REUTLINGEN/REGION. »No Farmer, No Food, No Future« - übersetzt »Kein Bauer, kein Essen, keine Zukunft« - oder gleich in Reimform auf Deutsch: »Gibt es keine Bauern mehr, bleibt der Kühlschrank einfach leer.« Das steht auf Plakaten, die Bauernverbände und ihre Mitglieder zurzeit bei Protestaktionen in die Höhe halten. Bei der Demo in Reutlingen sprachen zu Beginn der Protestaktionen außer betroffenen Landwirten und zuständigen Politikern auch Vertreter anderer Branchen: von der Metzger-Vereinigung und dem Bäcker-Handwerk. In der Kolonne der Demonstrierenden fuhren zudem laut hupend Maler und Lackierer von der Alb mit. Immer wieder wird die Solidarität mit anderen Berufsgruppen beschworen. Zahlreiche Vertreter anderer Branchen ziehen mit. Warum eigentlich?, fragen GEA-Leser.
Die Pferdetherapeutin
Nicole Reiber führt einen Pferdehof in Sonnenbühl-Undingen, von dem aus sie seit 20 Jahren als Tierheilpraktikerin unter anderem Pferdetherapie und Mentalcoaching anbietet. Sie wendet sich als Vertreterin des Vereins »Land schafft Verbindung« explizit »an die ganze arbeitende Bevölkerung«, da in der aktuellen Politik vieles schieflaufe, nicht nur in Bezug auf die Bauern. Auch andere Handwerksberufe übe man »nicht einfach so, sondern mit voller Leidenschaft« aus, meist mehr als 35 Stunden die Woche. »Statt uns wertzuschätzen für die Mühe, die wir täglich auf uns nehmen, und uns zu entlasten, werden die Sparmaßnahmen von Seiten der Politik mehr und mehr aufs arbeitende Volk abgewälzt.« Dabei seien es »wir Landwirte, Transportunternehmen, Handwerke, Gastronomen und alle arbeitenden Menschen in diesem Land«, die dieses zumindest bisher am Laufen hielten, erklärt sie.
In vielen Bereichen stehen Land- und Forstwirte an der ersten Stelle der Lieferkette für Nahrungsmittel, bevor es in die weitere Produktion geht. Durch regionalen Anbau werde gegenüber importierter Ware zum Beispiel bei Weizen 40 Prozent CO2 eingespart. »An alle, die immer schreien, dass wir Landwirte Klima- und Umweltsünder sind: Import ist meiner Meinung nach weder Umwelt- noch Klima- noch Tierschutz.« Vielmehr seien Land- und Forstwirte am meisten mit der Natur und den Tieren verbunden, weshalb sie diese auch wertschätzten. Natürlich könne man viele Rohstoffe wie Weizen, Eier, Gemüse, Obst, Holz, Pflanzen zur Ölgewinnung, Fleisch, Milch und auch Strom im Ausland beziehen. »Die Frage für mich ist aber ganz klar: unter welchen Bedingungen? Wie werden sie dort produziert? Wir wollen Lebensmittel und Rohstoffe unabhängiger produzieren, im eigenen Land.« Das wäre möglich, ist sie überzeugt, wenn man sie nur ließe.
Auf die Liefer- oder Wertschöpfungskette beziehen sich auch andere Berufszweige. Vielen von ihnen geht es ebenfalls um zu viele, zu strikte oder unsinnig erscheinende Regeln und Vorschriften, die besagen, wann die Produzenten was zu tun haben. So entsteht das Gefühl, nicht nur die Landwirtschaft, sondern der gesamte Mittelstand werde zunehmend geschröpft. »Die arbeitende Bevölkerung in Deutschland wird nur immer mehr und mehr gemolken«, erklärt Nicole Reiber.
Die Vertrerin der Metzger
Katja Gröbe, geschäftsführende Vorständin der Metzger–Vereinigung Reutlingen, sagt: "Es geht für uns ganz klar darum, die Bauern, die es um uns herum noch gibt, zu erhalten." Denn die seien im Landkreis Reutlingen "eher rar gesät" und würden jedes Jahr weniger. Für Metzger, die oft auch Eier, Kartoffeln, Nudeln und andere Produkte von umliegenden Höfen verkaufen, sei das ebenso wie für alle anderen Direktvermarkter elementar. Denn: "Wir sind eben keine Großkonzerne, die ihre Lebensmittel irgendwo einkaufen! Sondern Fachhändler, die direkt vor Ort kaufen, mit kurzen Transportwegen und klar nachvollziehbaren Lieferketten. "Wir wissen, was unsere Tiere fressen, wie sie gehalten und wie sie behandelt werden." Metzger der Fleischerinnung stünden für Regionalität, seien stolz darauf, alles nachverfolgen zu können. Teilweise bestehe die enge Zusammenarbeit schon seit Generationen. "Nur so können wir unseren eigenen Ansprüchen gerecht werden", erläutert Katja Gröbe, "uns von anderen Märkten abgrenzen und unabhängiger werden." Zu Beginn des Ukraine-Kriegs sei viel die Rede davon gewesen, dass wir uns innerhalb Deutschlands selbst versorgen können, und nicht von europäischen oder weltweiten Märkten abhängig sind. "Nur durch die Unterstützung unserer Bauern, können wir dieses Ziel weiterhin im Auge behalten - und wissen auch in Zukunft noch, was auf unseren Tellern landet", betont Gröbe.
»Wir produzieren Steuereinnahmen, von denen alle profitieren.« Denn dieses Geld bleibe in der Region und werde für neue Projekte verwendet. Durch den Kauf regionaler Produkte würden Arbeitsplätze erhalten, wirtschaftliche Strukturen vor Ort gefestigt und die Kulturlandschaft erhalten.
Ihr ist wichtig, die Solidarität zu betonen. Das sei keine Selbstverständlichkeit. Es gehe jedoch auch um Existenzsorgen der regionalen Lebensmittelbranche. Viele Metzgereien hatten deshalb zur großen Demo am vergangenen Montag geschlossen.
Der Bäcker
Für die Bäcker erklärt der Reutlinger Hubert Berger, der 1981 eine Lehre bei seinem Vater Hugo begann und den Betrieb heute leitet: »Ohne Landwirte gibt es kein Getreide und ohne Getreide gibt es kein Brot.« Die elterliche Vollkornbäckerei verwendet laut Website seit fast 30 Jahren ausschließlich Bioland-Mehle aus der Region Neckar-Alb und setzt seit 24 Jahren komplett auf Rohstoffe aus ökologischem Anbau. »Wir verbacken in unserer Backstube in Reutlingen jährlich über 400 Tonnen Biolandgetreide von Landwirten aus dieser Region«, betont er. »Wir wissen, dass dies nur möglich ist, wenn die Landwirte fair bezahlt werden, und wenn die Rahmenbedingungen der Politik fair und verlässlich sind.« Noch gebe es Getreideanbau in dieser Region, noch werde Gemüse angebaut und noch sei es möglich, Eier, Milch und Fleisch aus der Region zu bekommen. Er und viele andere Vertreter seines Berufsstands unterstützen die Anliegen der Landwirte, »damit dies so bleibt«. Für ihn ist ganz klar: »Wir Bäcker brauchen eine lebensfähige Landwirtschaft.«
Aus Gesprächen mit seinem Vetter, einem Schweinezüchter aus dem Hohenlohischen, sowie Bekannten etwa vom Hofgut Martinsberg aus Rottenburg weiß er: Sie alle vereine der Ärger darüber, dass Einsparungen im Haushalt der Bundesregierung mit Einschnitten bei einer kleinen Gruppe mit maximaler Belastung gelöst werden sollen. »Hier geht es nicht um Topverdiener, denen längst überfällige Privilegien entzogen werden. Es geht um das Überleben der verbliebenen landwirtschaftlichen Betriebe«, betont er. Wie diese stünden auch Bäcker in der Wertschöpfungskette der Lebensmittelproduktion und damit in der Verantwortung. »Für gesunde und regionale Lebensmittel, und den Erhalt unserer Kulturlandschaft«, sagt Hubert Berger.
Die Bierbrauer
»Ohne Landwirte bleibt die Flasche zu!«, stellt Peter Baader, Geschäftsführer von Zwiefalter Klosterbräu, fest. Die Anliegen der Bauern seien verständlich und nachvollziehbar, ihre Protestaktionen legitim, konstatiert er als Vertreter des Verbands Privater Brauereien. Die bäuerlich geprägte Landwirtschaft stelle nicht nur die Versorgung mit Lebensmitteln sicher, sondern sei auch »der unersetzliche Partner für die mittelständische Brauwirtschaft«, da sie diese mit lokalen Braurohstoffen versorge. »Ohne regionale Wirtschaftskreisläufe mit leistungsstarken bäuerlichen Familienbetrieben wird es auf Dauer auch keine mittelständisch strukturierte Brauwirtschaft mit ihren Bieren aus heimischen Rohstoffen mehr geben.« Deshalb zeigten auch Brauereien sowie Getränkefachgroß- und -einzelhändler ihre Solidarität »mit dem Partner Landwirtschaft«.
Aufrufe zu einem »Generalstreik« von einzelnen Gruppen oder politischen Strömungen, die die Aktionswoche für ihre Ziele missbrauchen wollten, seien jedoch indiskutabel und rechtswidrig, stellt Baader klar.
Ein Spediteur
Alexander Benz von der Reutlinger Spedition Hasenauer & Koch, an deren Betriebsgelände der Protestzug der Bauern am 8. Januar vorbeiführte, distanzierte sich deswegen schon im Vorfeld der Aktionswochen. Auch an der eigenen Großdemo der Verbände der Motorwirtschaft nehme die Firma nicht teil. Auch wenn neue Verfügungen bezüglich Maut und Diesel existenzgefährdend wären, würde man sie nicht an die Verbraucher weitergeben. »Es gibt andere, demokratische Möglichkeiten, eine Regierung abzuwählen«, sagt er. Aussagen wie »die Ampel muss weg«, die im Umfeld der Demos auftauchten, empfindet er als »starke Beeinflussung meiner eigenen Meinung« - und von daher »komplett daneben«.
Der Junglandwirt
Lukas Münch, ein 28-jähriger gelernter Landwirt und Techniker aus Zwiefalten-Hochberg, der zu Hause im Nebenerwerb mit seinen Eltern einen kleinen Milchviehbetrieb bewirtschaftet und zudem halbtags beim Maschinenring Biberach-Ehingen unter anderem Nährstoffbilanzen und Düngebedarfsberechnungen für die Mitglieder erstellt und ihnen beratend zur Seite steht, sagt: »Ich bin an der Front des bürokratischen Wahnsinns« - und erntet dafür anhaltenden Applaus. Er fordert Planbarkeit bezüglich der Tierwohlanforderungen, international einheitliche Vorgaben, sinnvolle Ressourcennutzung und Bürokratieabbau. Allesamt Punkte, mit denen sich in ähnlicher Form viele Berufe konfrontiert sehen. Darum bittet Münch »alle meine Berufskollegen, alle Handwerker und alle ausm Transportgewerbe« sowie alle andern, die zur Protestveranstaltung gekommen sind: »Lasst uns weiter für die Sicherung der deutschen Landwirtschaft und des deutschen Mittelstandes kämpfen.« Er ist dankbar für die vielfältige Unterstützung und das Verständnis der Bevölkerung . »Jeder Kaffee, der morgens an die Straße gebracht wird, jede positive Reaktion, und jede oder jeder, die heute hier mit uns stehen, beweisen uns, dass wir auf dem richtigen Weg sind.« (GEA)