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Aktuell Interview

Annette Widmann-Mauz (CDU) fordert mehr Beteiligung von Frauen in der Politik

Nach zehn Jahren gibt die CDU-Politikerin Annette Widmann-Mauz den Bundesvorsitz der Frauen Union auf. Auch als Kandidatin für den Wahlkreis Tübingen-Hechingen war die Abgeordnete bei der Bundestagswahl im Februar nicht mehr angetreten. Mit dem Reutlinger General-Anzeiger sprach Widmann-Mauz über die Männerdominanz in der Union, Gleichberechtigung von Frauen in Politik und Gesellschaft, ein Sexkaufverbot und über ihren Abschied aus der Berufspolitik.

Annette Widmann-Mauz zieht sich aus der Berufspolitik zurück.
Annette Widmann-Mauz zieht sich aus der Berufspolitik zurück. Foto: Foto: Tobias Koch
Annette Widmann-Mauz zieht sich aus der Berufspolitik zurück.
Foto: Foto: Tobias Koch

BERLIN. GEA: Frau Widmann-Mauz, in der Woche nach der Bundestagswahl erntete die Union für ein Foto heftige Kritik. Darauf waren die Spitzen von Partei und Fraktion zu sehen, die die Sondierungsverhandlungen mit der SPD vorbereiteten. Eine reine Männerrunde, Frauen nahmen an dieser wichtigen Sitzung nicht teil. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie das Foto gesehen haben?

Annette Widmann-Mauz: Solche Bilder sind natürlich unnötig. Aber selbst, wenn dort kein Foto gemacht worden wäre, bleibt die Situation nicht befriedigend. Gerade, wenn es um die Zukunft unseres Landes geht, müssen Frauen gleichberechtigt mit am Tisch sitzen.

GEA: War dies nur eine unglückliche Momentaufnahme oder ist Regieren in der Union immer noch Männersache?

Widmann-Mauz: Wir sind in unserer Partei noch nicht da, wo wir sein müssten. Die strukturellen Voraussetzungen haben wir geschaffen, aber vieles von dem, was auf dem Papier steht, muss auch im Alltag gelebt werden. Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen muss zur Selbstverständlichkeit werden. Die nachträgliche Einsicht auf den Hinweis, dass da jemand fehlt, ist zu wenig. Der Weg zur Parität ist ein langer und es gibt immer wieder Rückschläge. Mittlerweile gibt es ein Problembewusstsein, dass sich in der Sache etwas ändern muss.

»Wir sind in unserer Partei noch nicht da, wo wir sein müssten«

GEA: Sie selbst waren zehn Jahre lang Bundesvorsitzende der Frauen Union. Warum hören Sie jetzt auf?

Widmann-Mauz: Mit meinem Ausscheiden aus dem deutschen Bundestag war für mich klar, dass nun auch der Stabwechsel an der Spitze der Frauen Union ansteht. Ein politisches Mandat und die Präsenz im Parlamentsbetrieb sind ein wesentlicher Faktor für den politischen Einfluss der Frauen Union, um unsere Inhalte und Forderungen am Ende auch erfolgreich durchsetzen zu können. Vor diesem Hintergrund war der Rückzug für mich die logische Konsequenz.

GEA: Ist es ein Abschied aus der Politik?

Widmann-Mauz: Ich bin und bleibe ein politischer Mensch. Aber nach knapp 27 Jahren Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verabschiede ich mich aus der Berufspolitik. Für mich ist es eine runde Sache. Jetzt beginnt eine neue Ära, wir werden eine neue Bundesregierung mit Bundeskanzler Friedrich Merz erleben. Und damit ist jetzt auch der richtige Zeitpunkt, denjenigen die Gestaltungsmacht zu übertragen, die diese Ära prägen werden.

GEA: Was haben Sie in Ihrer Zeit als Vorsitzende der Frauen Union erreicht?

Widmann-Mauz: In meine Amtszeit fielen von Anfang an wichtige Weichenstellungen für Frauen. Mit dem Grundsatz »Nein heißt Nein« haben wir 2016 für eine deutliche Verschärfung des Strafgesetzbuchs gesorgt. Das war ein wichtiger Meilenstein für den besseren Schutz von Frauen vor sexueller Gewalt. Wir haben außerdem kontinuierlich über die Jahre die Rolle und die Stellung der Frau in allen gesellschaftlichen Bereichen vorangetrieben. Bei der gleichberechtigten Vertretung in Führungspositionen, in Politik, in Wirtschaft und Gesellschaft. Gerade in der Wirtschaft ist durch die Verabschiedung des Gesetzes für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen und bei der Entgelttransparenz viel erreicht worden. Auch das fiel in meine Amtszeit. Beim Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf war es der Frauen Union immer ein wichtiges Anliegen, dies mit einer flächendeckenden, verlässlichen Kinderbetreuung abzusichern und damit tatsächliche Wahlfreiheit überhaupt erst zu ermöglichen. In meine Amtszeit fiel auch die Verabschiedung und Umsetzung des Rechts auf Ganztagesbetreuung im Grundschulalter. Auch das eine wichtige gesetzgeberische Maßnahme. Es gab natürlich auch richtungsweisende Positionierungen und Beschlussfassungen, die die Frauen Union innerhalb der CDU verankert hat. Denken Sie an die Diskussionen um Gleichstellung im Grundsatzprogramm oder die Verankerung der festen Quote innerhalb der CDU bezogen auf Vorstandsämter und Mandate, die ohne die Frauen Union nicht zustande gekommen wäre.

»Es wird Zeit, dass wir mit Sexkaufverbot Zuhältern ihr Geschäftsmodell entziehen«

GEA: Was wird für die Frauen in den kommenden vier Jahren erreicht werden können?

Widmann-Mauz: Ich blicke mit großer Neugier auf die Verhandlungen zur neuen Koalition aus CDU/CSU und SPD. Wir haben vieles vor von der Mütterrente und höheren Freibeträgen bei der Anrechnung der Hinterbliebenenrente über tatsächliche Entlastungen für Hilfen im Alltag bis zum Gewaltschutz. Mir ist darüber hinaus ein Perspektivwechsel beim Thema Prostitution ein besonderes Anliegen. Zur Mitte dieses Jahres steht die Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes an. Es wird höchste Zeit, dass wir diese elementare Menschenrechtsverletzung beenden und mit einem Sexkaufverbot wie in Schweden oder Frankreich den Menschenhändlern und Zuhältern ihr Geschäftsmodell entziehen, Freier bestrafen und den Betroffenen umfassende Ausstiegshilfen bieten.

GEA: Von den Dingen, die Ihnen als Vorsitzende der Frauen Union nicht gelungen sind, was schmerzt Sie am meisten?

Widmann-Mauz: Trotz aller Fortschritte: Wir sind noch immer nicht bei der vollständigen, tatsächlichen Gleichstellung in unserem Land angekommen. Vieles steht auf dem Papier, aber in der Wirklichkeit ist es ein hartes Ringen. Ich hätte mir gewünscht, dass wir im Steuerrecht weiter gekommen wären. Wenn ich etwa an die Steuerklassenkombination III/V denke, dann behindert sie einfach die Beschäftigungsentwicklung von Frauen, denn die Last der steuerlichen Abzüge liegt überwiegend auf ihren Schultern. Auch das Verharren vieler Frauen in Minijobs ohne die Perspektive auf eine teilzeit- oder vollzeitnahe Beschäftigung ist so ein Punkt, wo wir noch viel Arbeit vor uns haben und es eine starke Interessensvertretung von Frauen für Frauen braucht.

GEA: Wie ist Ihr Verhältnis zu Friedrich Merz?

Widmann-Mauz: Wir haben ein entspanntes und konstruktives Verhältnis. Und auch, wenn wir in der ein oder anderen Frage unterschiedliche Positionen haben, weiß ich, dass wir als Frauen Union bei ihm immer ein offenes Ohr für unsere Anliegen haben.

» Friedrich Merz hat selbst gesagt: Gemischte Teams bringen bessere Ergebnisse«

GEA: Ist Merz der richtige Kanzler, um Frauen in der CDU zu fördern, für Gleichberechtigung zu sorgen? Manche Frauen haben da ja ihre Zweifel.

Widmann-Mauz: Jeder Vorsitzende und jeder Kanzler hat die Aufgabe, die Gleichberechtigung und Gleichstellung in unserem Land voranzutreiben und durchzusetzen. Wir erleben im Moment eine Maskulinisierung der Politik. Friedrich Merz ist in dieser Zeit der Richtige, um Deutschland wieder zurück in eine Führungsposition zu bringen. Und damit der Verantwortung, die wir für die freie westliche Welt und für Europa haben, angemessen Rechnung zu tragen. Das heißt aber nicht, dass Frauen auch mit einer anderen Herangehensweise das nicht genauso gut könnten, denn entscheidend für eine erfolgreiche Kanzlerschaft ist das richtige Team. Friedrich Merz hat selbst gesagt: Gemischte Teams bringen bessere Ergebnisse. Der erste personelle Vorschlag, den Merz gemacht hat, ist, mit Julia Klöckner eine Frau an die Spitze des Bundestags zu stellen. Als künftige Bundestagspräsidentin hat sie protokollarisch das zweithöchste Amt in Deutschland inne. So darf es im künftigen Kabinett weitergehen. Damit zeigt er, dass er seinen eigenen Anspruch ernst nimmt und umsetzt.

Zur Person

Annette Widmann-Mauz (58) sitzt seit 1998 als Abgeordnete für den Wahlkreis Tübingen-Hechingen im Bundestag. Die gebürtige Tübingerin übernahm 1995 den Vorsitz der Frauen Union Baden-Württemberg, 20 Jahre später dann den Bundesvorsitz der Frauen Union. Sie war von 2009 bis 2018 Parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, 2018 wurde sie Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration. Widmann-Mauz ist mit einem Bio-Bauern verheiratet und lebt in Balingen. (kali)

GEA: Welche Themen sollte Ihre Nachfolgerin bei der Frauen Union angehen?

Widmann-Mauz: Ich werde meiner Nachfolgerin sicher keine guten Ratschläge geben, wie und mit welchen Schwerpunkten sie ihr Amt zu führen hat. Die Aufgaben, die die Arbeit der Frauen Union definieren, sind klar beschrieben: Gleichberechtigung in allen Lebensbereichen und eine Verbesserung der wirtschaftlichen und der sozialen Situation der Frauen in unserem Land. Außerdem muss der Kampf gegen Gewalt an Frauen und Kindern intensiviert werden. Frauenrechte sind Menschenrechte und da gibt es noch einiges zu tun.

GEA: Wie sieht nun Ihre persönliche Zukunft aus?

Widmann-Mauz: Ich werde erst einmal Abstand zum politischen Alltagsbetrieb gewinnen. Ich werde mich weiter für Politik interessieren, mit Herz und Verstand begeistert mit dabei sein. Alles andere wird die Zeit zeigen. (GEA)