KREIS REUTLINGEN. Ganz überraschend kam sie nicht. Die Nachricht, dass Sebastian Weigle für die SPD in den Bundestag einziehen will. Immerhin ist der 46-jährige, ehemalige Stadtrat eins der bekanntesten Gesichter der Sozialdemokraten im Kreis. Irgendwie überraschend war's dann aber doch. Schließlich hatte der Vater von drei kleinen Kindern vor ziemlich genau zwei Jahren erst seinen Rückzug aus dem Gemeinderat verkündet - mit der Begründung, dass das kommunalpolitische Engagement einfach zu viel Zeit in Anspruch nehme. »Man kann den Tagesablauf nun einfach viel besser strukturieren, ohne die vielen Sitzungen abends«, sagt Weigle. Deshalb habe er seitdem auch rund 10 Kilo abgenommen.
Dann landet er in seiner Erzählung ziemlich schnell beim 7. November. Dem Tag, an dem seine Entscheidung zur Kandidatur ins Rollen gekommen sei. Der Tag, an dem klar wurde, dass Donald Trump die US-Wahl gewonnen hat. Der Tag, an dem die Ampel-Regierung platzte. Diese beiden Ereignisse hätten viel in ihm ausgelöst, sagt Weigle. »Und dann hatte ich das eine oder andere Gespräch mit Mitgliedern der Partei.« Schnell sei der Entschluss gestanden: Weigle will's nochmal wissen. Schon 2005 und 2009 hatte er sich als SPD-Kandidat versucht, aber nie den Einzug ins Parlament geschafft.
»Es ist in diesem Zeitfenster sehr schwer, jemand Neues bekannt zu machen«
Klar ist auch: Die vorgezogenen Neuwahlen machen es den Parteien nicht einfacher. Sie verengen das Feld der potenziellen Kandidaten. »Es ist in diesem Zeitfenster sehr schwer, jemand Neues bekannt zu machen und als Gesicht zu verankern«, weiß Weigle. »Dafür braucht's schon ein dreiviertel Jahr, glaube ich.« Auch deshalb war offenbar klar: Ein »alter Hase« muss ran. Das ist Weigle vom Alter her nicht unbedingt - dafür aber von der Erfahrung. »Ich bin seit März 1996 SPD-Mitglied, seit 1994 hab' ich jeden Wahlkampf mitgemacht«, erinnert er sich. Bei der Nominierungskonferenz des SPD-Kreisverbands bekam er am Sonntag nun 67 Stimmen von 69 anwesenden Stimmberechtigten.
»Wir dürfen nicht nur schlecht über die Ampel reden«, betont Weigle immer wieder. »Diese Regierung hat uns durch die Krisen gut geführt.« Dass die Koalition in ihrem letzten Jahr doch noch geplatzt ist, macht ihn sauer. »Wir leben in einer Welt voller zersplitterter Wahlergebnisse«, da sei die Fähigkeit zum demokratischen Kompromiss gefragt. »Es wäre in meinen Augen also die verdammte Pflicht gewesen, das hinzukriegen und bis zum Ende durchzuziehen.« Ein Freund der Großen Koalition sei er nie gewesen, »aber die haben sich, nachdem sie sich gestritten haben, nächtelang hingesetzt und eben doch einen Konsens gefunden.«
»Wir dürfen nicht nur schlecht über die Ampel reden«
Sollte er es in den Bundestag schaffen (»ich schiele auf das Direktmandat«), will sich Weigle für zwei Themenkomplexe besonders stark machen. Zum einen herrscht aus seiner Sicht in Berlin ein »norddeutscher Blick auf die Agrarwirtschaft« vor, in dem Großkonzerne dominieren. Er wolle die Realität der süddeutschen Bauern dort stärker ins Bewusstsein rufen und deren Probleme und Herausforderungen vertreten. Zweiter Punkt: Automobilstandort Süddeutschland. »Wir sehen in der Region eine große Krise, die Branche ist massiv unter Druck. Und das liegt in allererster Linie an den Autoherstellern selbst«, so Weigle. Die seien alle schon viele Jahre in China präsent, hätten aber die Augen verschlossen »vor dem, was auf uns zurollt. Und jetzt schieben sie den Schwarzen Peter an die Zulieferer«.
Man müsse »alles dran setzen, dass der Automobilstandort Süddeutschland stabil bleibt«. Wie's gehen soll? »Die Menschen müssen wirtschaftliche Sicherheit spüren, sodass sie hier wieder investieren, im Land kaufen.« Seit 19 Jahren arbeitet Weigle bei Willis Tower Watson. »Ich weiß also, wie es um die Wirtschaft steht.« Auf den sozialen Bereich habe er als Vorsitzender der Reutlinger Arbeiterwohlfahrt ebenso einen guten Blick. Für die Arbeiter habe die SPD in der Ampel-Koalition übrigens einiges bewirkt, sagt er: steuerliche Entlastung, deutlich mehr Kindergeld, das Betriebsrentenstärkungsgesetz.
Weigle sieht durchaus eine »spannende Wahl« im Februar, »wenn es uns gelingt, die Unterschiede zur CDU klar herauszuarbeiten«. Seine engen Wahlkampfhelfer habe er superschnell nach seiner Entscheidung zusammen gehabt, »ein Team von acht bis zehn Leuten, alle hoch motiviert«. Und vor Wahlkampf in eisiger Kälte hat er auch keine Angst: »Haben wir für die Landtagswahlen ja regelmäßig gemacht.« (GEA)