REUTLINGEN. Es war ein Schnappschuss für die Ewigkeit, als Trainer Volker Grimminger von den Young Boys Reutlingen am Samstag wenige Sekunden nach dem Schlusspfiff beim 3:2-Erfolg gegen den VfB Bösingen auf die Knie sank, die Hände über das Gesicht zusammenschlug und den Tränen nahe war. In diesem Moment stand fest: Die 2006 gegründeten Young Boys sind Meister in der Landesliga. Der lang ersehnte Aufstieg in die Verbandsliga ist damit perfekt. Es sind Bilder, die klar machen, was dieser Moment für den 44-Jährigen, der auch schon den SSV Reutlingen als Co- sowie Interimstrainer betreute, bedeutete. Grimminger hat es geschafft, was seinen Vorgängern in acht Landesliga-Spielzeiten zuvor nicht gelungen war: Er hat die Young Boys zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte ins württembergische Oberhaus geführt. Ein historischer Erfolg.
»Ein ehemaliger Kollege vom VfB hat mich aus Spaß gefragt, ob ich eigentlich die Champions League gewonnen habe. Ich habe dann gesagt: Das ist mir scheißegal. Erfolg ist Erfolg und hat nichts mit der Liga zu tun«, betont der dreifache Familienvater im Gespräch mit dem GEA und erklärt mit Blick auf seinen Gefühlsausbruch: »Wir haben eigentlich das Unmögliche möglich gemacht. Wir waren vor sieben Wochen noch im Niemandsland der Tabelle. Ich war schon ein emotionaler Spieler, bin allgemein ein emotionaler Mensch, deshalb musste das in diesem Moment einfach raus. Auch weil ich mir persönlich großen Druck gemacht habe. Ich wollte es mit allem, was ich habe. Da sieht man einfach, dass der Wille Berge versetzt.«
»Thorsten hat es immer wieder versucht. Ich habe gesagt, dass ich mich gerade eigentlich nicht als Mannschaftstrainer sehe«
Das Staunen in der Fußball-Region war riesig, als Young-Boys-Präsident Thorsten Bauer im Dezember den langjährigen SSV-Verteidiger als Nachfolger für den im September zurückgetretenen Yasin Yilmaz aus dem Hut zauberte. Auch für Grimminger selbst, der erst im November seine eigene 11-Freunde-Fussballschule gegründet hatte und eigentlich andere Pläne verfolgte: »Thorsten hat es immer wieder versucht. Ich habe allerdings gesagt, dass ich mich gerade eigentlich nicht als Mannschaftstrainer sehe. Dann war im Prinzip alles klar mit Teo Rus. Als sich das dann doch zerschlug, kam ich quasi gar nicht mehr drumherum, weil ich für Teo meine Hand ins Feuer legte.«
Dass die Young Boys nur wenige Monate später unter seiner Leitung sich zum Landesliga-Meister krönen, das wäre Anfang April noch eine Wette gegen jegliche Vernunft gewesen. Da hatten die Reutlinger gerade eine herbe 3:6-Packung gegen den SV Nehren kassiert. Der Tiefpunkt war erreicht. Der bis dato sehr souveräne Spitzenreiter SG Empfingen war auf bereits sieben Punkte enteilt, der Aufstieg schien quasi futsch. Der Rest ist Geschichte. »Die Partie gegen Nehren war das wichtigste Spiel für uns in dieser Saison«, sorgt Grimminger mit dieser Aussage zunächst für Verwunderung, ergänzt jedoch: »Weil ich da gemerkt habe, dass definitiv irgendetwas nicht stimmt. Dann haben wir das System geändert, von einem 4-1-4-1 auf 3-5-2. Mit den zwei Spitzen hatten wir vorne eine bessere Entlastung und hinten kam damit die nötige Sicherheit. Oft sind es im Fußball die Mini-Details, bei denen man schließlich merkt, dass sich die Jungs deutlich wohler fühlen. Dann haben sie mehr Selbstvertrauen und dann klappt halt auch mehr.« Und siehe da: In den letzten neun Spielen kassierten die Young Boys, die in dieser Saison mit großen Verletzungsproblemen zu kämpfen hatten, nur noch sieben Gegentore. »Das war der Schlüssel zum Erfolg«, meint der langjährige Regionalligaspieler.
»Als ich hier ankam, waren die Young Boys keine Mannschaft. Das war am Anfang wirklich das Problem«
Häufig geht es bei der Bewertung von Trainern darum, wie gewieft sie im taktischen Bereich sind und ob sie es schaffen, ein auf die Mannschaft ideal zugeschnittenes Konzept zu entwickeln. Der Ex-Profi hat genau das geschafft. Doch mindestens genauso wichtig ist die menschliche Komponente. Und exakt dieser Punkt dürfte tatsächlich die größte Errungenschaft von Grimminger sein . »Als ich hier ankam, waren die Young Boys keine Mannschaft. Das war am Anfang wirklich das Problem«, berichtet er. Sein Eindruck deckt sich mit den Erkenntnissen aus den vergangenen Jahren. Schließlich brachten die Reutlinger trotz ihrer hohen individuellen Qualitäten die zweifelsfrei vorhandenen PS nicht häufig genug auf den Platz und ließen die Konstanz vermissen. Mehr Ego, weniger Team sozusagen.
»Ich habe zu den Jungs gesagt, dass nicht einmal Lionel Messi diese Liga alleine hinbekommen würde. Es geht nur gemeinsam. Wir haben es im Trainerteam dann irgendwann geschafft, dass die Jungs nicht mehr neidisch oder beleidigt sind, wenn sie mal nicht spielen«, erklärt Grimminger, der sich selbst durchaus als harten Trainer bezeichnet, das Erfolgsrezept. Über seine eigene Rolle sagt der ehemalige Rechtsverteidiger: »Ich wäre gerne teilweise noch näher an der Mannschaft. Aber ich weiß von meiner Erfahrung auch als Spieler, dass zu nahe nicht gut ist. Denn du musst oft auch harte Entscheidungen treffen.«
Wegweisende Entscheidungen stehen auch jetzt in der Sommerpause vor der Tür. Vor allem in Sachen Kaderplanung. Präsident Bauer kündigte bereits vor einigen Wochen im GEA-Interview an, dass die Mannschaft bei einem Aufstieg weiter kräftig verstärkt wird. Und dann wäre da ja noch das mögliche brisante Stadtderby gegen den SSV Reutlingen in der kommenden Verbandsliga-Saison. Grimminger als Trainer gegen seine alte Liebe? Dieses Szenario war im Dezember noch unvorstellbar. (GEA)