RÜDESHEIM. Emil Küchler und Franz Rupsch lagen in Rüdesheim auf der Lauer. Sie hatten eine Ladung Dynamit platziert, um damit Kaiser Wilhelm I. auf dem Weg zur Einweihung des Niederwalddenkmals in die Luft zu sprengen und damit den Lauf der Geschichte zu verändern. Die geteerte Hanfzündschnur war gelegt und musste nur noch in Brand gesetzt werden. Gleich musste die Kutsche mit dem 86-jährigen Kaiser, gefolgt von weiteren 112 Kutschen, an ihnen vorbeikommen. Die Kaiserkutsche kam, doch der Funke sprang nicht auf die geteerte Hanfzündschnur über.
Das Attentat am 28. September 1883 misslang, weil ausnahmsweise kein Kaiserwetter herrschte. Niemand von der illustren Gesellschaft bekam etwas mit. Zum Zeitpunkt des Attentatversuchs regnete es kräftig. Weil die beiden Attentäter sich aber die 50 Pfennig für eine Kautschukzündschnur gespart hatten, die auch im Regen funktioniert hätte, jagten sie ihren Sprengsatz kurz darauf aus Wut und Enttäuschung in der Rüdesheimer Festhalle zusammen mit dem Festbraten in die Luft. Es gab einige Verletzte.
Das Attentat geplant hatte der Anarchist August Reinsdorf, der aber wegen einer Verletzung an dem Tag verhindert war. Die Polizei kam den drei Männern erst Monate nach dem Anschlagsversuch auf die Spur und nahm sie fest. Das Leben von Reinsdorf und Küchler endete zwei Jahre später am 7. Februar 1885. Sie starben unter dem Fallbeil. Der wesentlich jüngere Rupsch hatte Glück, er wurde begnadigt.
Gesichtszüge von »Clärchen«
Das dramatische Geschehen um den misslungenen Anschlag hat Regisseur Günter Gräwert vor 50 Jahren für das ZDF in Szene gesetzt. Vadim Glowna als August Reinsdorf, Hans Helmut Dickow als Schriftsetzer Emil Küchler und Marius Müller-Westernhagen als Sattlergeselle Franz Rupsch spielten die Hauptrollen in dem Film »Ein deutsches Attentat«. Viele Szenen drehte Gräwert am Originalschauplatz.
Die pompöse Einweihungsfeier oberhalb des Rheins mit Blick auf die Nahe-Mündung und die Rhein-Engstelle am Binger Loch, fand am 28. September 1883 statt. An markanter Stelle in 225 Metern Höhe blickt die größte Frau Deutschlands von einem Sockel aus gen Süden. Die 12,35 Meter hohe und 32 Tonnen schwere bronzene Walküre Germania steht seitdem oberhalb des Rheingaus. Sie sollte die damals neue stolze deutsche Nation und den Sieg über Frankreich im Krieg 1870/71 symbolisieren. Seitdem bestaunen jährlich 1,5 Millionen Touristen das gewaltige Monument und die herrliche Aussicht über den Rhein.
Nahe dem greisen Kaiser befand sich damals unter den Ehrenjungfrauen die 19-jährige Clara »Clärchen« Elisabeth Schilling. Die mächtige Statue trägt ihre Gesichtszüge. Sie ist die jüngste Tochter des Bildhauers Johannes Schilling aus Dresden (1828 bis 1910), der letztlich den Auftrag für die Germania erhalten hatte.
Die Germania ist mit Symbolen gespickt. Eichenlaub umgibt ihr wehendes Haar, ihr Brustpanzer trägt den Reichsadler, ihr langes Kleid zeigt Tiermotive aus der deutschen Sagenwelt. In der linken Hand hält die Germania zum Zeichen des Friedens ein nach unten gerichtetes Schwert. Mit der rechten Hand hebt sie die neue Reichskrone empor. Johannes Schilling sagte zu seiner Darstellung, Germania sei im Begriff, sich selbst zu krönen.
Am Sockel ist das Eiserne Kreuz zu sehen und die Wappen der Königreiche Preußen, Sachsen, Bayern und Württemberg. Ein mächtiges Relief zeigt 133 Persönlichkeiten mit König Wilhelm von Preußen auf einem Pferd sitzend.
Unter dem Hauptrelief des Denkmals sind fünf der sechs Strophen des Liedes »Die Wacht am Rhein« eingemeißelt. Viele deutsche Soldaten hatten dieses Lied 1870 gesungen, und es war sogar als Nationalhymne im Gespräch. Die vierte Strophe allerdings, die sich auf das besiegte Frankreich bezieht, hatte Schilling weg-gelassen.
Peinliche Panne bei Kaiser-Rede
Eine peinliche und lautstarke Panne gab es am Einweihungstag dann aber doch. Gegen Ende der Rede des Kaisers donnerte mitten hinein ein vorzeitiger Salutschuss. Die Männer an der Haubitze hatten in der Aufregung eine Handbewegung ihres Offiziers missverstanden und gefeuert. Das war das Signal für die unterhalb auf dem Rhein wartenden Schiffe, auch ihre Salutschüsse abzugeben.
1871 hatte der Schriftsteller Ferdinand Heyl als Ort für das Denkmal den Niederwald bei Rüdesheim vorgeschlagen. Danach dauerte es noch 12 Jahre, bis es oben stand. Der Transport der insgesamt 32 Tonnen schweren Figur der Germania war vor 141 Jahren eine außergewöhnliche Herausforderung. Sie war in der Königlichen Erzgießerei in München gegossen worden. Die Aufgabe damals erinnert an die vor wenigen Wochen abgeschlossene spektakuläre »Fahrt« des U-Bootes U17 bis ins Museum von Sinsheim.
Die Germania sollte mit dem Zug transportiert werden. Die Fahrtroute wurde zur Probe abgefahren wegen der Tunnels und Brücken auf der Strecke von München nach Worms. Von Worms aus sollte es dann per Schiff bis Rüdesheim gehen. Die Statue wurde in mehreren großen Teilen auf drei Waggons verladen. Das schwerste Stück wog 15 Tonnen. Für den Transport waren acht Tage veranschlagt. Tatsächlich musste auf der Strecke unter anderem ein Schuppen abgebaut und eine Brücke überquert werden. Dazu wurden die Teile von der Bahn auf die Brücke gehoben, mittels Rollen darüber hinweg befördert, und landeten wieder auf den Waggons. Ein Raddampfer schleppte die auf Pontons stehenden Waggons schließlich bis Rüdesheim. Von da wurden die Wagen von einer Lok bis zur Ausladestelle gezogen, ehe es bergauf zum Niederwald ging. Das gelang in einer mehrtägigen Aktion mithilfe vieler kräftiger Pferde. Das 3,7 Tonnen schwere Haupt der Germania wurde mit extrem starken Hebeseilen oben aufgesetzt. Diese Seile kamen aus der Seilerei Jakob Reutlinger in Offenbach.
Zwei Jahre nach der Einweihung fuhr bis 1944 eine Zahnradbahn von Rüdesheim hinauf zum Denkmal. Seit 1954 gibt es eine Seilbahn. Das Denkmal war damals so populär, dass der Kölner Schokoladenproduzent Stollwerck für die Weltausstellung 1893 in Chicago aus 300 Kilogramm Schokolade eine zwölf Meter große Germania herstellen ließ. (GEA)