Logo
Aktuell Basketball

Warum die zweite Tigers-Pleite in Folge alles andere als eine normale Niederlage ist

Viele der 1.950 Zuschauer fragten sich am Samstag vermutlich nicht, ob die Tigers Tübingen gegen Bochum den neunten Zweitliga-Sieg einfahren werden, sondern eher wie hoch dieser ausfallen wird. Warum das so war und am Ende doch alles anders kam.

Die Gesichter sprechen Bände: Tübingens Jay Nagle und seine Teamkollegen verlassen das Parkett mit versteinerten Mienen.
Die Gesichter sprechen Bände: Tübingens Jay Nagle und seine Teamkollegen verlassen das Parkett mit versteinerten Mienen. Foto: Woern/Eibner
Die Gesichter sprechen Bände: Tübingens Jay Nagle und seine Teamkollegen verlassen das Parkett mit versteinerten Mienen.
Foto: Woern/Eibner

TÜBINGEN. Topscorer Keith Braxton Jr., der zweitbeste Punktesammler Niklas Geske, Lars Kamp und Emil Loch: Es waren umgerechnet sage und schreibe durchschnittlich 47 Zähler pro Partie, die den Zweitliga-Basketballern des VfL Bochum bei ihrem Auswärtsspiel gegen die Tigers Tübingen erkältungsbedingt fehlten. Der Club aus dem Ruhrpott musste deshalb mit nur neun Mann die knapp fünfstündige Reise in die Universitätsstadt am Neckar antreten. Darunter fanden sich zahlreiche blutjunge Profis, die bislang entweder nur sporadisch zum Einsatz kamen oder allerdings noch überhaupt nicht in der zweitklassigen Pro A auf dem Parkett gestanden hatten. Mit anderen Worten: Schlimmer kann's eine Mannschaft kaum erwischen.

Aus diesem Grund fragten sich viele der 1.950 Zuschauer (zweitschlechtester Wert in dieser Saison) vermutlich auch nicht, ob die Raubkatzen gegen die Bochumer Rumpftruppe ihren neunten Saisonsieg einfahren werden, sondern eher wie hoch dieser ausfallen wird. Am Ende kam jedoch alles ganz anders. Um 21.30 Uhr am Samstagabend war es mucksmäuschenstill in der Paul-Horn-Arena. Die Tigers brachten es tatsächlich fertig, gegen diesen angeknockten Gegner mit 77:85 (40:41) als Verlierer vom Feld zu gehen.

Der Bochumer Plan geht auf: Ohne Gewissen draufwerfen

Kann man deshalb nun von einer Sensation sprechen? Vorsicht mit diesen Begriffen. Schließlich sind die Bochumer, die knapp drei Minuten vor Ende der Partie mit 18 Zählern in Führung lagen, in dieser Saison ebenfalls für guten Basketball bekannt - beide Teams lagen vor der Begegnung zudem mit acht Siegen gleichauf. Eine Riesen-Überraschung mit gleich mehreren Ausrufezeichen war der Gäste-Erfolg unter diesem Umständen aber in jedem Fall und gleichzeitig »definitiv der unerwartetste Sieg in meiner Karriere«, wie Bochums Jonas Grof (21 Punkte, sieben Rebounds, sieben Assists und zwei Steals) euphorisch betonte. Gleichzeitig gab der bundesligaerfahrene 28-Jährige spannende Einblicke in den Matchplan nach den Hiobsbotschaften im Vorfeld der Partie: »Wir wollten in der ersten Hälfte mitspielen und dranbleiben. Wir haben verschiedene Verteidigungsvarianten reingeworfen, mal Zone, mal Mann gegen Mann. Und vorne wollten wir ohne Gewissen draufwerfen. Entweder die Würfe fallen, oder nicht.«

Und wie sie das taten. 13 von 26 Dreier fanden den Weg durch die Reuse. Was aber fast einzig und allein an einem Spieler lag. Gestatten: Matthew Douglas Strange. Ein nur 1,80 Meter großer US-Guard, der bislang bei den Bochumern allenfalls mitgeschwommen war. Die Ausbeute von 4,6 Punkten und eine nur 29-prozentige Erfolgsquote aus der Distanz sorgen bei den Gegenspielern nicht für Sorgenfalten. Das alles war am Samstagabend Geschwätz von gestern. Strange machte das Spiel seines Lebens und legte mit neun getroffenen Würfen von jenseits der 6,75-Meter-Linie eine atemberaubende und unglaubliche Vorstellung an den Tag. Vor allem im dritten Viertel traf er mehrere maximal schwierige Würfe unter Gegnerdruck, die man ansonsten eher mit NBA-Superstar und dem besten Dreier-Schützen der Basketball-Geschichte Stephen Curry in Verbindung bringt. Immer wieder blickten sich die Tigers-Fans kopfschüttelnd gegenseitig an: Das kann der doch nicht ernst meinen? Leider doch aus ihrer Sicht.

Zonen-Verteidigung macht Tigers schwer zu schaffen

Doch nicht nur Strange brach den Tübinger, die nur acht ihrer 35 (!) Dreier-Versuche trafen, das Genick. Einerseits stimmte bei den Raubkatzen die Körpersprache nicht - auch abseits des Feldes auf der Ersatzbank blieb es vergleichsweise ruhig, was bereits zuletzt bei der Niederlage in Koblenz zu beobachten war. Genau das hatte die Tigers über einen Großteil dieser Saison bislang ausgezeichnet. Zudem machten Kapitän Till Jönke und Co. vor allem die von Grof angesprochene Zonen-Verteidigung schwer zu schaffen. Der Spielfluss bei den Tigers haperte gewaltig. Das war alles andere als schön anzuschauen. Und vor allem nicht effektiv.

»Wir hatten uns nicht darauf vorbereitet, weil wir es nicht erwartet haben. Bis jetzt hat noch kaum ein Team eine Zone gegen uns gespielt«, erklärte der Coach. Doch kann man von einer ambitionierten Zweitliga-Mannschaft nicht erwarten, dass sie im Verlauf einer Partie Antworten darauf findet? Ja, sagte Reinboth. Und grundsätzlich habe man das auch im Repertoire, ergänzte er. »Aber wenn du es länger nicht trainiert hast, dann ist es vielleicht ein bisschen rostig. Aber eigentlich müssen wir das von den Jungs erwarten«, sagte der 41-Jährige mit klaren Worten kurz nachdem sich seine Schützlinge mit versteinerten Mienen auf den Weg in die Kabine gemacht hatten. Ein Abend zum Vergessen. (GEA)