BERLIN. Schon der erste Eindruck lässt nichts Gutes für den Ausgang der pro-palästinensischen Demonstration am Montagabend erahnen. Rund 500 Protestierende drängen sich im Berliner Bezirk Kreuzberg, ein Mann mit Megafon feuert die Menge an. Viele vermummen ihr Gesicht, nur wenige halten ein Protestschild in der Hand. Als einer der Demonstranten das Dach der U-Bahnstation Südstern erklimmt und eine palästinensische Flagge schwingt, jubelt die Menge laut.
Kurz darauf beleidigen die Teilnehmer die Polizei, die ersten Glasflaschen fliegen, Pyrotechnik entzündet. Und inmitten dieser lauten Menge steht eine 21-Jährige mit pinker Corona-Maske, die langen blonden Haare zu einem Zopf zusammengeknotet. Es ist die junge Schwedin Greta Thunberg. Was hat die berühmte Klimaaktivistin hier in Kreuzberg zu suchen – ausgerechnet bei dieser gewaltbereiten Demonstration, deren Teilnehmer verbotene Parolen grölen?
Thunberg hat sich, wie mittlerweile üblich, ein schwarz-weißes Palästinensertuch um den Hals geschlungen. Das Kleidungsstück wird hierzulande seit dem Angriff der Hamas auf Israel, der an jenem Tag genau ein Jahr her ist, als ein politisches Symbol für den palästinensischen Widerstand getragen. Auch Thunberg sagt damit eindeutig aus: Ich stehe hier mit voller Absicht.
Dies mag verwundern, hat doch das Anliegen der pro-palästinensischen Kundgebung nichts mit Klimaschutz gemein, Thunbergs Herzensthema. Eigentlich. Bekannt wurde die Tochter eines Schauspielers und einer Opernsängerin durch ihren Schulstreik fürs Klima. In den Medien trat sie zum ersten Mal im August 2018 auf. Die damals 15-jährige Schülerin saß drei Wochen vor der Wahl des schwedischen Parlaments vor dem Reichstag in Stockholm. Jeden Tag, allein. Ihr Schild, auf dem »Skolstrejk för klimatet«, also »Schulstreik für das Klima«, geschrieben stand, markierte den Anfang ihres rasanten Aufstiegs.
Beginn von Fridays For Future
Denn die 15-Jährige blieb nicht allein. Schon im November schlossen sich weitere Aktivisten ihrem Klima-Streik an. Statt freitags in die Schule zu gehen, stellten sich die jungen Menschen auf die Straße. Schnell fand die Idee durch die Sozialen Medien weltweit Anklang. Aus Thunbergs Aktion entstand die globale Bewegung Fridays For Future. Mittlerweile ist Fridays For Future mit einer strikten Organisationsform (Bundes-, Landes- und Bezirkssprecherinnen und Sprecher) in beinahe allen Ländern vertreten.
Dabei vereint die verschiedenen Gruppen eines: die Wahl des friedlichen Massenprotests, um auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimakrise aufmerksam zu machen und schnellstmögliches Handeln zu fordern. Dass Thunberg nun mitten in einer eskalierenden Demonstration in Kreuzberg steht, die von der eigenen Veranstaltungsleiterin aufgrund der aggressiven Stimmung frühzeitig abgebrochen wird, verdeutlicht einen persönlichen Wandel der Aktivistin.
Zwar setzte sich Thunberg seit der Gründung von Fridays For Future für unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen ein, bis vor einem Jahr konzentrierte sie sich jedoch nicht auf bestimmte Menschen. Seit dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel und dem darauffolgenden militärischen Vorgehen Israels im Gazastreifen solidarisiert sie sich ausnahmslos mit den Palästinensern und beschuldigt Israel eines Völkermords.
Kritiker werfen Thunberg nun wiederum vor, dass sie im Gaza-Krieg und bei den Ereignissen, die ihn auslösten, einseitige Positionen vertritt. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte bei Welt-TV: »Dass sie sehr, sehr naiv ist, steht – glaube ich – außer Zweifel. Antisemitismus zu unterstellen, ist immer ein schwerer Vorwurf. Aber das, was ich hier erlebe – da bin ich sehr nahe bei diesem Vorwurf.« Das Boulevardblatt Bild betitelt Thunberg nach der Demonstration am Montag gar als »Judenhasserin«.
Bedeutsam ist dabei nicht nur Thunbergs Teilnahme an sich, sondern insbesondere der Tag. Denn am Jahrestag des schlimmsten Massakers an Juden seit dem Zweiten Weltkrieg wird an vielen Orten in Berlin um die israelischen Toten und Geiseln getrauert. Umso größer wirkt das Missverhältnis der leisen Trauer zur lauten Wut der Demonstrierenden in Kreuzberg.
Verbotene Parolen
Und umso fragwürdiger Thunbergs Mitdemonstrierende. Der Mann mit dem Megafon ist in der pro-palästinensischen Szene bekannt. Schon am vorherigen Tag war er bei der Demonstration am Kottbusser Tor, schrie auch hier aggressive Parolen auf Arabisch. Seine Anhänger zeigten wiederholt ein mit den Fingern geformtes Dreieck, die Spitze nach unten gerichtet. Damit wird im Kontext der Proteste eine Unterstützung der Hamas symbolisiert. Die Terroristen propagieren das eigentlich rote Dreieck in den Sozialen Medien als eine Art Feindmarkierung.
Zusätzlich wird die Parole »From the river to the sea, Palestine will be free« gerufen. Diese kann mit »vom Fluss bis zum Meer, Palästina wird frei sein« übersetzt werden und bezieht sich auf das Gebiet zwischen dem Fluss Jordan und dem Mittelmeer. Die Hamas meint damit, dass der Staat Israel kein Existenzrecht hat. Nach Auskunft des Bundesinnenministeriums ist die Parole in Deutschland verboten, wenn sie als Kennzeichen der Hamas verwendet wird. (GEA)