REUTLINGEN-BETZINGEN. Als die Sitzung für den Betzinger Ortschaftsrat terminiert wurde, konnte keiner wissen, wie bedrohlich die Hochwasserlage wenige Tage zuvor war. Umso emotionaler wurde der einzige Tagesordnungspunkt diskutiert: der Zeitplan fürs Entwicklungskonzept Echaz. Ist es mit seinem kompletten Maßnahmenpaket umgesetzt, werden die gefährdeten Bereiche selbst bei einem hundertjährigen Hochwasser überschwemmungsfrei. Doch darauf müssen die Betzinger mindestens noch bis 2030 warten. Bei allem Lob fürs Entwicklungskonzept löste deshalb ein Punkt harsche Kritik im Ortschaftsrat aus: die Fischschonzeit, welche die Bauarbeiten monatelang ausbremst. »Das steht in keinem Verhältnis«, monierte Dagmar Krause, »Hochwasser bedeutet schließlich Gefahr für Leib und Leben«.
Erst die starken Regenfälle am Wochenende, dann am Montag der Baggerbiss für den Neubau der Brücke Hoffmannstraße, jetzt der Top-Tagesordnungspunkt im Ortschaftsrat: Das Thema Hochwasser beschäftigt die Betzinger derzeit geballt. Und es wird ihnen noch eine Weile erhalten bleiben, wie Anne Schüller, Projektleiterin bei der Stadtentwässerung Reutlingen (SER), deutlich machte: Läuft alles nach Plan, ist das Hochwasserschutzkonzept frühestens 2030 mit allen Baumaßnahmen und Schutzvorkehrungen abgeschlossen.
Verkehrschaos verhindern
Aktuell ist der Ersatzbau für die Brücke Hoffmannstraße dran, der bis Herbst 2025 dauern wird – Straßenbauarbeiten und Schutzwand inklusive. Der Neubau der Brücke Hans-Roth-Weg sowie die naturnahe Umgestaltung des Goosgartens und des Geländes der früheren Gärtnerei samt Schaffung von Retentionsflächen sind bereits erledigt. Wichtig, so Schüller, ist die Einhaltung der Reihenfolge bei der Umsetzung der insgesamt fünf Bausteine, um, wie es im Wasserhaushaltsgesetz heißt, »schadlose Abflussverhältnisse zu gewährleisten«. Die Hochwasserwand von der Hans-Roth-Brücke bis zur Hoffmannstraße darf beispielsweise erst gebaut werden, wenn alle anderen Maßnahmen realisiert sind. »Alles andere würde zu mehr Überschwemmungen führen«, erklärte die Expertin. Mit dem Gewässerausbau beim Rathaus kann aus einem anderen Grund nicht begonnen werden: Er macht eine Komplettsperrung der Brücke notwendig, deshalb müssen vorher die Arbeiten in der Hoffmannstraße – sie ist baubedingt Sackgasse – fertig sein. »Sonst hätten wir ein Verkehrschaos.«
Im September dieses Jahres soll mit dem Abbruch das Detzelschen Gebäudes in der Wannweiler Straße begonnen werden. Die von der Volkshochschule genutzte Meisterschule vis-à-vis mit Schuppen – Im Wasen 12 und 14 – muss warten, bis das neue VHS-Domizil auf dem Egelhaaf-Areal bezugsfertig ist. Das sollte ursprünglich im September 2025 sein, hat sich aber auf April 2026 verschoben. Deshalb kann mit der Beseitigung der Engstelle Im Wasen erst im Juni 2027 und damit ein Jahr später als geplant losgelegt werden. Sie zählt zu den wichtigsten Schutzmaßnahmen, denn die Echaz wird von sieben auf 15 Meter aufgeweitet und der berüchtigte »Flaschenhals« damit beseitigt. Mit naturnaher Umgestaltung des Flusses sowie Neubau eines Steinsatzes am Ufer und einer Hochwasserschutzwand liegen die Gesamtkosten bei 6,3 Millionen Euro. Wie für alle anderen Bausteine im Entwicklungskonzept gibt es Fördermittel.
Ganze Fischpopulationen zerstört
Man spüre, dass die Maßnahmen in Betzingen wirken, meinte Dr. Martin Schöfthaler, der in einem der gefährdeten Gebiete wohnt, zum Starkregen-Wochenende. Anne Schüller stimmte zu. »Der Gewässerausbau hilft maßgeblich.« Umso unverständlicher, bezog sich auch Dagmar Krause auf die aktuellen Ereignisse, dass er wegen der Fischschonzeit von Oktober bis Mai ausgesetzt werden muss und sich die Baumaßnahmen dadurch erheblich verzögern. »Hochwasser ist lebensbedrohlich, das sollte man abwägen.« Ähnlich argumentierte Kurt Gugel. »Ein Jahr länger wegen der Fische, das steht doch in keinem Verhältnis.« Er forderte, »gewisse Ermessensspielräume« zu ermöglichen. Lothar Richter ging noch weiter: Er schlug eine Änderung der Gesetze vor, weil sich die Hochwasserereignisse häuften.
Die Bauzeit sei straff, die Stadt kämpfe immer wieder um Verlängerungen, räumte Anne Schüller ein. Aus Sicht des Regierungspräsidiums beziehungsweise der Fischereibehörde, die für die Genehmigungen zuständig ist, sei die Schonzeit allerdings verständlich. Schließlich würden nicht einzelne Fische, sondern komplette Populationen zerstört, wenn es während der Laichzeit zu Aufwirbelungen oder gar Eingriffen im Gewässer komme. »Wenn beschleunigen, dann nur mit Ausnahmegenehmigung«, meinte Bezirksbürgermeister Rupp zu den Forderungen aus dem Gremium. Und die von der Fischereibehörde zu bekommen, sei unwahrscheinlich.
Streng geschützte Arten
Schließlich handle es sich bei den Bachforellen, vor allem aber bei den Groppen in der Echaz um streng geschützte Arten. Und Laich einfach einzusetzen, wie vorgeschlagen wurde, »funktioniert nicht so gut, wie man sich das vorstellt«. Gesetzesänderungen seien »mindestens« über eine von EU-Recht beeinflusste Landes- oder Bundesregelung möglich, dämpfte er die Erwartungen. »Als Betzinger Ortschaftsrat werden wir das nicht alleine schaffen.«
Der Ort sei schon oft »abgesoffen«, meinte dazu Karin Lenz. »Man muss nicht warten, bis es Tote gibt. Ein Impuls kann schon aus Betzingen kommen.« Friedemann Rupp sagte zu, ihn sowohl auf behördlicher als politischer Schiene mit Schreiben ans Regierungspräsidium als auch an Oberbürgermeister Thomas Keck weiterzugeben. (GEA)