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Aktuell Kriminalität

Neues Sicherheitsgefühl in Berlin

Der Platz am Kottbusser Tor ist ein Hotspot für Gewalt. Eine neue Polizeiwache brachte Besserung

Kai Wegner (links), Regierender Bürgermeister von Berlin und Raed Saleh (SPD), Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus, gehen
Kai Wegner (links), Regierender Bürgermeister von Berlin und Raed Saleh (SPD), Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus, gehen bei einem Spaziergang vom Islamischen Kulturzentrum der Bosniaken zur Synagoge am Kottbusser Tor vorbei. FOTO: CARSTENSEN/DPA
Kai Wegner (links), Regierender Bürgermeister von Berlin und Raed Saleh (SPD), Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus, gehen bei einem Spaziergang vom Islamischen Kulturzentrum der Bosniaken zur Synagoge am Kottbusser Tor vorbei. FOTO: CARSTENSEN/DPA

BERLIN. Mitten auf dem großen Platz in Berlin-Kreuzberg stehen junge Frauen in einer Gruppe zusammen. Sie hören gebannt einer Stadtführerin zu. »Berlin Adventures Tour« steht auf deren Tasche, die »Abenteuer-Tour« hat sie zum Kottbusser Tor geführt. Einige Meter entfernt das Kontrastprogramm: Eine Frau hockt am Boden, brüllt herum. Sie hat die Kontrolle verloren, Drogen vermutlich, vielleicht Alkohol, womöglich beides. Drumherum sitzen Menschen in Cafés, die Bremsen der U-Bahn sind zu hören, die hier als Hochbahn über den Köpfen der Leute schwebt. Der Kottbusser Platz ist Partymeile, Drogenstrich, sozialer Brennpunkt, Künstler- und Szeneviertel, Touristen-Magnet. Sexuelle Übergriffe, Körperverletzungen und Raubüberfälle gehören zur Tagesordnung. Immer häufiger kommt es auch zu Problemen mit Messern. Der »Kotti« bildet viele der Probleme ab, denen die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Attentats in Solingen gerne zu Leibe rücken würde. Hier allerdings sind sie schon längst einen Schritt weiter.

Vorbild für Bundesregierung?

Seit mehr als einem Jahr befindet sich am Kottbusser Tor ein neuer Standort der Polizei. Im ersten Stock eines Hochhauskomplexes liegt die »Kotti-Wache«, wie sie von den Anwohnern fast liebevoll genannt wird. Unmittelbar neben der neuen Dienststelle liegt das »Café Kotti«. Es ist eine Institution in Kreuzberg. Studierende, Anwohner, Drogenabhängige, Künstler und Linksautonome treffen hier aufeinander. Wegen der neuen Wache kommen Letztere allerdings nicht mehr so zahlreich wie früher, wie Betreiber Ercan Yasaroglu sagt. Die Staatsgewalt direkt am Kotti, damit tun sie sich schwer in Kreuzberg. Yasaroglu schätzt, er habe dadurch etwa 20 Prozent seiner Kunden verloren.

Auch der Café-Chef war am Anfang skeptisch. Heute sagt er: »Ich habe das sicherste Café der Welt.« Die Kosten für Sicherheitspersonal spart er sich nun. Die Nachbarschaft sei entspannter, Frauen und Kinder könnten endlich bis spätabends raus und ohne Bedenken auf den Spielplatz. Ein »ganz normales Leben« sei wieder möglich, sagt Yasaroglu. Es komme nicht mehr ständig zu Gewaltausbrüchen, es gebe auf dem Platz nicht mehr diese »Atmosphäre der Angst«.

Das Kottbusser Tor ist einer von sieben sogenannten kriminalitätsbelasteten Orten in Berlin. Das heißt, die Polizei darf hier ohne jeglichen Verdacht Passantinnen und Passanten kontrollieren. Sie tut also genau das, von dem CSU-Chef Markus Söder behauptet, dass es in Deutschland nicht erlaubt sei. »Wenn wir rausgehen, werden wir fast immer fündig«, sagt Karsten Stephan, Polizeidirektor und Abschnittsleiter der Nebenwache. Im ersten Jahr nahm die Polizei 3.000 Menschen fest. Meistens geht es um Drogen: Dealer, die vor dem Konsumraum »Fixpunkt« warten. Jemand, der sich vor dem Kindergarten eine Spritze setzt. Dazu kommen Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht, Körperverletzungen und Raubüberfälle.

Die neue Wache bezeichnet der Abschnittsleiter als »Erfolgsmodell«. Rund um die Uhr arbeiten drei bis vier Beamte in den neuen Räumen. Eine Zelle gibt es nicht. In den meisten Fällen werden Personalien und Fingerabdrücke aufgenommen, anschließend erfolgt die Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft.

Viele der Festgenommenen können allerdings nach kurzer Zeit wieder gehen, das fällt den Menschen am Kotti unangenehm auf. Der Mitarbeiter eines Cafés fragt sich, was die ganzen Festnahmen bringen, wenn die Leute wenige Stunden später wieder an einem anderen Ort in Kreuzberg herumstehen und Drogen verkaufen könnten. Dass sich die Kriminalität an andere Orte verschoben hat, da widerspricht die Polizei nicht. Verdrängung finde nicht eins zu eins statt, sagt Karsten Stephan. Die Lage am Görlitzer Park, einem weiteren Drogenumschlagplatz, habe sich beispielsweise verschlechtert.

Mehr Menschen mit Messer

Angesichts der vielen Probleme am Kotti darf das Sicherheitskonzept gleichwohl als erfolgreich gelten. Von den Mitarbeitenden des Drogenkonsumraums am Kottbusser Tor erhält die Polizei regelmäßig Statistiken. So wissen die Beamten, wie viele Menschen welche Drogen konsumieren. Die Zahl der Drogenabhängigen nimmt demnach zu. Crack wird häufiger konsumiert, das weiße Pulver ist günstiger als andere Drogen, macht allerdings auch oft noch schneller süchtig. Auf die kurze Ekstase folgt dann Aggression. »Crack führt zu mehr Körperverletzungen«, sagt Stephan.

Außerdem haben immer mehr Menschen ein Messer dabei. »Bei Stichwaffen ist die Tendenz zunehmend«, sagt Karsten Stephan für seinen Abschnitt. In ganz Berlin wurden im vergangenen Jahr etwa 3.482 Straftaten mit Messern registriert. Das sind 165 mehr als im Vorjahr. In der Hauptstadt starben im Jahr 2023 zwölf Menschen durch Messergewalt. Nicht nur die Dealer, auch Drogenabhängige, die an Geld kommen müssen, haben Messer in ihren Taschen. Die Klingen werden oft gezückt, wenn Auseinandersetzungen eskalieren. Für die Polizei wird dadurch die Arbeit gefährlicher. In Konfrontationen werde daher eine Body-Cam angeschaltet. Einige Polizisten tragen Elektroschocker mit sich.

Neben Festnahmen und Kontrollen erfüllt die Polizei am Kottbusser Tor aber noch eine andere Aufgabe: In den ersten zwölf Monaten führten die Beamten nach eigenen Angaben etwa 8.000 Bürgergespräche. Auch, weil es im Vorfeld Proteste gegen die neue Wache gab. Der Dialog fruchtete offenbar. Für Ercan Yasaroglu, dem Betreiber vom »Café Kotti«, jedenfalls steht fest: Die Polizei hat ein neues Sicherheitsgefühl hergestellt. Noch wichtiger ist für ihn, dass die Menschen rund um das Kottbusser Tor Wertschätzung erfahren. »Wir werden als Ausländer nicht mit der Kriminalität alleingelassen«, sagt Yasaroglu. Obwohl viele Kotti-Anwohner bereits in den vierten oder fünften Generationen in Deutschland leben, fühlen sich manche erst jetzt gesehen. Die Leute fühlen sich nun zu Hause, sagt der Kreuzberger und ergänzt: »Das ist das Schönste.« (GEA)