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Keine Angst vor Trump: Diplomat skizziert in Tübingen Folgen der US-Wahl

Deutschland muss mehr für seine Sicherheit tun, fordert Diplomat Ischinger. Auch wenn Harris die US-Wahl gewinnt

Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger spricht mit CDU-Bundestagsabgeordneter Annette Widmann-Mauz in Tübingen über die Folgen d
Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger spricht mit CDU-Bundestagsabgeordneter Annette Widmann-Mauz in Tübingen über die Folgen der anstehenden US-Präsidentschaftswahl für Deutschland und Europa. FOTO: STEINRÜCKEN
Sicherheitsexperte Wolfgang Ischinger spricht mit CDU-Bundestagsabgeordneter Annette Widmann-Mauz in Tübingen über die Folgen der anstehenden US-Präsidentschaftswahl für Deutschland und Europa. FOTO: STEINRÜCKEN

TÜBINGEN. »Eigentlich ist es ungerecht, dass wir Deutschen nicht den US-Präsidenten wählen dürfen«, witzelt Wolfgang Ischinger, graue Eminenz der Münchner Sicherheitskonferenz. »Wo vom Ergebnis doch so viel abhängt für uns.« Am 5. November entscheiden die Amerikaner, wer künftig im Weißen Haus sitzt: Kamala Harris oder Donald Trump. Und die Deutschen sorgen sich, wie es dann um ihren militärischen Schutz steht. Entwarnung gab jetzt ein Stück weit Transatlantik-Experte Ischinger. Er war der Einladung der Tübinger Bundestagsabgeordneten Annette Widmann-Mauz und des CDU Kreisverbands Tübingen in die Universitätsstadt gefolgt. Beim Diskussionsabend skizzierte er die Folgen der US-Wahl für den Kontinent. Seine Botschaft: Mit Harris wird es nicht leichter als mit Trump. Beide Male müssen Deutschland und Europa mehr für ihre Sicherheit tun.

- Ausgewiesener Sicherheitsexperte

Der gebürtige Baden-Württemberger Ischinger hat eine steile Karriere als Diplomat hingelegt. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und der internationalen Beziehungen in Bonn, Genf und Boston war der heute 78-Jährige persönlicher Mitarbeiter des damaligen Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher, Staatssekretär im Auswärtigen Amt sowie Botschafter in Washington und London.

Von 2008 bis 2022 übernahm er den Vorsitz der Münchner Sicherheitskonferenz. Unter seiner Führung entwickelte sich das Format zur größten internationalen Tagung, auf der Politiker, Militärs und Ökonomen über Themen der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik diskutieren. Inzwischen ist er Präsident des Stiftungsrats. Ischinger ist eine Instanz der Sicherheitspolitik, er hat Geschichte mitgestaltet. In Tübingen, wo er Honorarprofessor an der Universität ist, wirkt er gebildet, besonnen und unprätentiös.

- Knapper Wahlausgang

Wer die Wahl gewinnt, dazu wagt Ischinger keine Prognose. Nur so viel: »Es wird knapp.« Für die USA sind das schlechte Nachrichten: Das gespaltene Land werde auch nach dem 5. November womöglich nicht zur Ruhe kommen. Stattdessen könnte der unterlegene Kandidat das Ergebnis anfechten und seine Anhänger mobilisieren. Ischinger räumt allerdings ein: »Ich lag bislang bei allen US-Wahlen falsch.«

- Unentschlossene Swing States

An einen Durchmarsch von Harris glaubt Ischinger nicht. Zwar traf er auf Parteitagen der Demokraten »viele junge Menschen, die voller Begeisterung für eine neue Ära sind«. Ganz anders als bei Parteitagen der Republikaner, wo die untere Mittelschicht dominiert. »Die fühlen sich abgehängt, sind verbittert, sehen in Trump ihren Mann, der es den Oberen in Washington zeigen wird.« Da spiele es auch keine Rolle, dass Trump die Verfassung nicht achte, Lügen verbreite und unberechenbar sei. Harris und Trump: Beide hätten treue Anhänger – doch das sei egal. »Die Wahl wird entschieden von den Unentschlossenen in den Swing States«, prognostiziert Ischinger.

- Konjunktur auf Kosten von Europa

Egal, wie das Ergebnis ausfällt: Für Deutschland und Europa wird es nicht besser. »Die USA kurbeln ihre Wirtschaft an zulasten der EU«, stellt Ischinger fest. »Die Demokraten ebenso wie die Republikaner.« Während Trump Importzölle verhängte, brachte Biden das Konjunkturprogramm »Inflation Reduction Act« auf den Weg. Damit folgten beide Präsidenten der Devise: »Make America great again!« »Bloß dass die Demokraten es nicht so nennen.«

- Rückzug aus Europa

Auch der sicherheitspolitische Kurs der USA stehe bereits fest – egal, wer die Wahl gewinnt. »Die USA werden in Zukunft nicht mehr als wohlwollender Hegemon ihren militärischen Schutzschirm über Europa ausbreiten«, warnt Ischinger. Stattdessen würden die Amerikaner sich aus Europa zurückziehen, denn als Hauptgegner für die nächsten Jahrzehnte gelte China. Dort würden fortan die Kräfte konzentiert.

- Abhängigkeit bei der Sicherheit

Die logische Konzequenz: »Europa muss stärker in seine Sicherheit investieren«, fordert Ischinger. In den USA gelte der Kontinent als »billiger Trittbrettfahrer«: »Die Wähler im mittleren Westen fragen sich, warum sie die Sicherheit der Europäer weiter mit ihren Steuern subventionieren sollten.«

Der Haken an der Sache: Europa werde bis auf Weiteres sicherheitspolitisch nicht auf eigenen Füßen stehen. »Wir können es nicht«, beklagt Ischinger. »Uns fehlen die militärischen Fähigkeiten, die effektiven Entscheidungsmechanismen und der politische Wille.«

Im Nahost-Konflikt etwa gibt Europa nach Meinung von Ischinger ein schwaches Bild ab: »Frankreich macht sein eigenes Ding. Deutschland macht erst mal gar nichts.« Mit der Ukraine sei es besser gelaufen – »aber da schießt Ungarns Präsident Orban ständig quer«.

Die bittere Wahrheit: »Wir werden auf längere Sicht sicherheitspolitisch abhängnig von den USA bleiben.«

- Gemeinsame europäische Strategie

Ischingers Rat: »Europa muss mit einer Stimme sprechen.« Zum Beispiel gegenüber China. Und zwar aus einem einfachen Grund: »China sieht die europäischen Staaten als Kleinstaaten«, erklärt Ischinger. »Dabei ist die EU Chinas wichtigster Handelspartner.« Darum müsse die EU etwa bei Investitionen, geistigem Eigentum und Cybersicherheit geschlossen auftreten. »Nur gemeinsam haben wir eine Chance, von China gehört zu werden.« Gelingen könne das mit einem »Kerneuropa«: »Große Staaten wie Deutschland, Frankreich und Polen sollten sich zusammentun, eine Strategie vorschlagen und Führung übernehmen.«

- Weltmacht China

Eine koordinierte europäische Position sei wichtig gerade gegenüber China. »China versteht sich zu Recht als Weltmacht«, erklärt Ischinger. »Und beansprucht zunehmend seinen Platz in der Geopolitik.« Bei Friedensverhandlungen zu Nahost etwa werde der Staat mitreden wollen. »Die Gewichte haben sich verschoben«, resümiert Ischinger. »Die USA haben nicht mehr die Kraft, die Region allein in den Griff zu kriegen. Stattdessen sind sie angewiesen auf Zweckbündnisse.«

Für die Ukraine kann das eine Chance sein. »Offiziell steht China hinter Russland«, beobachtet Ischinger. Aber intern gebe es starke Gegenkräfte, denen Putins Grenzverletzungen und Atomwaffen-Drohungen nicht passen. »Das Reich will seine Wirtschaft hochfahren«, denkt Ischinger. »Da schadet Unruhe.« (GEA)