REUTLINGEN. Der Gratisbusverkehr am Samstag in Reutlingen kommt gut an, das legen die Kommentare der Fahrgäste nahe. Dass insbesondere der neue Ringbus um die Altstadt noch ordentlich Werbung braucht, ist ebenfalls Konsens. Wenn die Linie 80 auf ihrem Rundkurs (siehe Infobox unten links) die Haltestellen anfährt, richten sich die Augen der dort auf die regulären Busse Wartenden neugierig auf das kompakte Quartiersbussle – doch nur wenige steigen zu.
Hopp-on hopp-off alle Viertelstunde: Tanja Lengfeld und Elisabeth Denzel haben derweil längst die Qualitäten des kleinen Busses erkannt, auch dass er beispielsweise am Ledergraben hält. Sie nutzen das Angebot, das zusammen mit dem Samstagsgratisverkehr im Juli gestartet ist, regelmäßig. »Wir treffen uns und fahren auf den Markt damit.«
»Machen Sie Werbung«, bittet eine »passionierte Busfahrerin« mit einer Gehbehinderung, die am Halt Stadthalle einsteigt und am Albtorplatz aus, um in der Oberen Wässere einkaufen zu gehen.
» Wir wussten das nicht, dass die Busse kostenlos sind am Samstag«
Busfahrer Michael Huchet fährt sonst die dicken RSV-Brummer und umrundet an diesem Morgen »ganz entspannt« mit dem Minibus die Stadt (»Das ist wie Urlaub heute«). Bis 11 Uhr sei nur eine Handvoll Fahrgäste zugestiegen, sagt er. Dass man im überschaubaren Kleinbus schnell ins Gespräch kommt mit den Passagieren, gefällt ihm besonders.
Seit 24 Jahren ist Huchet im Reutlinger Stadtverkehr unterwegs: Auf seiner Stammlinie kenne er viele Gesichter. Insgesamt seien seit der Einführung des ticketfreien Angebots am sonst eher ÖPNV-schwachen Samstag mehr Fahrgäste unterwegs – so sein Eindruck.
An diesem Samstag fallen die vielen Familien auf, die mit Kind, Kegel und Kinderwagen unterwegs sind. Dass sie kein Ticket lösen müssen, war für Amanda und Simon, die mit ihren beiden kleinen Söhnen unterwegs sind, eine angenehme Überraschung. »Wir wussten das nicht.« Die Familie aus Pfullingen nimmt gewöhnlich das Auto. Mit dem Gratisangebot könnte sich das ändern: auch weil das Busfahren für die Kinder ein »Highlight« sei.
Auch Martin Hermann nutzt nun samstags gern mal den Bus – statt Auto oder Rad mit Anhänger –, um mit der Tochter von der Römerschanze in die Stadt zu fahren. Schon der Zweijährigen mache das Busfahren Spaß.
Katharina Schmidt fuhr bisher ebenfalls eher mit dem Auto aus Pfullingen in die Stadt. Jetzt hat sie den Wagen auf dem Park-and-Ride-Parkplatz beim Südbahnhof stehen und lobt die ticketfreie Busnutzung.
Seit der Einführung verzeichne man 22 Prozent mehr Fahrgäste an den ticketfreien Samstagen, heißt es auf Nachfrage bei der Stadtverwaltung. Dies sei ein »sehr guter Wert«. Zum Vergleich: An den ticketfreien Adventssamstagen im letzten Jahr habe man eine Zunahme von 10 Prozent ermittelt.
»Machen Sie Werbung für den Ringbus«
»Das bringt was für den ÖPNV, holt neue Fahrgäste ins System«: Auch der Geschäftsführer der RSV, Thomas Görtzen, ist mit der bisherigen Entwicklung zufrieden. Für den Ringbus würde man sich natürlich mehr Fahrgäste wünschen. Am vorvergangenen Samstag wurden 91 Fahrgäste gezählt. Immerhin eine Verdoppelung der Nutzerzahlen im Vergleich zum Start des Angebots im Juli. Das Sommerwetter fördere die Spazierlust noch. Im Winter werden’s mehr Fahrgäste, glaubt Görtzen. Bis Ende 2025 sei das Angebot durchfinanziert. Nächstes Jahr will man Resümee ziehen.
Generell habe das RSV-Fahrgastaufkommen das Vor-Corona-Niveau immer noch nicht wieder erreicht. Der Kundenverlust liege jetzt im einstelligen Prozentbereich. »Aber da wird nicht mehr viel hochgehen.« Es werde nicht gelingen, an die Vor-Pandemie-Zeit anzuknüpfen, unter anderem, weil viele frühere Kunden im Homeoffice geblieben seien.
Die RSV hat die Angebotskürzungen der Coronazeit derweil fast komplett wieder zurückgenommen. »Kostenneutral«, wie Görtzen betont. Besonderer Beliebtheit erfreue sich das wieder eingerichtete Nachtbusangebot. Mit bis zu 400 Fahrgästen auf den neun Linien pro Nacht habe sich das Aufkommen verdreifacht.
Im Hinblick auf das Gratisangebot ist festzuhalten, dass Einzelfahrscheine und Tageskarten für RSV und den Verkehrsverbund Neckar-Alb (Naldo) zunehmend an Bedeutung verlieren. »Alleine zwischen 2023 und 2024 hat unser Unternehmen einen Rückgang um über 30 Prozent in diesen beiden Ticketgattungen zu verzeichnen«, berichtet Görtzen.
Von den Abonnenten nutzen die meisten RSV-Kunden das Deutschlandticket. Nur noch sechs Prozent haben ein Naldo-Abonnement. Dabei habe das 49-Euro-Angebot (demnächst 58 Euro) den RSV-Kundenstamm nicht wie erhofft maßgeblich erhöht. Das deutschlandweit gültige Ticket ziehe vor allem in den Verdichtungsräumen und im Schienenpersonennahverkehr neue Fahrgäste an. »Im reinen Stadtverkehr merken wir das nicht so.«
Und so sind 85 Prozent der Deutschland-Ticket-Kunden im Reutlinger Stadtverkehr lediglich Wechsler aus ihrem Naldo-Monats- oder Jahresabo. Ein noch höherer Prozentsatz der Schüler und Azubis nutzt das Deutschlandticket Jugend BW (aktuell: 30,42 Euro, ab 1. Januar 39,42 Euro).
Liquiditätsprobleme durch das Deutschland-Ticket habe das Unternehmen nicht: »Der Ausgleich der Mindereinnahmen über Bund und Land funktioniert.« Der Bund wolle sich allerdings 2026 aus der Förderung herausziehen. »Das wird spannend«, prognostiziert Görtzen.
»Wir brauchen den Mobilitätspass als dritte Säule, um die Kommunen zu entlasten«
Gerade ist in Reutlingen der Samstagsgratisverkehr eingeführt: 400.000 bis 500.000 Euro werden dafür per anno investiert. Nun schlägt die FWV-Fraktion ein weiteres Lockangebot für Gelegenheitsfahrer ohne Abonnement vor, das Ein-Euro-Ticket rund um die Woche. "Ich verwehre mich nicht dagegen", sagt Görtzen. Man brauche noch Details zur Anfrage, dann werde man die Idee durchkalkulieren und schauen, ob sie als Werbemaßnahme fürs Busfahren tauge." Fest steht für ihn aber: Gute Preise dürfen nicht zulasten des Angebots gehen, damit die Verschlechterung nicht die "wertvollen Abonnenten" vergrault.
Die Belastung des Stadtsäckels durch den ÖPNV – immer ein Zuschussgeschäft – ist ein beliebtes Diskussionsthema in den Kommunen. Außer Acht gelassen werden dabei meist Verkehrskostenvergleiche etwa der Uni Kassel, die zeigen, dass der Pkw-Verkehr in einer deutschen Großstadt öffentliche Hand und Allgemeinheit das Dreifache des ÖPNV kostet. Bringt doch der Autoverkehr den Kommunen keine unmittelbaren Einnahmen. Jeder in den Öffentlichen Nahverkehr investierte Euro bringe positive Effekte für Umwelt und Volkswirtschaft, betont Görtzen.
Das Angebot zum Einsteigen
Verkehrsverbund Naldo, Stadtverwaltung Reutlingen und RSV haben die Voraussetzungen für die kostenlose Nutzung des Nahverkehrs in der Reutlinger Tarifzone 220 geschaffen. Seit Juli fahren Fahrgäste in Reutlingen, Pfullingen, Eningen unter Achalm, Pliezhausen und Walddorfhäslach an Samstagen gratis mit den RSV-Stadtbussen (ausgenommen: die Schnellbuslinie Expresso und die Bahn).
Die neue Ringbuslinie 80 kursiert samstags von 9.30 bis 18.30 Uhr im Viertelstundentakt um die Altstadt. Die Haltestellen sind: Planie – Albtorplatz – Ledergraben – Stadthalle – Stadtmitte – Hbf/Gartenstraße – Gartentor – Planie. (GEA)
Um die Finanzierung auf sichere Beine zu stellen, hofft der RSV-Chef auf den Mobilitätspass. »Wir brauchen diese dritte Säule, um die Kommunen zu entlasten und Mittel zu verstetigen.« Es gelte, ÖPNV verlässlich anzubieten »und nicht nach Kassenlage«. Die Diskussionen zur Zwangsabgabe werden auch in Reutlingen intensiv werden und die Bandbreite werde reichen von »super« bis »wir haben nix davon und werden geschröpft«, sagt der ÖPNV-Experte voraus.
Gratisbusverkehr und Ringbuslinie 80 gehören zu den 16 Maßnahmen, mit denen die Stadtverwaltung die Innenstadt attraktiver machen möchte. Autofahrer dürfen sich über die vergünstigte zweite Stunde Parken in den städtischen Tiefgaragen freuen, Radler über zusätzlicher Fahrradabstellmöglichkeiten.
Aus der Parkstatistik ließen sich derzeit noch keine eindeutigen Rückschlüsse ziehen, heißt es aus der Stadtverwaltung. Zu den Maßnahmen aus dem Paket insgesamt habe man "viele positive Rückmeldungen" erhalten." Und: Die Passantenfrequenz in der Innenstadt sei erneut gestiegen. (GEA)