Logo
Aktuell Parteien

»Die Bürger wünschen sich Stabilität«

GroKo, Neuwahlen oder doch eine Minderheitsregierung. Ein Experte erklärt, was am wahrscheinlichsten ist

Ganz alleine auf der Regierungsbank: Niemand will mit Angela Merkel regieren.  FOTO: DPA
Ganz alleine auf der Regierungsbank: Niemand will mit Angela Merkel regieren. FOTO: DPA
Ganz alleine auf der Regierungsbank: Niemand will mit Angela Merkel regieren. FOTO: DPA

REUTLINGEN. Große Koalition, Minderheitsregierung oder doch Neuwahlen? Welches Szenario am wahrscheinlichsten ist und welche Parteien von welcher Möglichkeit profitieren würden, erklärt Oskar Niedermayer, Parteienforscher und emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

GEA: Nach den geplatzten Jamaika-Verhandlungen rückt eine Große Koalition in greifbare Nähe. Für wie wahrscheinlich halten Sie diese Konstellation?

Oskar Niedermayer: Vor dem Platzen der Jamaika-Sondierungen habe ich mir nicht vorstellen können, dass Herr Schulz und der SPD-Vorstand noch eine Kehrtwende vollziehen. Das ist ja auch ein Glaubwürdigkeitsproblem, gerade gegenüber der SPD-Basis. Die Sozialdemokraten haben erlebt, was es bedeutet, mit der Union unter Merkel in einer Koalition zu sein. Deshalb gibt es eine große Sehnsucht an der Parteibasis, in die Opposition zu gehen und die Partei zu erneuern. Nun ist die Situation aber eine andere, als direkt nach der Wahl. Die SPD-Führung versucht nun, die Gründe für die 180-Grad-Wende bei anderen zu suchen: Sei es der Wunsch des Staatsoberhaupts, die staatspolitische Verantwortung oder die Rolle Deutschlands in der Welt, die eine eine stabile Regierung erfordert. So versucht man der eigenen Parteibasis zu erklären, warum man die Wende vollzogen hat.

Was müsste die SPD machen, dass eine Große Koalition nicht wieder in einem Wahldebakel endet?

Niedermayer: Die Situation in vier Jahren ist eine andere. Angela Merkel ist geschwächt und wird dann wohl nicht mehr zur Wahl antreten. Auch Herr Schulz wird wohl nicht mehr der Kandidat der SPD sein. Daher ist die personelle Situation eine ganz andere. Die SPD versucht sich nun ihre Zustimmung zur Großen Koalition mit starken inhaltlichen Zugeständnissen der Union abkaufen zu lassen. Dann kann man darauf hinweisen, was man für die eigene Klientel durchgesetzt hat.

Wie wahrscheinlich ist Ihrer Meinung nach eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen?

Niedermayer: Auszuschließen ist nichts. Man weiß nicht, wie die Stimmung an der SPD-Basis ist, die ja einer Großen Koalition zustimmen muss. Bei der Parteiführung sehe ich da keine Probleme. Für Schulz wären Neuwahlen das Schlimmste. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er die SPD noch einmal in den Wahlkampf führt. Für Merkel wäre eine Minderheitsregierung problematisch. Sie müsste immer wieder nach Mehrheiten suchen, was zermürbend wäre. Bekäme sie dann einmal keine Mehrheit zustande, gelte das als Scheitern Merkels.

Würde eine Minderheitsregierung in Deutschland funktionieren?

Niedermayer: Eine Minderheitsregierung kann ich mir nicht wirklich vorstellen. Wer sollte eine Minderheitsregierung tolerieren? Die FDP bestimmt nicht. Sie ließ bereits die Jamaika-Koalition platzen. Die Linken werden das bestimmt auch nicht tun. Die AfD soll, wenn es nach den anderen Parteien geht, nicht die Partei sein, auf die eine Minderheitsregierung angewiesen wäre. Nur die Stimmen der Grünen würden nicht ausreichen. Und die SPD könnte viel mehr von einer Regierungsbeteiligung profitieren. Außerdem ist eine Minderheitsregierung in unserer politischen Kultur nicht positiv besetzt. Die Bürger wünschen sich Stabilität, die eine Minderheitsregierung nicht bieten kann.

Also doch eher Neuwahlen?

Niedermayer: Was bei Neuwahlen passiert ist nicht absehbar. Es gibt Umfragen, die besagen, es würde sich nichts ändern. Die sind aber nur minder aussagekräftig, da sie vor dem Platzen der Jamaika-Sondierungen geführt wurden. Dann wird immer wieder in den Raum gestellt, dass Neuwahlen der AfD nutzen würden. Das sehe ich jedoch nicht. Die AfD ist – und das hat auch der Parteitag am Wochenende gezeigt – vor allem mit sich selbst beschäftigt. Protestwähler schreckt das ab. Die Argumentation der AfD war bisher meist: Die Alt-Parteien bilden ein Kartell ihr gegenüber. Das Platzen von Jamaika hat ja gerade gezeigt, dass dem nicht so ist. Das Kartell wurde nicht gebildet. Dieses Argument zieht also nicht. Zudem ist die AfD von der Entwicklung der Flüchtlingsfrage abhängig. Allein die Tatsache, dass es Neuwahlen geben soll, hat keine Vorteile für die AfD. Was die Union angeht, ist die Situation eine andere als im September: CDU und CSU sind sich nun sehr viel einiger in der Flüchtlingsfrage. Der Machtkampf in der CSU ist geklärt. Für Angela Merkel ist momentan keine Alternative in Sicht. Und obwohl sie angeschlagen ist, sagen Umfragen, dass sie unter CDU-Wählern weiterhin sehr beliebt ist. Durch die hohe Volatilität der Wähler, die keine langfristigen Bindungen an Parteien mehr haben, ist der Ausgang von Neuwahlen aber ganz unsicher.

Muss sich die FDP, weil sie die Jamaika-Sondierungen platzen ließ, vor Neuwahlen fürchten?

Niedermayer: Das hängt davon ab, ob sie ihren Wählern begreiflich machen kann, dass sie Jamaika platzen ließ, um die Versprechungen, die sie ihren Wählern vorher gegeben hat, zu halten.

Wie wird die deutsche Hängepartie denn in der EU aufgenommen?

Niedermayer: Es ist klar, dass aktuell von der geschäftsführenden Bundesregierung keine weitreichenden Entscheidungen getroffen werden, die eine spätere Bundesregierung binden. Das heißt, Deutschland kann im Moment kein Motor in Europa sein, so wie sich beispielsweise Frankreichs Präsident Macron das wünschen würde. Er wird froh sein, wenn sich wieder eine Große Koalition unter Merkel bildet. Mit Sicherheit hätte er eine Jamaika-Koalition mit der FDP weniger gern gesehen, da diese zum Teil Forderungen stellt, die diametral seinen Forderungen zur EU entgegenstehen.

Was glauben Sie, wann werden wir eine neue Bundesregierung haben?

Niedermayer: Das wird noch eine Weile dauern. Die SPD spielt auf Zeit, um ihre eigene Klientel darauf vorzubereiten, dass es eine Große Koalition geben könnte. Das Erste wird der Parteitag am Wochenende sein. Wenn da Zustimmung kommt, dann werden die Gespräche anfangen. Und zum Schluss muss ja auch noch eine Mitgliederbefragung stehen, die das Ganze noch einmal um ein oder zwei Wochen verzögert. Also so schnell wird es nicht gehen, glaube ich. Es könnte dann doch Frühjahr werden. (GEA)