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»Wir stehen auf der Seite des Lebens«

Des Arbeitskreises Leben Reutlingen macht anlässlich des weltweiten Tags der Suizidprävention auf sein Anliegen mit markanten Plakaten aufmerksam.

Kerstin Herr und Jens Saure machen mit einer Plakataktion auf den weltweiten Tag der Suizidprävention am 10. September aufmerksa
Kerstin Herr und Jens Saure machen mit einer Plakataktion auf den weltweiten Tag der Suizidprävention am 10. September aufmerksam.Foto: Böhm Foto: Gabriele Böhm
Kerstin Herr und Jens Saure machen mit einer Plakataktion auf den weltweiten Tag der Suizidprävention am 10. September aufmerksam.Foto: Böhm
Foto: Gabriele Böhm

REUTLINGEN. Die Plakate des Arbeitskreises Leben (AKL) sind markant. Ihr schwarzer Hintergrund und der Satz »Ich kann nicht mehr« stehen für Trauer und Verzweiflung, in der ein Mensch gefangen sein kann. Doch bunte Farben machen Hoffnung. Zum ersten Mal macht der AKL am Welttag der Suizidprävention, dem 10. September, mit Plakaten und Postkarten auf sich aufmerksam. Die Veranstaltung wurde 2003 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der International Association for Suicide Prevention (IASP) initiiert.

Die Krone auf dem großen »Ich« des Plakats symbolisiert den Wert, den der AK jedem Einzelnen beimisst. »Trotz einer scheinbar unüberwindlichen Krisensituation möchten wir zu neuem Mut verhelfen, wenn jemand in einer Lebenskrise steckt oder schon an Selbsttötung denkt«, sagt Diplom-Pädagogin Kerstin Herr, zusammen mit Bettina Guhlmann hauptamtliche Mitarbeiterin des AKL.

Mehrere Standorte

Arbeitskreise Leben gibt es an mehreren Standorten in Baden-Württemberg, den in Reutlingen seit 43 Jahren. »Jeder AK ist eigenständig, aber alle haben sich in einer Landesgemeinschaft zusammengeschlossen, um sich auszutauschen«, erläutert Jens Saure, Geschäftsführer des AK Leben in Reutlingen. Noch immer sei das Thema Suizid ein gesellschaftliches Tabu. Dabei sprächen die Zahlen eine deutliche Sprache. Obwohl oft das Gefühl herrsche, dass es weitaus mehr Verkehrstote als Opfer einer Selbsttötung gebe, sei deren Zahl deutschlandweit mit 9 838 im Jahr 2016 rund doppelt so hoch wie Verkehrstote, Drogentote, Mordopfer und Aidstote zusammen. »Wenn man dann noch davon ausgeht, dass um jedes Opfer rund zehn Menschen trauern, sind das schon alarmierende Werte«, so Kerstin Herr. Darüber hinaus kämen auf jede Selbsttötung etwa 15 Versuche.

»Wir stehen auf der Seite des Lebens«, hält die Pädagogin dagegen. Die Gründe, warum jemand in einer so schweren Lebenskrise stecke, dass ihm der Suizid als einziger Ausweg erscheine, seien vielfältig. Partner- und Familienprobleme, hoher beruflicher Druck, Arbeitslosigkeit, Schulden, eine Räumungsklage, Trennung oder Krankheit könnten zugrunde liegen. Hinzu kämen viele Arten von Sinnkrisen und Verlusten.

»Besonders das Alter ist von Verlusten geprägt. Menschen ab 60 stellen die größte Gruppe der Suizidtoten dar.« Um das Thema bei Seniorinnen und Senioren auf den Tisch zu legen, ihnen zuzuhören, Hoffnung zu machen oder ihnen weitere Hilfsangebote zu vermitteln, gehen die Hauptamtlichen und 24 Ehrenamtlichen beispielsweise in Pflegeheime. Auch, um dort das Personal für erste Anzeichen von Selbsttötungsgefährdung zu sensibilisieren.

In Schulen sensibilisieren

Weitere Besuche gelten Schulen, um dort Lehrer und Schüler darauf aufmerksam zu machen, woran man Suizidgefährdung erkennen kann. »Doch am wichtigsten ist die Bereitschaft von Menschen in einer Lebenskrise, sich aufzumachen und sich Hilfe zu holen.« Das sei der wesentliche erste Schritt. Nach den Gesprächen, in denen jemand erlebe, dass er ein Gegenüber hat, das ihm zuhört und ihn unterstützt, komme es kaum noch zum Suizid. Es gehe um Prävention, denn oft werde gesagt: »Ich will mich eigentlich gar nicht umbringen. Aber ich will so wie bisher einfach nicht weiterleben.« Beraten und gestützt werden auch Angehörige, die sich um einen nahen Menschen sorgen oder bereits einen Suizid miterlebt haben. Alles bleibt anonym und unter Schweigepflicht.

Kostenloses Erstgespräch

Das Erstgespräch ist kostenlos, die Beratung erfolgt dann in der Regel einmal die Woche. Erst ab der zweiten Stunde wird ein kleiner Eigenbeitrag erbeten, denn der AK muss rund 30 Prozent seiner Kosten selbst aufbringen. Den Rest tragen Stadt, Landkreis und Land.

Die Krisenberater werden in bis zu 70 Unterrichtsstunden auf ihre verantwortungsvolle Tätigkeit vorbereitet und erhalten Supervision. Falls nötig, begleiten sie auch zu Ämtern oder weiteren Institutionen. »Sie haben große Lebenserfahrung und ein offenes Herz«, so Kerstin Herr.

Ein besonderes Angebot ist die Jugendberatung »Youth-Life-Line«. Jugendliche können sich über ein Online-Portal an den AK Leben wenden und erhalten Antwort von 16- bis 25-Jährigen, die, so Jens Saure, »dieselbe Sprache sprechen und mit den Problemen von Gleichaltrigen gut vertraut sind.« Weitere Angebote des AK sind Vorträge, Trauerbegleitung, Gruppenangebote und ökumenische Gedenkfeiern.

Die Plakate sollen ab dem 6. September an Litfaßsäulen zu sehen sein. Auch Postkarten werden an vielen öffentlichen Stellen verteilt. Die Kontaktaufnahme mit dem Arbeitskreis Leben kann persönlich oder telefonisch erfolgen (Sprechzeiten: Montag und Mittwoch von 10 bis 13 Uhr sowie Dienstag und Donnerstag von 15 bis 18 Uhr). Sollte niemand direkt erreichbar sein, kann das Anliegen auf den Anrufbeantworter gesprochen werden, es wird schnellstmöglich zurückgerufen. (GEA)

 

07121 19298

akl-reutlingen@ak-leben.de

www.akl-krisenberatung.de