KREIS REUTLINGEN. Geldautomaten, vollgestopft mit Döner - wer kommt auf solch eine Idee? Sierk Hamann, Richter am Reutlinger Amtsgericht, schmunzelt leicht, als er diese Geschichte erzählt. »Dieser Vorfall liegt zwar schon etwa zehn Jahre zurück, bleibt aber unvergesslich.« Ein paar Jugendliche hatten damals auf der Anklagebank gesessen. Auf die Frage nach dem »Warum« antworteten sie schlicht: »Na ja, das Jugendhaus hatte zu. Uns war halt langweilig.« Nicht nur dieser, sondern auch andere, ähnliche Fälle brachten den Richter zum Nachdenken. Heute ist Sierk Hamann überzeugt: »Es würde weniger Kleinkriminalität geben, wenn die Jugendhäuser länger geöffnet wären – auch mal bis nachts um eins.«
Mutwillige Sachbeschädigungen oder betrunkene E-Scooter-Unfälle: In seinem beruflichen Alltag trifft er immer wieder auf junge Erwachsene, die durch ihr Fehlverhalten letztlich vor Gericht landen. Viele dieser Vorfälle könne man durch ein längeres Angebot von sinnvoller Beschäftigung vermeiden, so Hamann. Denn gerade in den Abend- und Nachtstunden werden Jugendliche oftmals straffällig: »In diesen Zeiten herrscht Langeweile, der Alkohol fließt, und schon kommen die blöden Ideen«, spricht Hamann aus langjähriger Erfahrung.
»Wo sollen die Jugendlichen hin? Zu McDonalds?«
»Wir leben in einer großartigen Stadt und sind sehr dankbar, dass es Jugendhäuser gibt«, sagt Hamann. In der Stadt Reutlingen gibt es einige dieser Einrichtungen. Dort können Jugendliche gemeinsam chillen, zocken, kochen, Breakdance lernen oder Fußball spielen. Bei diesen Aktivitäten haben sie die Möglichkeit, sich auszupowern und neue Freundschaften zu knüpfen. »Der Sozialpädagoge, der dort dann vielleicht noch herumspringt, nervt nur wenig. Er ist aber da, und die Jugendlichen haben trotzdem einen neutralen Ort, an dem sie sich treffen können. Viele der Jugendlichen, die später mit der Justiz in Kontakt kommen, sind nämlich oft einsam und geraten in schlechte Gesellschaft.«

Das »tolle Angebot« ist allerdings zeitlich begrenzt. So schließt der Jugendtreff in Rommelsbach spätestens um 20 Uhr, in Ohmenhausen ist es eine Stunde später, dafür bleibt hier am Wochenende die Tür geschlossen. Im »Ariba«-Haus in Reutlingen können sich die Jugendlichen samstags treffen, müssen jedoch bereits um 18 Uhr gehen. Das Jugendhaus Hohbuch/Schafstall hat mit einer gelegentlichen Schließzeit von 22 Uhr am längsten geöffnet. »Wenn die Option dieses sicheren Raumes schließt, gerade zu den Kernzeiten ab 21 Uhr, wird wieder auf der Straße rumgehangen, wo die schwachsinnigen Ideen eher aufkommen. Wo sollen sie denn sonst hin? Zu McDonalds?«, kritisiert Hamann. Seiner Meinung nach sollte das Angebot gerade zu diesen Zeiten einen Rückzugsort bieten. »Das würde sicher nicht alle Probleme lösen, aber eben einige«.
»Die These des Richter ist wohlwollend, lobend und durchaus berechtigt«
Die These des Jugendrichters stößt nicht überall auf Zustimmung. Die Mobile Jugendarbeit Reutlingen Innenstadt Hilfe zur Selbsthilfe GmbH ist der Meinung, dass die Kritik an den Öffnungszeiten den Eindruck erweckt, den Jugendlichen sei langweilig und sie kämen deshalb auf dumme Ideen. Diese Bemerkung sei allerdings schlichtweg zu oberflächlich, polarisierend und pauschalisierend. Das Thema sei wesentlich komplexer. Die jungen Menschen und somit auch die Jugendarbeit seien vielmehr mit Themen konfrontiert, die unter dem Schlagwort »Zeitenwende« gut zusammengefasst werden können: Kriege, Klimawandel, Stau in allen Bereichen der Infrastruktur, Nachwirkungen der Coronapolitik, et cetera. In der Konsequenz seien diese Themen eher ein Erklärungsansatz für das Verhalten von Jugendlichen in der heutigen Zeit.
Uwe Weber, Leiter des Amts für Schulen, Jugend und Sport in Reutlingen, sieht die Aussage des Reutlinger Richters hingegen als »wohlwollend, lobend und durchaus berechtigt«. Statistiken würden belegen, dass die Arbeit in den Jugendhäusern als Präventionsmaßnahme wirksam ist. Ingo Glöckler vom Reutlinger Jugendhaus »Bastille« kann das bestätigen: »Die grundsätzliche Öffnung von Jugendhäusern ist wichtig für die Jugendlichen, als auch wichtig für eine geringere Kriminalität in der Stadt. In den 90ern war das Jugendhaus Bastille oftmals geschlossen. Die damalige Rückmeldung des Amtes für Öffentliche Ordnung ging in eine ähnliche Richtung. Man habe bemerkt, dass bei der Offenen Jugendarbeit und Kleinkriminalität sehr wohl ein Zusammenhang besteht.«
Was die von Richter Hamann angestoßene Thematik der Öffnungszeiten angeht, findet Amtsleiter Uwe Weber klare Worte: »Die Jugendlichen sind keine Kunden, deshalb sind sie natürlich zu beteiligen. An ihren Bedingungen ist die Jugendarbeit auszurichten«. Das gelte nicht nur für die Freizeitangebote, sondern eben auch für die Schließzeiten: »Wir haben eine gewisse Kapazität an Personal, die dafür reicht, die aktuellen Zeiten abzudecken. Wenn die Masse sich vermehrt für offene Jugendhäuser in den Abendstunden oder am Wochenende aussprechen würde, würde man das entsprechend anpassen«, so Weber. Dieser Wunsch sei bisher aber noch nicht wirklich laut geworden.
Die Öffnungszeiten einfach zu ergänzen, gestalte sich finanziell schwierig. Laut der Internetseite des Landkreis Reutlingen werden die laufenden Kosten und der Betrieb von Jugendeinrichtungen sowie allgemeine Investitionen wie Möbel oder Umbauten nicht unterstützt. »Der Landkreis behauptet, dass die Förderung der Jugendarbeit eine Aufgabe der Kommunen sei und hält sich– bis auf einen Zuschuss an den Kreisjugendring und der Möglichkeit Projekte zu fördern – zurück«, heißt es dazu auf der Website des Stadtjugendrings Reutlingen (SJR). Offene Jugendarbeit, zu der auch Jugendhäuser gehören, soll jedoch vom Landkreis gefördert werden, da sie zur »Daseinsfürsorge der Kommunen« gehöre, findet der SJR. (GEA)