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Aktuell Tessin

Stadt der Kamelien

Im Frühling explodieren am schweizerischen Sonnenufer des Lago Maggiore die Blüten

Foto: Pr Public Relations
Foto: Pr Public Relations

Der Frühling erwacht im Tessin früher als anderswo. Schon in den Karnevalstagen blühen die ersten Kamelien und Magnolien. Allerdings kommt es darauf an, ob man die sonnige Seite des Lage Maggiore besucht oder aber die schattigen Hänge am gegenüberliegenden Ufer. Ein Spaziergang durch einige der schönsten Plätze am Langen See in der italienischen Schweiz.

Die Piazza Grande ist das Herzstück von Locarno. Der Platz ist der Salon der Stadt. Er ist von antiken Gebäuden sowie von Laubengängen im lombardischen Stil gesäumt. Im Sommer ist er besonders belebt, wenn das Rockfestival Moon and Stars und das Filmfestival über die einzigartige Open-Air-Bühne gehen.

Das war nicht immer so. Erster Schauplatz des Filmfestivals war zunächst das 1874 erbaute Grand Hotel. Egal ob Claudia Cardinale oder Sophia Loren: Die Diven unter den Schauspielerinnen wohnten alle im Grand Hotel. Und im Oktober 1925 wurde dort auch das Friedensabkommen von Locarno verabschiedet. Die Minister und Botschafter aller beteiligten Länder übernachteten ebenfalls im Grand Hotel. Nur Benito Mussolini nicht. Der italienische Diktator hielt sich lieber in der Villa des Vizekonsuls Farinelli im benachbarten Muralto auf.

Doch mindestens genauso berühmt ist Locarno für seine Kamelien. 1923 gab es deshalb erstmals das Kamelienfest. 2005 wurde dann anlässlich des Kongresses »International Camelie Society« der prächtige Kamelienpark eingeweiht. Zunächst waren dort 500 verschiedene Kamelienarten zu bewundern. Deren Blütezeit deckt satte neun Monate ab.

Mit Steinen aus dem Maggiatal wurde in dem Kleinod ein kleines Amphitheater eingerichtet mit Blick auf den Lago Maggiore. Heute beherbergt der Park 900 Kamelienvariationen, darunter 40 Arten und zehn duftende Hybriden. Es ist längst einer der wichtigsten Kamelienparks Europas. Und die Arbeit ist nicht beendet. 114 Kamelien müssen noch von der Schweizer und Internationalen Kameliengesellschaft identifiziert werden. Am südlichen und westlichen Rand des öffentlichen Strandbades stehen zudem 200 doppelte Kamelien, die als Trennhecke dienen.

»Ende April ist die beste Blütezeit«

Seit Jahrhunderten pilgern Gläubige auf einen Berg oberhalb von Locarno. Dort ist 1480 angeblich die Jungfrau Maria erschienen. Die Madonna del Sasso in Orselino ist die bedeutendste Wallfahrtskirche der Schweiz. Es gibt zwei Wege, die den Aufstieg ermöglichen: der steile Kreuzweg oder der Weg durch das wilde Tal, an dem sich weitere Kapellen befinden. Wer es bequem mag, kann von Locarno aus mit der Drahtseilbahn nach oben fahren.

2013 wurden viele der dort vorhandenen Kunstwerke restauriert. Zu den Exponaten zählen Stuckaturen, Fresken und Gemälde des Bramantino genannten italienischen Architekten Bartolomeo Suardi sowie des Malers Antonio Ciseri. »Hier sein ist herrlich!« So hat der deutsche Dichter Rainer Maria Rilke mit wenigen Worten sehr treffend Ascona beschrieben. Das Fischerdorf ist vornehm, pittoresk, elegant und romantisch. Es gilt als einer der schönsten Orte der Schweiz. In den Gässchen der Fußgängerzone reihen sich Boutiquen, Restaurants, Kunstgalerien und Antiquitätenläden aneinander. Heute ist Ascona ein Ferienparadies für Gutbetuchte. Das Dorf am Lago Maggiore ist aber auch der Geburtsort von Giovanni A. Serodine, einer der größten Maler des 17. Jahrhunderts in Italien.

Geschichte geschrieben hat Ascona vor allem wegen des Monte Verità. Anfang des 20. Jahrhunderts gründeten hier die »Lebensreformer«, auch als Vertreter des sogenannten dritten Wegs zwischen Kapitalismus und Kommunismus bekannt, eine individualistische Kooperative. Daraus entsteht die Sonnen-Kuranstalt und das Sanatorium Monte Verità. Gründer sind die Pianistin und Feministin Ida Hofmann, der Industriellensohn Henri Oedenkoven sowie die Brüder Karl und Gustav Gräser. 1913 bis 1918 gründet dann Rudolf von Laban auf dem Monte Verità seine »Schule für Kunst«, die der individualistischen Cooperative angegliedert ist. Um Laban scharen sich als Schülerinnen unter anderen die Tänzerinnen Mary Wigman und Suzanne Perrottet. Auch Isadora Duncan und Hermann Hesse besuchen den Monte Verità.

Alles dreht sich um eine utopische Lebensform, deren Schlüsselworte lauten: Freiheit, Natur, Nacktheit, Sonne und Tanz. Heute beherbergt der Monte Verità ein Seminarzentrum der ETH Zürich, mehrere Museen sowie eine der größten Grünteeplantagen Europas.

Auf der schattigen Seite des Lago Maggiore liegt auf der Hügelterrasse zwischen Piazzogna und Variano der prachtvolle botanische Garten von Reto Eisenhut. Sein Vater Otto hat dort oberhalb von Gambarogno 1954 ein Grundstück gekauft. Mit viel Liebe und Geschick zog der Baumschulgärtner auf mehr als 20.000 Quadratmetern tausende von farbig blühenden Pflanzen: rund 1.000 Arten und Sorten von Kamelien, 600 verschiedene Magnolien, Azaleen, Pfingstrosen und Rhododendren. »Ende April ist die beste Blütezeit«, sagt Reto Eisenhut. Mit einer Magnolie der Sorte »Queen Elizabeth« fing alles an, berichtet der 56-Jährige. Sein Vater habe »eine herausragende Pionierleistung« vollbracht, die jetzt ein Besuchermagnet ist.

Vier Monate lang karrte er mit Containern viele verschiedene Magnolien aus den USA ins Tessin und legte so den Grundstein für den Garten. 30 Jahre lang dauert es nach der Pflanzung normalerweise bis zur ersten Blüte, erklärt der Baumschulmeister. Durch eine spezielle Veredelungstechnik könnten die Magnolien aber auch schon nach drei oder vier Jahren blühen. Eisenhut ist darauf spezialisiert.

Warum die Palmen im Tessin kälteresistent sind, weiß Eisenhut natürlich auch. Die Tessiner Palme, so sagt er den zahlreichen verblüfften Besuchern, komme nämlich ursprünglich aus Nepal. Es muss also nicht immer Ostasien oder die USA sein wie bei der Magnolie und Kamelie. (GEA)