REUTLINGEN-OFERDINGEN. Morgens kurz nach 9 Uhr in Oferdingen: Im Hof von Angela Ogiermann geht es laut und bunt zu. Sechs Mädchen und ein Junge zwischen eins und drei verschönern die Einfahrt mit Straßenmalkreide. Grün, rosa, gelb und rot werden nicht nur der Asphalt, sondern auch die Schuhe der Kinder, die Finger - und ihre Gesichter. Mit Eifer sind sie am Malen, an einem kleinen Tisch stehen Saftgläser bereit, falls sie Durst bekommen und wer lieber mobil ist, kann eine Runde auf einem Bobbycar drehen. »Wir haben einen großen Fuhrpark«, erzählt Angela Ogiermann grinsend. Nicht nur sieben Bobbycars stehen bereit, sondern für größere Ausflüge auch ein kleiner Sechssitzer-Bus zum Schieben - eine Art Bollerwagen mit einem elektrischen Antrieb.
Seit Januar bieten Angela Ogiermann und ihre Mutter Marianne Pichler diese Großtagespflegestellen - ein Modell im Tagesmütterverein, das immer beliebter wird. Es bedeutet, dass sich dafür zwei oder noch mehr Tageseltern zusammenschließen, um sich gemeinsam um die Kinder zu kümmern. »Wir brauchen den Austausch und es ist schön, dass wir uns unterstützen können«, erzählen die beiden. Gerade wenn man mehrere Kinder betreut, wird es für eine Tagesmutter allein oft schwierig. Mutter und Tochter haben auch früher schon viel Zeit zusammen verbracht, sei es mit Hobbys, beim Sport oder mit der Familie. »Wir harmonieren«, sagen sie unisono, und die pädagogischen Konzepte erarbeiten sie ebenfalls als Team.
»Es ist schön, dass wir uns unterstützen können«
Beide sind Quereinsteigerinnen in der Kindertagespflege, Ogiermann war in der Jugendhilfe tätig, Pichler hat mehr als 30 Jahre im Verkauf gearbeitet. Den Ausschlag, die Ausbildung zur Tagesmutter zu starten, gab die jüngste Tochter von Angela Ogiermann - das Nesthäckchen kam vor fast drei Jahren zur Welt. Mit drei Kindern wird es schwierig, nebenbei zu arbeiten, erzählt die 36-Jährige, selbst wenn die Oma ihre Arbeitszeit reduziert und viel Zeit mit den Enkeln verbringt.
So kamen sie auf die Idee, im Mehrgenerationenhaus der Familie Ogiermann Tageskinder aufzunehmen. Bis zu sieben sind gleichzeitig da, im Platzsharing haben sie bis zu neun Plätze im Angebot. Klar, dass es da öfter etwas lebhafter wird. Aber dadurch, dass in dem Haus mit Angela Ogiermanns Schwager und Schwiegereltern nur nahe Verwandte leben, hat es noch nie Probleme gegeben. Ganz im Gegenteil: »Alle waren einverstanden damit, dass wir Tageskinder betreuen«, berichtet Ogiermann. Selbst ihre größeren Söhne, neun und 13 Jahre alt, sind total begeistert von den Kleinen, die in Haus und Garten für Wirbel sorgen. Oft gesellen sie sich zu den Kleinkindern anstatt sich in ihre Zimmer zurückzuziehen, erzählt Ogiermann, und die Schwiegereltern seien wie Tages-Oma und -Opa.
Langeweile kommt im Haus nicht mehr auf: Ab 8 Uhr trudeln die ersten Kinder ein, spätestens um 8.45 Uhr sollten alle da sein, denn dann gibt es Frühstück. Danach dürfen sie im Garten oder oben in der Wohnung spielen: Ob Schneckenrennen, ein kleines Klettergerüst, eine Friseurstation (mit einer Schere, die nicht schneidet) oder Bastelsachen - die beiden Tagesmütter haben da, was ein Kinderherz begehrt. Die Wohnung der Familie sieht mehr wie eine Kita aus. Und thematisch passend zum Gruppenname »Pandabärchen« sind diese überall zu finden: Als Aufkleber am Bus, als Bild an der Wand und auf den Schals der Kinder.
Nach dem Mittagessen haben die Kinder die Möglichkeit, ein Mittagsschläfchen zu halten und wenn es nicht gerade Katzen regnet, machen die Tagesmütter täglich einen Spaziergang an der frischen Luft. Mit den größeren Kindern geht es manchmal sogar mit dem Bus in die Stadt. Ihre Entscheidung, sich in der Kindertagespflege selbständig zu machen, haben sie nicht bereut: »Es ist unser Herzensprojekt«, sagt Pilcher, und zwar eines, das sie auf lange Sicht weiterführen wollen. Gerne bis zur Rente, sagt die 54-Jährige. Vielleicht irgendwann sogar in anderen Räumen, um Privatleben und Arbeit mehr zu trennen. Allerdings könnten da die hohen Mietkosten im Kreis Reutlingen einen Strich durch die Rechnung machen.
»Das, was wir tun, ist weit mehr als nur Babysitting«
Schließlich halten sich die Zuschüsse in Grenzen und sind oft nur schwer zu kalkulieren, zudem liegt das Gehalt einer Tagesmutter nicht gerade im Großverdiener-Bereich - trotz stetig wachsender Anforderungen und steigender Qualifikationen. Rund eineinhalb Jahre dauert die Ausbildung zur Tagesmutter in der Zwischenzeit, sie arbeiten nach pädagogischen Konzepten, dokumentieren, führen Gespräche mit den Fachberaterinnen und Eltern. »Das, was wir tun, ist weit mehr als nur Babysitting«, sagen sie.
Und sie sind gefragter denn je, wie auch Fachberaterin Fiona Boser vom Tagesmütterverein bestätigt. Rund ein Drittel aller Kinder unter drei Jahren im Landkreis wird von Tagesmüttern betreut, vor allem in städtischen Gebieten ist die Nachfrage immens. Das liegt zum einen sicher daran, dass die Tagesmütter von den Betreuungszeiten her flexibler sind als Kitas und Kindergärten. Auch die niedrigeren Kosten werden eine Rolle spielen. Aber, das bekommen die Tagesmütter und der Verein immer wieder rückgemeldet, viele Eltern - gerade von kleinen Kindern - schätzen den kleinen, familiären Rahmen, in dem die Betreuung stattfindet. Es ist ein Hort der Geborgenheit in einer Kleingruppe, in der die Kinder im Mittelpunkt stehen.
Damit entlasten die Tagesmütter auch die Kommunen im Kreis, die immer wieder Wartelisten machen müssen, weil die Plätze nicht ausreichend sind und weil es momentan überall an Personal fehlt. Auch die Oferdinger Tagesmütter behalten des öfteren Kinder, die älter als drei sind, wenn für diese kein Platz in einem Kindergarten frei ist. »Wir setzen niemanden vor die Tür«, sagen sie, denn schließlich sind ihnen die Tageskinder ans Herz gewachsen und sie helfen dann dabei, die Zeit zu überbrücken, bis sie in einen Kindergarten aufgenommen werden.
Allerdings: Auch die Tagesmütter kommen mal an Aufnahmekapazitäten. Immer wieder kommt es vor, dass die Anfragen die Plätze übersteigen und sie ein Kind verströsten müssen. Alle dies zeigt: Der Tagesmütterverein, der in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag feiert, ist notwendiger denn je. (GEA)
Tagesmütterverein: Zahlen und Fakten
Im Jahresbericht 2023/24 des Tagesmüttervereins werden unter dem Punkt »Das Wichtigste in Kürze« Zahlen und Fakten aufgelistet. 299 Kindertagespflegepersonen gibt es insgesamt, die 1.190 Tagespflegekinder betreuen. Darunter gibt es momentan 13 aktive Tagesväter. Damit beträgt die duchschnittliche Belegung 3,98, also vier Kinder pro Tagesmutter oder -vater.
Die Kindertagespflege ist in vielen Gemeinden ein fester Teil des Betreuungsangebots. Von 164 Kindern über drei Jahren, betreut wurden, hatten 77 keinen Kindergartenplatz. Das heißt, ohne das Angebot des Tagesmüttervereins wäre die Lage in der Betreuung noch prekärer als sie ohnehin schon ist. Zwischen März 2023 und März 2024 wurden 879 Kinder neu in die Tagespflege vermittelt. (awe)