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Was die Reutlinger Besenwirtschaften besonders macht

Eigener Wein oder Most und Selbstgekochtes in kleinen Räumen sind jetzt wieder ein Vergnügen in den saisonalen Besenwirtschaften der Region Reutlingen. Drei schmackhafte Beispiele.

Hier wird in einer Besenwirtschaft zum Most ein Vesperteller mit Wurst von der eigenen Sau serviert. Foto: Stephan Zenke
Hier wird in einer Besenwirtschaft zum Most ein Vesperteller mit Wurst von der eigenen Sau serviert.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. Das Leben ist schön in der Besenwirtschaft. Liebenswürdige Menschen laden in kuschelig kleine Gasträume mit dem Charme eines Wohnzimmers ein. Serviert werden süffige eigene Weine oder spritziger Most und besondere Brände. Selbst gekochte Köstlichkeiten mit Zutaten aus der Region verwöhnen mit volkstümlicher Geschmacksfülle den Gaumen. Das Vergnügen gewinnt durch seine Vergänglichkeit zusätzlich an Reiz, denn geöffnet wird nur wenige Wochen im Jahr. Jetzt gibt es sie wieder, die Besenwirtschaften. Wer einmal drin gewesen ist, gerät ins Schwärmen, wie drei Beispiele zeigen.

Schon eine Viertelstunde vor der Öffnung stehen Menschen mit glücklichen Gesichtern Schlange vor dem »Reutlinger Albtor-Besen« am Albtorplatz. Reservierungen sind »leider nicht möglich«, geöffnet ist noch bis zum 21. Dezember immer von Mittwoch bis Samstag ab 17 Uhr. Hinter der roten Holztüre einer ehemaligen Flaschnerei hat Philip Brenner ein einzigartiges Ambiente geschaffen: sieben Tische mit Holzbänken. Auf denen liegen Kissen mit lustigen Skeletten drauf. Oben an der Decke leuchten an Weinreben befestigte Glühbirnen, in der Ecke strahlt ein Holzofen Wärme aus. Seit September 2011 ist hier alles klein und fein. Der Chef versteht sein Handwerk sowohl auf dem eigenen Weinberg als auch in der Küche – Brenner ist gelernter Koch, arbeitet auch im Hotel Krone Tübingen. Sein Besen ist wie ein Musterbeispiel für die Segen eines uralten Privilegs.

Für Wohlbefinden sorgen Philip Brenner mit seiner Frau Monique und Bedienung Leire.
Für Wohlbefinden sorgen Philip Brenner mit seiner Frau Monique und Bedienung Leire. Foto: Stephan Zenke
Für Wohlbefinden sorgen Philip Brenner mit seiner Frau Monique und Bedienung Leire.
Foto: Stephan Zenke

Zu Zeiten Karls des Großen (748 – 814) gewährte die Obrigkeit Winzern einst das Recht der Direktvermarktung mit einfachen Regeln: Höchstens 40 Sitzplätze – aber egal, wie viele darauf sitzen. Nur vier Monate im Jahr an maximal zwei Terminen geöffnet – natürlich nur Wein oder Most aus selbst erzeugten Früchten im Ausschank. »Junger, frischer Wein. Gefällig zu trinken«, sagt Brenner. Die Küche einer Besenwirtschaft darf nur kalte oder einfach zubereitete Speisen anbieten, aber sind es nicht gerade die einfachen Gerichte, die gut schmecken? So sehen das die Gäste des Albtor-Besen.

»Es wäre schön, wenn es mehr solche Orte geben würde«
Gudrun und Gerhard Henzler laden in ihr  Betzinger »Muggaseggele« ein.
Gudrun und Gerhard Henzler laden in ihr Betzinger »Muggaseggele« ein. Foto: Stephan Zenke
Gudrun und Gerhard Henzler laden in ihr Betzinger »Muggaseggele« ein.
Foto: Stephan Zenke

»Wir sind Stammkunden. Schöne Atmosphäre und zusammenhocken, nette Leute. Der Wein und das Essen sind gut, besonders die Schlachtplatte«, sagen Tina und Michael Sinde, »sehr zu empfehlen«. Neben ihnen nehmen drei Damen zum Auftakt des Abends einen Schluck des Schwäbischen Landweins aus einem der Fässer von Brenner. »Immer, wenn der Besen offen hat, sind wir hier«, verkünden Martina Raiser, Evelin Grupp und Barbro Ammer. »Der Wein ist dieses Jahr mal wieder besonders gut«, stellen sie nach dem ersten Schluck fest. Geradezu sensationell sei der Rinderschmorbraten. Ebenso fällt ihnen auf, »was im Besen noch funktioniert, ist dass sich Leute zueinander setzen, über Generationen hinweg. Es wäre schön, wenn es mehr solche Orte in Reutlingen geben würde«. So ein Plätzchen lässt sich in Betzingen finden.

Von weit her kommen Gäste gerne in den Glemser Mostbesen »zur alten Schreinerei«. Im Bild ein Jahrgangstreffen von Pfullingern,
Von weit her kommen Gäste gerne in den Glemser Mostbesen »zur alten Schreinerei«. Im Bild ein Jahrgangstreffen von Pfullingern, die sich im Ermstal verwöhnen lassen. Foto: Stephan Zenke
Von weit her kommen Gäste gerne in den Glemser Mostbesen »zur alten Schreinerei«. Im Bild ein Jahrgangstreffen von Pfullingern, die sich im Ermstal verwöhnen lassen.
Foto: Stephan Zenke

Es ist das 2017 entstandene »Muggaseggele« von Gudrun und Gerhard Henzler an der Griesingerstraße 25. Immer donnerstags und freitags um 18 Uhr geöffnet wird in diesem Jahr erst ab Donnerstag, 14. November, bis zum 7. Dezember. Samstags empfangen die Henzlers während der Saison gerne Gruppen ab 20 Personen. Aber kaum brennt in der Gaststube Licht, als der Mensch vom GEA vorbeischaut, schon will jemand eintreten. Zu verlockend sehen selbst die noch leeren sechs Tische und Bierbänke mit rot-weiß karierten Tischtüchern und Sitzkissen aus. Gestaltet hat den Raum Tochter Angela Kasch. Gefeiert wird demnächst auch »20 Jahre Reutlinger Wein von der Sommerhalde«. Ins Glas kommt der Jahrgang 2023. »Ich mag das einfach mit den Leuten«, freut sich Gudrun Henzler, »was die gerne haben, weil sie es nicht so oft kriegen, sind saure Kutteln. Legendär sind auch mein Wurstsalat oder Schmalzbrote«. Ehrliche Hausmannskost wird auch im lauschigen Glems serviert.

In Glemser Töpfen bereiten Nicole und Mathias Reusch etwas Leckeres zu.
In Glemser Töpfen bereiten Nicole und Mathias Reusch etwas Leckeres zu. Foto: Stephan Zenke
In Glemser Töpfen bereiten Nicole und Mathias Reusch etwas Leckeres zu.
Foto: Stephan Zenke

Die ganze Familie Reusch ist am Start, wenn ihr Mostbesen »zur alten Schreinerei« an der Neuhausener Straße 37 von Glems noch bis zum 15. Dezember immer an den Wochenenden seine Tore öffnet. An Freitagen und Samstagen beginnt das Wohlfühlen um 18 Uhr, der Sonntag kann ab 12 Uhr genossen werden. Was die Leidenschaft von Stefan Reusch und den anderen ist, erkennen Gäste schon vor dem Gastraum. Da steht eine alte Packpresse, die den Früchten der Streuobstwiesen ihre feinen Säfte entlockt. In direkter Nachbarschaft betreiben die Glemser eine Hausbrennerei. Beides zusammen führt zu einer Getränkekarte, die Zungen schnalzen lässt. Im Angebot sind 22 Mostsorten sowie sage und schreibe 33 Schnäpse – vom »Gelbmöstler« über den »Klarapfelbrand« bis hin zu »Zibarten« (wilde Pflaumen). Für die richtige Grundlage im Magen sorgen Seniorchefin Mina Reusch sowie Bruder Mathias und Tochter Nicole. Sie bereiten Schlachtplatten und die »Schreiner Vesperplatte« zu.

Besen zum Nachlesen

Besenwirtschaften sind ganz modern. Sie informieren im Internet über ihre Öffnungszeiten und servieren dazu auch jede Menge Informationen zu ihrer Geschichte und Philosophie. Hier vier lohnende Adressen aus der Region Reutlingen ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Von oben nach unten der »Albtor-Besen« in Reutlingen, das Betzinger »Muggaseggele« sowie der Glemser »Mostbesen« und die »Besede im Stall« in Glems. (zen)

www.albtorbesen-reutlingen.de

www.reutlinger-wein.de

www.mostbesenreusch.de

www.besenwirtschaft-im-stall.de

Das Fleisch dafür liefern die beiden schwäbisch-hällischen Schweine, die bei Reuschs ein gutes Leben haben, bis sie denn geschlachtet und verwurstet werden. Das hat sich herumgesprochen: »80 Prozent unserer Gäste sind Stammgäste. Aus dem Ermstal, von der Alb und auch aus dem Echaztal«, sagt Stefan Reusch. Denen tischt er neben schmackhaftem Essen gerne auf, »was man aus guten Obst machen kann«. Dafür nehmen viele Besucher auch eine kleine Reise in Kauf. Zu den ersten Gruppen, die den Mostbesen jetzt besuchen, gehört ein Jahrgangstreffen von Pfullingern. (GEA)