REUTLINGEN. Wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der VdK als »Verband der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentner« gegründet. »Bemerkenswert war damals, dass die Ortsverbände in den Kommunen als Selbsthilfegruppen entstanden sind – und zwar bevor der Dachverband gegründet wurde«, sagt Ulrich Siebertz, Vorsitzender des Reutlinger Ortsverbands. Vor 75 Jahren ist diese Gruppierung in Reutlingen entstanden.
Und heute? »Der VdK ist heute mindestens ebenso wichtig wie damals«, betont Siebertz. Der Ortsverbandsvorsitzende kommt bei der Begründung in Fahrt: »Es besteht eine extreme Schieflage, es kann doch nicht sein, dass Menschen ihr Leben lang gearbeitet haben und dann nur 1.000 Euro Rente kriegen.« Und die Forderung, dass diese Menschen für ihre Rente mehr selbst vorsorgen sollten, dass die Rente auf Aktienbasis gestellt werden soll, sei ein Unding. »Das ist doch nichts als Spekulationsgeschäft«, sagt Siebertz. Doch der Reutlinger regt sich auch über die Bildung auf, über den miserablen Zustand der Schulen. Die Schulbildung sei im Eimer, Siebertz drückt es noch drastischer aus. Inklusion funktioniere nicht, es gebe viel zu wenig Lehrer und Fachkräfte in den Schulen.
Aufgabengebiet gewachsen
Mit den Folgen des Kriegs hat das nichts zu tun. Der VdK ist nach den Worten des Ortsverbandsvorsitzenden sowie der Schriftführerin Annett Ulrich heute für alles Soziale zuständig. Nicht umsonst heißt er seit langem Sozialverband VdK. »Bildungspolitik ist auch Sozialpolitik, schließlich geht es um Chancengleichheit für alle Kinder«, betont Ulrich Siebertz. Und diese Chancengleichheit gebe es nicht. »Unser Aufgabengebiet ist im Vergleich zu früher viel größer geworden.«
1.603 Mitglieder zählt der VdK-Ortsverband Reutlingen momentan. Die Zahl steigt, »wir sind der größte Ortsverband in der Großregion Stuttgart, wenn nicht sogar in ganz Baden-Württemberg«, so Siebertz. Vielleicht sogar in ganz Deutschland, »viele Ortsverbände sind froh, wenn sie um die 500 Mitglieder haben«, sagt Annett Ulrich. Ob die Julius-Kemmler-Halle für die Feier am 21. September ab 14 Uhr überhaupt ausreicht? Wenn alle 1.600 Mitglieder kommen würden, nicht. »Dann müssten wir die Reutlinger Stadthalle mieten«, so Ulrich. Eingeladen sind aber alle.
Viele ältere Mitglieder
Die Altersstruktur der Mitglieder sei jedoch so, dass Siebertz und Ulrich ständig zu Beerdigungen müssten – weil schon wieder eines der Mitglieder verstorben ist. Dabei kümmere sich der Sozialverband nicht allein um Rentner und ihre Probleme. »Unsere Rechtsberatung in der Albstraße 31 berät etwa Leute, die eine Erwerbsminderungsrente beantragen wollen, weil sie nach Bypassoperationen nicht mehr voll arbeiten können«, so Siebertz.
Oder weil sie die Treppe heruntergefallen sind und einen Treppenlift brauchen. Oder eine spezielle Sehhilfe am Computer benötigen, die die Krankenkasse nicht bezahlen will. »Die Rechtsberatung des VdK ist wirklich top«, sagt Ulrich Siebertz – und er weiß, wovon er spricht. Er war selbst in der Versicherungsbranche tätig.
Wachstum angestrebt
Bundesweit ist der VdK mit rund 2,3 Millionen Mitgliedern der größte und stärkste Sozialverband Deutschlands. »In Reutlingen machen wir Ausflüge, Spielenachmittage, Zwiebelkuchenessen, aber auch Informationsveranstaltungen über Computer oder mit der Polizei über den Enkeltrick«, berichtet Annett Ulrich. Sie hatte zuvor schon mit Ulrich Siebertz zusammengearbeitet, im gemeinsamen Versicherungsbüro. Das Duo ist ein eingespieltes Team. »Als wir vor rund anderthalb Jahren in den Vorstand einzogen, hatte der Ortsverband etwa 1.400 Mitglieder, jetzt sind es mehr als 1.600.«
Unterlagen über die Anfänge des Reutlinger Ortsverbands gebe es keine mehr. »Das wäre auch ziemlich viel verlangt, wenn die ehrenamtlichen Vorsitzenden alle Unterlagen bis 1949 bei sich zu Hause lagern sollten«, sagt Siebertz. Er blickt in die Zukunft: »Wir wollen weiter wachsen.« Und sie wollen sich weiter für die Benachteiligten in der Gesellschaft einsetzen. Egal, ob das nun Senioren sind oder Kinder. »Wir müssen für alle Kinder die gleichen Möglichkeiten schaffen«, sagt Siebertz. Auch das sei schließlich eine Frage der Gerechtigkeit. (GEA)