wollten, wer sich hinter den Profilen verbirgt. Und wer nicht Mitglied war, hat sich für ein Freigetränk einen Account anlegen lassen«, sagt Kammerer. Das Netzwerk sorgte für volle Veranstaltungen und die wiederum ließen die Mitgliederzahlen weiter ansteigen. Besonders in Baden-Württemberg. Von den rund 1 Millionen Usern kamen 800.000 aus dem Ländle. »Das besondere an 'Kwick' war, dass jeder, der hier gewohnt hat, dabei war«, sagt Kammerer.

Zwischenzeitlich arbeiteten 42 Angestellten und 500 freiwillige Mitarbeiter für Kwick. 5 Millionen Euro Umsatz haben Kammerer und Roth mit ihrer GmbH und Co. KG jährlich gemacht. Das meiste mit Werbung auf der Internetseite.

2011 erhielte Kammerer eine Kaufanfrage für Kwick. Wie hoch das Angebot war, ist nie durchgesickert, auch jetzt will er es nicht verraten. Trotz des Erfolgs entschied er sich seine Plattform an das amerikanische Unternehmen Kiwibox.com Inc. zu verkaufen. »Als Facebook auf den Markt kam war klar, dass wir es als Netzwerk schwer haben würden«, nennt Kammerer einen der Gründe. Hinzu kam, dass die beiden Wirtschaftsinformatiker viel Energie, Zeit und Personal für die zahlreichen Veranstaltungen aufbringen mussten. »Wir sind eher technische Menschen und wollten den Fokus wieder darauf richten«.

Kammerer und Roth, die nicht nur Geschäftspartner, sondern auch gute Freunde sind, haben anschließend das Datingportal Jaumo mit Sitz in Göppingen gegründet. Laut eigenen Angaben hat es 40 Millionen Nutzer in mehr als 180 Ländern. Tendenz steigend. Während ihre neue Firma florierte ging Kwick die Luft aus. Für Kammerer kommt das Aus nicht unerwartet. »Alles hat seine Zeit und die von Kwick ist einfach um«, sagt er. Natürlich sei etwas Wehmut dabei, schließlich verbindet er mit dem Unternehmen einen langen und schönen Lebensabschnitt. Kwick lebt jetzt nur noch in seiner Erinnerung. Am Freitag war die Seite schon nicht mehr erreichbar. (GEA)

Das Unternehmen

Kwick ging 1999 als Internet-Magazin für die Region Stuttgart online. Entwickelt wurde es von Jens Kammerer, der damals Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Reutlingen studierte. Im Januar 2001 wurde es als Soziales Netzwerk neu gestartet. Hauptzielgruppe waren Singles auf der Suche nach Freundschaften, Beziehungen und Party-Tipps. User ab 12 Jahren konnten ein Profil anlegen, Bilder hochladen und chaten. Die Seite war kostenlos und finanzierte sich über Veranstaltungen, hauptsächlich aber durch Werbung und machte einen jährlichen Umsatz von rund 5 Millionen Euro. Bis 2010 stieg die Mitgliederzahl auf mehr als 1 000 000, neue Zahlen sind nicht bekannt. 2011 wurde Kwick an das US-Unternehmen Kiwibox.com Inc. verkauft. Betrieben haben es seither zehn feste Mitarbeiter in Weinstadt und ein Netzwerk aus 150 Freiwilligen. Zum 31. August wird die Website geschlossen. (GEA)