STUTTGART. Für Silvie Bell ist es eine bewusste Entscheidung gewesen. Ihr Kind sollte mit dem Wechsel in die fünfte Klasse auf eine Schule kommen, die »digital gut aufgestellt ist, jedoch die Handynutzung im Schulalltag komplett untersagt«. Denn ihr ist es wichtig, dass die Mädchen und Jungen in den Pausen zusammen spielen, sich bewegen und Freundschaften pflegen. Die Stuttgarterin hat Kontakt zu vielen Müttern, deren Kinder im September auf die weiterführende Schule gewechselt sind. »Und sie berichten mir hilflos davon, wie plötzlich alle in der Pause mit dem Handy dasitzen, darauf spielen, nichts miteinander mehr anfangen und selbst die handylosen Kinder sich nicht entziehen können.« Als Elternteil könne man da kaum eingreifen.
Schule als Schutzraum
In Stuttgart gibt es bereits einige weiterführende Schulen, in denen die Handynutzung – wenn überhaupt – nur der Kursstufe in einem eng begrenzten zeitlichen und örtlichen Rahmen erlaubt ist, so zum Beispiel am Hegel-Gymnasium in Vaihingen und am Zeppelin-Gymnasium am Stöckach. Auch das Dillmann-Gymnasium ist seit diesem Schuljahr »ganztägig handyfrei«, so hat es die Schulkonferenz beschlossen. Das steht in einem von Rektor Manfred Birk verfassten Elternbrief. »In einer Welt, in der die digitalen Medien omnipräsent sind, soll die Schule einen Schutzraum darstellen«, ist dort zu lesen. Es gehe um Prävention und die mentale Gesundheit der Kinder und Jugendlichen. »Durch mehr Aufmerksamkeit und Achtsamkeit kann das Lernen und vor allem das direkte soziale Miteinander wieder in den Fokus rücken, und es wird Raum für Spiele, Tagträume, Kreativität und Ge-spräche geschaffen.«
Vorausgegangen sei eine längere Experimentierphase, sagt Birk. »Wir haben beobachtet, wie die Handynutzung immer weiter zugenommen hat zulasten der Kommunikation. Insbesondere die Jüngeren sind auf das Gerät fixiert gewesen«, sagt der Rektor. Zuerst habe man eine Handyecke eingerichtet. Mit dem Ergebnis, dass sich dort erst recht vor allem die Unterstufenschüler sammelten. Das sei das Signal gewesen, für drei Monate ein komplettes Verbot auszusprechen. Am Ende des Schuljahres gab es eine Evaluation, bei der alle ihre Anregungen einbringen konnten. Daraufhin wurde die Regelung angepasst. Die Jugendlichen ab Klasse 10 dürfen in Freistunden in einem Aufenthaltsraum der Oberstufe ihr Handy nutzen, um Hausaufgaben zu erledigen.
»Die Schüler halten sich dran«, sagt Birk. Zwar würden manche in der Mittagspause das Gelände verlassen, um das Handy nutzen zu können. »Aber die Frequenz ist erstaunlich gering«, so der Schulleiter. Er beobachte auch, dass sich die Jugendlichen wieder mehr Zeit für andere Dinge nehmen. »Die Zahl der Mittagessen hat deutlich zugenommen«, sagt Birk. Es werde wieder mehr miteinander gesprochen und gespielt. »Unser pädagogisches Ziel ist erreicht.« Auch die Rückmeldungen der Elternvertretungen seien durchweg positiv.
Im Fanny-Leicht-Gymnasium macht man sich derzeit intensiv Gedanken über die Handynutzung. Lange hatte man dort ein einfaches Konzept: Draußen auf dem Schulhof sind die Smartphones erlaubt, im Gebäude nicht, erzählt Schulleiterin Antje Rannert. Dann kam Corona, die Umstellung auf digitale Medien und die Erlaubnis für die Oberstufenschüler, das Handy zur Recherche auch im Schulhaus einzusetzen. Mit Folgen: Diese Öffnung habe das alte Konzept »zunehmend aufgeweicht«, sagt die Schulleiterin. Die Handynutzung habe seither so sehr zugenommen, dass das Kollegium das Thema wieder auf die Agenda gesetzt habe.
Seit Sommer läuft am Fanny, wie man das Vaihinger Gymnasium familiär nennt, deshalb ein umfangreiches Beteiligungsprojekt, mit dem auch bei Schülern wie bei den Eltern ein Bewusstsein für das Problem geschaffen werden soll. Man hat eine Arbeitsgruppe mit Lehrern, Schülern und Eltern gebildet, das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg (ZSL) wurde hinzugezogen, das Lehrerkollegium befasste sich bei einem pädagogischen Tag mit dem Thema. Vor Kurzem fanden »Experimentiertage« statt: Zwei Tage lang waren für alle Handys auch im Schulhaus erlaubt, zwei Tage lang nirgends, auch nicht auf dem Schulhof. Nun gibt es eine Fragebogenaktion bei Familien und einen Methodentag mit den Klassen. Das alles wird zuletzt von der Arbeitsgruppe evaluiert.
Einheitliche Vorgaben?
Sylvie Bell wünscht sich, dass nicht jede Schule den Kampf um die Handynutzung allein ausfechten muss. Sie hat sich mit ihrem Anliegen an Gerhard Brand gewandt, den Vorsitzenden des Verbands Bildung und Erziehung. »Wie kann es sein, dass dies von Ihrem Verband nicht kritischer gesehen wird und man ausschließlich mehr Medienpädagogik fordert?«, fragt sie. Die Integration digitaler Bildung in die Gesellschaft sei wichtig, aber die Ausbildung sozialer Kompetenzen noch viel wichtiger. »Und sind denn nicht gerade die Pausen in der Schule genau für so was da?« Kinder könnten den sinnvollen Umgang mit dem Handy nicht selber steuern, das müsse die Gesellschaft machen. Gerhard Brand lehnt eine einheitliche Vorgabe ab. Die Schullandschaft sei sehr heterogen. (GEA)