REUTLINGEN. Hämmern und Klopfen dringt zurzeit in die ansonsten übliche Stille eines Sommertages im Ypernkasernen-Areal. Wer die Geräuschquelle sucht, steht bald vor dem Gebäude Nummer 43 – genau gegenüber von der Fahrradwerkstatt. Der alte Kasten aus französischen Zeiten ist eingerüstet, drinnen sind Handwerker am Werk. Wer macht da was und wieso?
Die noch etwas entfernte Zukunft des Kasernengeländes, das sich im Besitz der GWG Wohnungsgesellschaft Reutlingen befindet, soll nach Meinung der Stadtplaner schön aussehen. Angestrebt wird, so die Beschlusslage, das 2,4 Hektar große Gebiet »in ein attraktives urbanes Quartier mit Mietwohnungen, innovativen Wohnkonzepten und Gewerbe umzuwandeln«. Auch Projekte für Bauherrengemeinschaften sind vorgesehen. Insgesamt sollen für den bedürftigen Reutlinger Markt Hunderte neue Wohnungen entstehen.
Das Quartier stellen sich die Planer als einen weiteren Treffpunkt im Ringelbach vor, weswegen auch sein alter und wertvoller Baumbestand erhalten wird. Die Ideen sind nicht nur im Rathaus gewachsen, sondern auch seit vergangenem Jahr bei einem mehrstufigen Werkstattverfahren mit Bürgerbeteiligung. Die Arbeiten der Gegenwart konzentrieren sich auf ein Gebäude, dessen Zwischennutzung diesen Zukunftsaussichten nicht im Wege stehen soll. Denn das Gebäude Nummer 43 ist nicht Teil des neuen Ypernkasernen-Areals, das die Arbeitsgemeinschaft Walk Architekten (Reutlingen) sowie Bogevischs Büro und Studio Vulkan (beide München) in ihrem prämierten Konzeptentwurf vorgelegt haben.
Zwischennutzung als Flüchtlingsunterkunft
Dieser alte militärische Wohnbau soll gemeinsam mit der Hausnummer 40 nur zunächst nicht abgebrochen, sondern zur Unterbringung von Geflüchteten zwischengenutzt werden. Laut der Planungsphase 2 folgt dann zunächst der Abbruch von Gebäude 43, bevor in der nächsten Bauphase auch Gebäude 40 fällt. Die Zwischennutzung als Flüchtlingsunterkunft ist für einen Zeitraum von acht Jahren gedacht.
Begonnen haben die aktuellen Bauarbeiten an der Nummer 43 bereits im April dieses Jahres, erklärt Michelle Gruszka als Abteilungsleiterin Unternehmenskommunikation und Marketing bei der GWG, »derzeit umfassen die Umbauarbeiten die folgenden Gewerke: Elektrik, Malerarbeiten, Dachsanierung und bald auch die Heizung«. Das Hämmern und Klopfen werde noch einige Monate weitergehen. »Wir gehen davon aus, dass das Gebäude bis Ende des Jahres bezugsfertig sein wird. Es ist geplant, dass insgesamt 120 Geflüchtete im Gebäude Platz finden. Um die Belegung selbst kümmert sich die Stadt Reutlingen«, sagt die Pressesprecherin. Rund 80 Flüchtlinge leben jetzt schon in anderen Häusern des Geländes.
Pläne und Unterlagen
Als Bebauungsplan »Hans-Reyhing-Straße/Ringelbachstraße« finden sich im Ratsinformationssystem der Stadt Reutlingen viele Pläne sowie Gemeinderatsdrucksachen, mit denen das gesamte Projekt und seine Geschichte sich detailliert nachvollziehen lassen. Zu erreichen ist das Ratsinformationssystem in den Tiefen von www.reutlingen.de unter »Rathaus« dann »Kommunalpolitik«, schließlich zu »Gemeinderat online«. Im dann auftauchenden Menü links ganz unten die »Erweiterte Suche« nutzen. Als Suchbegriff funktioniert auch »Ypernkaserne«. Aktuellstes Dokument ist der Grundsatzbeschluss zur Weiterführung des Bebauungsplanes vom 25. April 2024. (zen)
Den weiteren Zeitplan des Projekts haben Stadtplaner Stefan Dvorak sowie die Architekten beim vierten Bürgerdialog bereits vor Monaten vorgestellt. Demnach sollen noch in diesem Jahr diverse Gutachten entstehen, die für den Bebauungsplan notwendig seien, der wiederum 2025 vom Gemeinderat beschlossen werden könnte. »Im Laufe des Jahres 2026 sollen die Bagger rollen«, hat Dvorak gesagt. Die Umrisse des neuen Quartiers werden derweil immer klarer: 200 preisgünstige Wohnungen, Kindergarten, Café, Mobilitätshub mit Gewerbeflächen sowie ein Quartiersplatz und ein zentrales Parkhaus. Diskutiert wird sowohl bei Anwohnern als auch in den Gemeinderatsfraktionen noch über den Stellplatzschlüssel. Derzeit ist ein Stellplatzschlüssel von 0,8 vorgesehen – also weniger als ein Parkplatz pro Wohneinheit. Das kritisieren manche, weil sie gerade für ältere Bewohner Nachteile befürchten, die etwa ihre Einkäufe gerne so nah wie möglich an die Haustüre fahren wollen.
Architekt Rainer Hoffmann hat dazu beim Bürgerdialog verraten, er habe in Freiburg auch schon Projekte mit einem Stellplatzschlüssel von 0,3 gebaut. Der Planer meint, die Verkehrswende funktioniere »wenn es unbequem wird«. Manche Reutlinger Autofahrer sehen den Stadtverkehr schon heute als hinlänglich unbequem an. (GEA)

