TÜBINGEN. Der US-Wahlkampf wird in Deutschland mit Spannung verfolgt. Viel hängt davon ab, wer neuer Präsident der Weltmacht wird. Das TV-Duell zwischen den Kandidaten Donald Trump (Republikaner) und Kamala Harris (Demokraten) war ein wichtiger Meilenstein. Die Erwartungen an Harris waren hoch – und sie hat geliefert. Da sind Beobachter sich einig.
»Für Harris stand mehr auf dem Spiel als für Trump«, meint der Tübinger Amerikanist Thomas Gijswijt. Vizepräsidentin Harris habe lang im Schatten von Präsident Biden gestanden. Das TV-Duell sei eine Chance gewesen: »Sie konnte sich den Wählern vorstellen.«
Das ist Harris im Lauf der Debatte immer besser gelungen: »Sie hatte einen holprigen Start«, räumt Gijswijt ein. »Aber dann fand sie rein in ihre Rolle.« Auf die Frage, ob es den Amerikanern heute wirtschaftlich besser gehe als vor vier Jahren, sei sie die Antwort schuldig geblieben. »Ein Fehler«, kritisiert Gijswijt. »Denn die hohen Preise treiben die Menschen um.« Gepunktet habe sie dagegen mit der Mittelstands-Förderung: »Hier nannte sie drei Vorhaben einer künftigen demokratischen Regierung: staatliche Unterstützung für Familien mit Kindern, Hauskäufer und Selbstständige.«
Dass Harris konkret wird, wo Trump vage bleibt, sieht auch Georg Schild als Stärke der Demokratin. Schild lehrt wie Gijswijt an der Universität Tübingen, allerdings als Professor für Nordamerikanische Geschichte. »Trump will die Wirtschaft ankurbeln«, berichtet Schild. »Mit niedrigeren Steuern und höheren Zöllen allein wird das aber nicht funktionieren.«
Trotzdem verfangen Trumps Parolen bei vielen Wählern. »Trump hat eine einfache Botschaft«, erklärt Gijswijt: »Die Migration ist außer Kontrolle. Die Wirtschaft liegt am Boden. Die Welt versinkt im Chaos.« Die Schuldige hat Trump auch ausgemacht: Harris. »Er stellt sie als Schwächling dar«, berichtet Gijswijt. Doch Harris habe im TV-Duell gut gekontert: Wenn Trump Präsident wäre – so ihr Argument – dann säße Putin jetzt in Kiew. Sprich: Du bist schwach, nicht ich.
Auch bei Harris’ Kernthema – der Abtreibung – gerät Trump ins Hintertreffen. Aktuell hat jeder Staat sein eigenes Recht, der eine restriktiv, der andere liberal. Trump will es dabei belassen, den Bund hält er für nicht zuständig. »Damit könnte Trump radikale Abtreibungsgegner vergraulen«, prognostiziert Schild. Harris dagegen will ein bundeseinheitliches, liberales Abtreibungsrecht. »Damit hat Harris die Mehrheit der weiblichen Wähler hinter sich«, weiß Schild.
In Umfragen liegen Harris und Trump etwa gleichauf. Deshalb geht es jetzt für beide darum, unentschlossene Wähler zu gewinnen. »Harris ist das besser gelungen als Trump«, meint Schild. »Trump verunglimpft Harris als Marxistin. Doch sie präsentiert sich moderat.« Trump dagegen trete extrem konservativ auf: »Für Trump gibt es keinen Klimawandel. Er will fossile Energie möglichst billig machen.« Damit verprelle er Wähler in der Mitte.
Mit ihrer Persönlichkeit mehr überzeugen konnte Harris. »Am Anfang war sie defensiv, in der Mitte angriffslustig, am Schluss präsidial«, findet Schild. Wobei ihre Attacken sachlich begründet und nicht persönlich beleidigend gewesen seien. Im Gegensatz zu Trump: »Der Ex-Präsident war aggressiv, ausfallend und abschweifend«, konstatiert Gijswijt. »Harris hat Trump provoziert, und Trump ist drauf reingefallen.«
Damit gewinnt die Demokratin das TV-Duell. »Harris hat sich gezeigt – und zwar positiv. Damit überzeugt sie unentschiedene Wähler in der Mitte«, glaubt Gijswijt. Anders der Konservative: »Trump war Trump«, meint Gijswijt. »Er hat zwar keine alten Wähler verloren, aber auch keine neuen Wähler gewonnen.« Dieses Urteil teilt Schild: »Harris steht besser da, Trump nicht schlechter.« (GEA)