REUTLINGEN. Hat Reutlingen ein Problem mit Tauben? Ja, meint eine GEA-Leserin: Krankheiten und Schäden an Gebäuden würden auf das Konto der Vögel gehen. Alles vermeidbar, meint die Gruppe »Eine Stimme für Tauben«, die sich für eine artenschutzgerechte Vergrämung der Tauben in Reutlingen einsetzt. Ein Desaster, bei dem Hunderte Tauben hinter einem Netz unter der Bahnbrücke in der Straße Unter den Linden eingesperrt waren, dürfe sich keinesfalls wiederholen, lautet die Forderung der Tierschützer. Jetzt soll laut Ordnungsamt ein neuer Taubenschlag auf dem Dach der Reutlinger Briefpost die Lage langfristig verbessern. Währenddessen wagt die Stadt einen zweiten Versuch, Herr der Lage zu werden, möchte aber gleichzeitig ein neues Netz unter der Bahnunterführung spannen.
Das ursprüngliche Unterfangen der Stadt Reutlingen scheiterte nur wenige Tage, nachdem die Stadt ein solches Netz in der Straße Unter den Linden befestigt hatte. Mehrere Hundert Tauben waren im September hinter dem Nylongeflecht eingesperrt. Beim panischen Umherflattern verletzen sich trotz Rettungsaktion viele Tiere an den Spikes der Träger, wie die Augenzeugin Tanja Slawitsch von der Gruppe »Eine Stimme für Tauben« berichtet.
Für die noch im Netz verbliebenen Tauben seien Öffnungen im Netz gelassen worden, so die Stadt, damit diese von allein herauskommen. »Passanten haben am 23. September die Tauben gesehen und die Feuerwehr gerufen, die das Netz geöffnet hat«, fasst Dennis Koep, Pressesprecher der Stadt Reutlingen, die Aktion zusammen. Bis dahin hätten die Tiere weiter ihr Eier gelegt und bebrütet, so Koep.
Erste Aktion von Anfang an zum Scheitern verurteilt?
Derlei Ärgernisse seien mit besserer Planung vermeidbar gewesen, argumentiert Tanja Slawitsch von »Eine Stimme für Tauben«. Seit Anfang Januar organisiert sich die 32-Jährige bei der Gruppe. »Wir hätten vorher gewusst, dass das, was die Stadt mit dem Netz geplant war, so nicht funktioniert«, bedauert Slawitsch. Immer wieder waren Taubeneier und frisch gebrütete Jungvögel von der Brücke aus ihrem Nest auf die Straße darunter gefallen. »Deshalb haben wir ehrenamtlich in der Nacht schon seit März - Monate, bevor das Taubennetz gespannt wurde - die Nester am Rand der Brücke kontrolliert und die Eier durch Imitate ersetzt«, erzählt Slawitsch. So sollte verhindert werden, dass weitere Vögel unter der Bahnbrücke ein Zuhause finden und dort ihren Nachwuchs ausbrüten.
»Erst danach ist eine Stuttgarter Spezialfirma eingestiegen«, schildert Slawitsch. Per Hebebühne sind die Mitarbeiter von »Aktiv Taubenabwehr und Schädlingsbekämpfung« an die Brückenträger heranfahren, um einen sogenannten »Eiertausch« auch an den Brückensegmenten über der Fahrbahn zu ermöglichen. Bei einem solchen Eiertausch werden die Eier durch täuschend echte Imitate ausgetauscht. Aufgrund des sogenannten Brutdrangs müssten Tauben immer Eier bebrüten, erklärt Slawitsch - durch die Imitate können aber keine neuen Küken schlüpfen. Die von der Brücke entfernten Tauben nahm das Team von Slawitsch, das die gesamte Aktion ehrenamtlich begleitete, unter hohen Eigenkosten in seine Auffangstation auf, wie die Tierschützerin berichtet.
Zweites Netz soll bald folgen
Mittlerweile arbeitet »Eine Stimme für Tauben« mit der Stadt Reutlingen eng zusammen, denn ein zweiter Anlauf in Sachen Abwehrnetz bei der Brücke Unter den Linden ist geplant. »Aktuell ist erneut eine Spezialfirma dabei, die Eier auszutauschen gemäß dem Naturschutzgesetz«, informiert die Stadt Reutlingen dazu. Dies soll so lange geschehen, bis sich »keine zu weit bebrüteten Eier oder Jungvögel mehr unter der Brücke befinden«, informiert Reutlingens Pressesprecher Koep.
Ein Vorhaben, über das sich Tierschützerin Slawitsch skeptisch zeigt. »Wenn man bedenkt, was so ein Netz kostet. Ein Taubenschlag, es muss auch kein riesiger Turm sein, muss her«, schlägt Slawitsch der Stadt Reutlingen vor. Andere Städte wie Tübingen oder Stuttgart seien da viel besser aufgestellt. Das schon vorhandene Taubenhaus auf dem Reutlinger Rathausdach reiche nicht aus, da es zu weit von der Bahnbrücke entfernt ist. Weil Tauben Gewöhnungstiere sind, verbringen sie aufgrund ihrer sogenannten Standorttreue knapp 80 Prozent des Tages in ihrem Schlag und dessen Umgebung - eine Lösung für das Taubenproblem an öffentlichen Orten, erklärt Slawitsch.
Die Stadtverwaltung Reutlingen setzt auch auf diese Lösung. »Wir hoffen, mit einem zweiten Taubenschlag auf dem Dach der Reutlinger Paketpost den Tauben ein neues Zuhause bieten zu können«, verkündet Ordnungsamtsleiter Albert Keppler. Derzeit sei die Stadt mit den Bauplanungen jedoch noch am Anfang. »Der neue Schlag wird etwa zwei Drittel so groß wie der Schlag auf dem Rathaus und etwa 200 Tauben eine Brutgelegenheit bieten«, informiert Keppler.
Auch in den Reutlinger Ortsteilen gibt es Taubenprobleme, berichtet eine GEA-Leserin in Reutlingen Sondelfingen. »Die Tauben blicken durchs Fenster, während wir duschen. Vor allem verschmutzen sie aber ständig die Dachfenster.« Auch den Nachbarn machten die Vögel zu schaffen. Bis zu 30 Tiere säßen auf dem Dach und »verdrecken ständig die Solaranlage«, sodass diese nicht mehr die gewünschte Leistung erbringe. Auch in der Nachbarschaft der Leserin seien verschmutzte Dächer zunehmend zum Problem geworden.
Taubenprobleme in der Nachbarschaft könne jeweils ein einziger Taubenschlag lösen, rät Slawitsch. Dort könnten sich die Vögel artgerecht mit Körnern ernähren und müssten keine Abfälle essen, was die Problematik mit Taubenkot deutlich verbessere. »Dass eine Leserin sich bei der Zeitung meldet und einen Aufruf wegen des Problems mit Tauben in Wohngebieten und in der Innenstadt macht, finde ich wirklich super«, bekräftigt sie. »Die Stadt ist hier einfach in der Verantwortung, etwas zu tun.« Solange die Stadt Reutlingen in Taubenschlägen genug Futter bereitstelle, spreche sich das - übertragen gesprochen - bei den Reutlinger Stadttauben herum. (GEA)